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Das Verhältnis junger Menschen zur Musik wollten wir zum inhaltlichen Gegen stand einer Kantate machen. Sicherlich nicht unproblematisch, da dies wiederum mit den spezifischen Mitteln der Musik geschehen sollte. Wir vereinbarten wei terhin, daß unser inhaltliches Anliegen in Form einer Geschichte erzählt werden soll. Dadurch habe ich verschiedene emotionale Grundsituationen erhalten, die für eine kontrastreiche musikalische Gestaltung besonders geeignet sind. Wich tige fortführende Handlungsmomente, die musikalisch unergiebig sind, wurden einem Sprecher übertragen, dessen Texte zugleich auch den musikalischen Ab lauf der Kantate gliedern. Was kann ich noch zur Musik sagen? Vielleicht, daß sie aus einer 12-Ton-Reihe entwickelt und in allen Parametern streng strukturiert ist. Aber das gehört zum kompositorischen Handwerk und ist vorerst einmal für den Hörer uninteressant. Wenn er aber die neue Di mension in Verbindung mit dem Text aufspürt, versucht, die Musik spezifisch zu erfassen und sie unvoreingenommen aufnimmt, dann bin ich zufrieden. Siegfried Matthus ENTSTEHUNGSGESCHICHTE " Mit einem Telefonanruf — im Februar 1968 — begann es: „Herr Masur hat von Ihnen Gedichte gelesen und möchte sich gern darüber mit Ihnen unterhalten. Können Sie am..." Wir konnten und trafen uns: GMD Kurt Masur, Dr. Dieter Härtwig, Joochen Laabs und ich. Wir tranken Kaffee und gute Worte und wuß ten schon in dieser ersten Stunde: das gemeinsame Arbeiten würde uns Freude bereiten. Eine Kantate sollten wir schreiben. Personen der Handlung: die beiden jungen Menschen und wir. Ort: hier und überall, wo nicht Gleichgültigkeit wohnt. Zeit: heute, morgen und das nächste Lichtjahr. — Keine Themenvorgabe. Alles wurde schwerer als geahnt. Zuerst eine Fabel, nein drei, vier Fabeln. Welche war am geeignetsten, musikalisch umgesetzt zu werden? Welche war direkt aus der Ge genwart gegriffen? Wir entwarfen, schrieben, strichen durch, schrieben um. — Einmal monatlich trafen wir uns in unserer Vierergruppe. Herr GMD Masur und Herr Dr. Härtwig waren Kritiker, aber auch Mitschöpfer, gaben Anregungen, Hinweise für die musikalische Umsetzung. In dieser Zeit hörten wir selbst viel Musik, wurden angefüllt mit viel Freude, spürten die Reflexion des wirklichen Lebens aus den Tönen. Später fuhren wir nach Berlin, kamen dort mit dem Komponisten Siegfried Matthus zusammen. Da ergaben sich noch ganz neue Aspekte. Und so begannen wir wieder mit Streichungen, Konzipieren. Manchmal besprachen wir alles — auf Campingmöbeln sitzend — im Wald. Manchmal waren es zehn Sätze am Telefon oder vier Stunden im Sessel. Pausen traten ein, wenn z. B. Herr Masur den Koffer für Samarkand packte, Joochen Laabs auf Dienstreisen war oder Herr Matthus außerhalb Berlins Ur^ aufführungen seiner Werke miterlebte. Nun ist sie fertig, die „Kantate von den Beiden“. Fertig? Ach, jetzt, nachdem alles gedruckt ist, haben wir längst neue Einfälle, möchten wieder schreiben, streichen, schreiben. Aus der Fülle all des Schönen, das uns umgibt, blieb noch so vieles ungesagt. Aber es liegt ja an uns, an jedem von uns, täglich Neues zu schaffen. Brigitte Zschaber DIE AUTOREN DER KANTATE Siegfried Matthus, der 1934 geborene Berliner Komponist und dies jährige Eisler-Preisträger, steht wie der Dresdner Rainer Kunad in der vorder sten Linie der jüngeren Komponisten unserer Republik. Beide haben gerade in jüngster Zeit durch ihre mutige Auseinandersetzung mit neuen inhaltlichen und kompositionstechnischen Problemen von sich reden gemacht. Matthus stu dierte 1952 bis 1958 an der Deutschen Hochschule für Musik in Berlin Dirigie ren und — bei Rudolf Wagner-Regeny — Komposition. 1958 bis 1960 vervoll kommnete er seine Ausbildung als Meisterschüler Hanns Eislers an der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Seitdem war er freischaffend tätig und wirkt neuerdings als Dramaturg und Hauskomponist an der Komischen Oper Berlin. Matthus, der 1963 den Ernst-Zinna-Preis erhielt, begann zunächst mit originellen Songs und Liedern und erschloß sich allmählich größere Instru mentalformen sowie die Oper. Dabei hat der Komponist im Verlauf seiner künstlerischen Entwicklung eine bemerkenswerte stilistische Wandlungsfähigkeit bewiesen. Aus seiner bisherigen Werkliste sind u. a. zu nennen: Kleines Orchesterkonzert (1963), die Opern „Lazarillo von Tormes" (1964) und „Der letzte Schuß“ (1967), Inventionen für Orchester (1964), „Tum tua res agitur“ (13 Variationen für 15 Instrumente und Schlagzeug, 1965), „Das Manifest" für Soli, Chor und Or chester (1965), Kammermusik 65 (1965), „Galilei" für Singstimme, 5 Instrumente und elektronische Klänge, Violinkonzert (1968), „Dresdner Sinfonie" (1969). Die „Kantate von den Beiden" für Sprecher, Sopran, Bariton und Orchester nach Worten von Brigitte Zschaber und Joochen Laabs — vom Komponisten wie von den Textautoren im Auftrag der Dresdner Philharmonie anläßlich des 20. Jahrestages der Gründung der DDR geschaffen — wurde im Spätsommer und Herbst 1969 komponiert und knüpft stilistisch an die Haltung der „Dresd ner Sinfonie" an. In realistisch-bildhafter Weise wird das inhaltliche Geschehen des Stückes musikalisch „überhöht", werden lyrische wie dramatische Situations momente durch das Medium Musik „verdeutlicht". B r i g i 11 e Z s c h a b e r wurde 1945 in Dresden geboren. Neben ihrer beruf lichen Tätigkeit als Säuglings- und Kinderkrankenschwester besuchte sie die Abendschule und legte 1968 das Abitur ab. Seit September 1968 studiert sie Medizin an der Berliner Humboldt-Universität. Ihre Neigung und Begabung zu literarischer Tätigkeit ließ sie Mitglied des Zirkels schreibender Arbeiter beim VEB Pentacon in Dresden werden. Die junge Autorin legte bisher vornehmlich lyrische Arbeiten vor. Joochen Laabs, 1937 in Dresden geboren, beendete im Jahre 1961 sein Studium an der Hochschule für Verkehrswesen in Dresden und ist seitdem als Diplom-Ingenieurökonom in einer Forschungsstelle für Kraftverkehr und städti schen Verkehr tätig. Intensive literarische Betätigung setzte seit dem Abschluß des Studiums ein. Zunächst entstanden lyrische Arbeiten, später Prosa, insbe sondere Kurzgeschichten. Ein Gedichtband mit dem Titel „Eine Straßenbahn für Nofretete" erscheint demnächst im Mitteldeutschen Verlag Halle. Johann Sebastian Bachs vier Orchestersuiten, von denen die beiden ersten vermutlich noch der Zeit entstammen, in der er als fürstlicher Kapell meister in Köthen wirkte, während die zwei anderen in Leipzig geschrieben wurden, stellen Musterbeispiele der Suitengattung dar und werden durch die besonderen Kennzeichen seines Stiles, durch die selbst in den Tanzsätzen spür bare kontrapunktische Arbeit und den Reichtum der Erfindung weit über den Charakter der Gebrauchsmusik herausgehoben, als die sie ihr Komponist und seine Zeit wahrscheinlich nur empfanden. Der erste Satz (Ouvertüre) der drei- chörigen Suite Nr. 3inD-Durfürzwei Oboen, drei Trompeten, Pauken, Streichquartett und C o n t i n u o beginnt mit einem feier lichen Grave-Einleitungsteil im punktierten Rhythmus, dem sich ein ausgedehn tes Fugato anschließt. Trompeten und Pauken setzen helle Glanzlichter. Der zweite Satz ist der berühmteste: ein Air, was Lied, Gesang, Arie bedeutet. Die unerhört ausdrucksvolle, ergreifende und zugleich trostvolle Melodie der Violi nen dieses vom Streichquartett auszuführenden Satzes gehört zu Bachs gefühls reichsten Einfällen (kein Wunder, daß sie in einer romantisch-gefühlvollen Be arbeitung verfälscht wurde). In den anschließenden beiden Gavotten wirken die Trompeten mit tonangebend. Nach einer Bourree folgt eine längere Gigue, in der ebenfalls der Trompetenchor registerhaft eingesetzt ist.