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Nr. 10» Zschspoaer r«»«»latt »«» Anzeiger „Zll will M Prien i" Ein Man» steht vor der Tür des D-^ugabteilS. Ein ganger, grober, breitschultriger Mensch. Der dicke grauwollene Troyer, Ivie ihn Seeleute tragen, spannt sich über der Brust. Ein Baum von Mann. Sein Gesicht ist wie Teakholz. Es ist Ende Oktober. Im D-Zug Berlin—Wilhelmshaven kehrt die Prien-Besatzung von ihrem Führer- und Reichshaupt- stadtbesnch zurück. Etwas angestrengt von dem grobstädtischen Trubel, von den ungewohnten Strapazen sitzen die orden geschmückten Blaujacken in den Polstern, kloppen einen Skat oder träumen von dein, was hinter ihnen liegt oder tvas auf sie warten maß. U-Bootmanner sind durchweg anders, als man sie sich vorzustellen pflegt. Sehr jung, wenig gesprächig. Hauptsache, datz man an Land seine Ruhe hat! Seit Stunden sehe ich den Mann im grauen Troyer da- stchen. Kaum datz er sich von seinem Platz rührt. Die Wagen tür ist verschlossen, so datz er auch keinem Menschen den Platz räumen mutz. Der Zug rattert durch die Lüneburger Heide. Bremen kommt. Die Hellingen von Vegesack und das rechte Weserufer heben sich über der geradlinigen Marsch und versinken wieder. Unbeweglich steht der Mann an der Tür. Es ist doch jetzt genug Platz im Zuge! Ich wette, bah der Standfeste aus der ganzen Fahrt noch nicht ein Wort gesprochen hat. An einen Bernhardiner wird man erinnert, wenn man ihn in seiner Breite und scheinbaren Schwerfälligkeit sicht. Als habe er einen Wachtposten beziehen müssen; treu und brav ^nd ohne sich zu rühren halt er seinen Platz. Geht aber einer der U-Bootmänner vorbei, dann macht der Graubesweatcrte so etwas wie eine Wendung. Beabsichtigt er, Grundstellung zu nehmen, stramm zu stehen? Der Zug läuft in Wilhelmshaven ein. Prien mit seiner Besatzung wird begrüßt. Ich habe mich zu melden, zeige meinen Einberufungs befehl vor und werde zur Kaserne verwiesen. In der Wachtstu^ treffe ich mit dem Mann aus dem D-Zuge zusammen. Wie das so bei neuen Rekruten ist, — man fühlt sich zu einander hingezogen, und ich sage ihm meinen Namen. Sein Gebrummel verstehe ich nicht. Schließlich fragt er von der Seite her: „Auch freiwillig melden?" — ,^Jawoll, mein Guter. Wo kommste denn her?" „Ostpreitzen!" Schwierig! Wo andere zehn Worte sagen, murmelt der kaum eins. Wir werden mit anderen Kameraden in ei» Gebäude ge führt, bekommen zu essen, holen uns Strohsäcke, Wolldecken und Kojen, die wir in einem Nebenraum ausbauen, und kom men uns noch reichlich komisch vor. Die Reise war laug, am liebsten würde man sich hinhauen. Aber daraus wird vorerst nichts. Der große Raum, 1« ruhigen Zeiten als Geschützlager die- nend, ist ein brodelnder Kessel, in dem es singt und Pfeift, plätschert und wogt, in dem die Lust dick gleich einer weißblauen Fahne von Tabaksdunst steht. So richtig voller Ozon! Wir hocken mit vielen Einberufene» rund um eine lange Back. Da sind Seeleute von Hamburg und Stettin, von Bremen und Flensburg, alte und jmrge Fahrensleute, Offiziere, Boots- mänuer, Matrosen unserer Stiemer und unserer Lurusriesen. Der eine kennt jenen, der andere diesen. Der Ostpreuße sietzt stumm da und horcbt angestrengt, mit krauser Stirn, jemandem zu, der von seinem letzten Bahia-Törn erzählt. Namen von Schissen tauchen auf, Namen wie Siugapore, Hongkong, Trinidad, Port Said, La Plata, Valdivia. Der Pazifik tut sich auf, die Weile des Atlantik, Erlebnisse delikaterer Art werden zum besten Webe». Die tollst« Rederei ist im Gange. Vom Karabischen Meer geht's in de« Golf von Mexiko. Rio blitzt und funkelt auf. Die Schleusen der Weltmeere sind aufgerissen, das See- mannSherz ist weit geöffnet. Kampf mit loSgerissenen Luken persennings und Krach mit dem Ollen! Schwarze Schöne stolzieren auf, Abenteuer aus allen Ecken und Enden der Welt. < iS die unmelodische Trillerpfeife des U. v. D. dem Spuk ein Ende macht: „Pfeiiifcn und Lunten aus!" * Am nächsten Vormittag haben wir Neuen uns zur Unter suchung einzufindeu. Im Vorraum de» Schlunz (Lazarett) entkleiden wir uns und marschieren Paarweise so vor dem Stabsarzt auf, wie wir einmal in dies« Welt gehüpft sind. Vor mir steh: der Ostpreuße in paradiesischer Hünenhaftig- keit. Die AeSkulapgehilfen sind still geworden. Wohlwollend ruht das Auge des Stabsarztes aus dem Mann vor ihm. Freundlich beginnt er zu fragen: „Einen besonderen Wunsch?" „Jawoll, Herr Käptn, ick will zu Prien!" „Zur U-Bootwafst?" — „Jawoll!" „Nein, mein Lieber. Sie sind der geborene Schiffs artillerist." „U-Boot will ick fahren!" Der Disput wird mit dem Ruf „Der Nächste!" beendet. , * Wir waren noch einige Zeit beisammen, beim „Backen und Banken" und 'päter in der Kleiderkammer. Dann zog der eine dorthin, der andere hierhin. Von unserem Ostpreußen habe ich monatelang nichts gesehen und gehört. Eines Tages läuft U... ein. Wir warten an der Schleuse, steigen über, und da steht Plötzlich der Ostpreuße wieder vor mir. Er lacht laut und tief, als er mich sieht, haut mir seine Pranke auf die Schulter und weiß sich vor Freude nicht zu helfen. „Der beste Mann an Bord. Wenn's Bomben regnet, be wundernswert in seiner Kaltschnäuzigkeit. Nicht aus der Ruhe zu briugen! Und dabei hellhörig und gespitzt wie ein Schieß hund!" erzählt nachher der Kommandant. Groh, breit, ein Riese, steht der Ostpreuße da, als der B. d. U. chm das Eiserne Kreuz anheftet. Das junge, bart umrahmte Gesicht leuchtet stark und stolz... Las Konzert Eine Geschichte von Harro-Heinz Jakobsen. Eigentlich müßte ich stolz auf Sylvia sein, denkt der Mann mit dem blassen Gesicht und der Binde im Arm, der in dem großen Saale beim Pfeiler sitzt. Wie sie die Geige spielt... Sie ist so wunderbar... Und ihr Bruder liegt neben mir im Lazarett... Wie in unendlicher Ferne sieht er plötzlich wieder, daß sich ein blonder Kopf über das Bett seines Kameraden beugt, eine junge Stimme freudig flüstert und eine kleine Hand über die wirren Haare streicht... „Ja, es ist meine Schwester Sylvia, und das ist mein Freund Reimer", heißt es dann, und eine Keine Hand faßt auch in seine große. Er, der Diann hinter dem Pfeiler, fühlt sich wieder in die Wirklichkeit zurückgeworfen. Lauter Beifall klingt auf. Die Menschen umjubeln Sylvia, danken ibr mr das edle Sviel. r»»ar«»b,»««11. im> Reimer sieht Sylvia da vorne stehe», die Gei« an sich ge drückt und ei« wenig hilsloS um sich bückend. Die Zuhörer vev» lange» stürmisch nach einer Zugabe. Vielleicht denkt der Mann in diesem Augenblick: .Wäre ich nur nicht gekommen, «» wäre dann alle» ander» gewesen? Ja, er kannte ein kleine» Mädchen, da» an den Besuchstagen im Lazarett erschien. E» hatte immer Duftendes in der Hand. .Hieben Sie Blumen, Reimer?" fragte die Besucherin mit ihrer Weichen Stimme. „Ich werde Ihnen Anemon pflücken, und wenn Sie wieder gesund sind werde ich mit Ihnen durch den Park gehen." Davon hatte sie geredet, und Reimer hatte gedacht, wie schön ihre Stimme war und wie blond ihr Haar... Und dann hatte sie eines Tages gesagt, al» er schon wieder herumlief mit dem verbundenen Arm, daß er zu dem Konzert kommen müsse, das die Musikschule veranstaltete. Als er ge fragt hatte, was er dort solle, sagte sie: ,Lch habe Angst, Rei mer... wissen Sie, vor den vielen Menschen... Aber wenn Sie da sind, dann denke ich, daß ich mit Ihnen durch den grünen Dom de» Waldes gehe. Ich werde sicher sein und froh..." — Der Mann hinter seinem Pfeiler ist nicht so froh. Er hat ja gar nicht gewußt, was für eine große, bedeutende Künstlerin sie ist, die ins Lazarett kam und den Bruder und ihn besuchte. Reimer sieht die Gesichter der Menschen und merkt, wie sie an Sylvia hängen, die eine Geige in ihren kleinen Händen hält. Niemand rührt sich, fast feierlich ist es. Und dann bricht wieder mit der Gewalt eines SrurmeS der Beifall hervor. Sylvia ver schwindet in einem Haufen zu ihr drängender Menschen. Reimer steht auf, er schiebt sich mit seinem Arm durch dl« Menschenmenge. Sie macht ihm Platz, ein wenig ehrfürchtig. Er steht im Vorraum an der Wand. Eine Pause ist im Pro gramm vorgesehen. Auch hier sind die Menschen in Gruppen zusammen. Sylvias Name fällt. Er, Reimer, fühlt sich ver lassen in der Ecke am Fenster. Er sinnt immer heftiger darüber nach, daß es das beste wäre, nicht wieder in den Saal zurückzukehren, sondern in» Lazarett zu gehen und sich schlafen zu legen... Er ist ja sowieso nicht mehr lange dort. Der Stabsarzt hat davon geredet, daß er in den nächsten Tagen irgendwohin zur Erholung geschickt würde, vielleicht ein vaar Wochen... Und danach würde er wieder irgendwo an der Front stehen gegen den Feind... Und Sylvias Name würde er dann eines Tages in einer Zeitung lesen... und dunkel würde er sich erinnern, daß sie einmal Waldblumen an sein Bett stellte. Plötzlich fühlt er sich an der Schulter ergriffen. Sylvia steht dal Ihre Augen blicken ihn bekümmert an. „Reimer", sagt sie, „ich habe Sie gesucht, überall..." „Ja?" bringt er hervor. „Ja", sagt sie. „Es ist nicht schön, wenn Sie sich so ver stecken, Reimer, nein, das dürfen Sie nicht tun!" Fast ist es dem Manne so, als solle er ihre Augen küssen, die so hilflos ihn ansehen. Aber er berührt nur ihre Hand und stammelt: „Sylvia... verzeihen Sie mir!" „Sie müssen nachher auf mich warten, hören Sie Reimer?" sagt sie. „Ja", sagt er, „ich werde warten... immer..." Sylvias Augen lächeln ihn an, voll Freude. Und der Mann Reimer weiß auch nichts mehr zu sagen. Es ist für ihn nicht einfach zu begreifen, daß Sylvia allen Men schen und dem Triumph davongelaufen und zu chm gekommen ist. Das Glück ist so groß für ihn, daß er stumm dasteht und auf ihre Hände blickt, die so wunderbar zu spielen verstehen und nun sich in seine große Hand schmiegen...