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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES H Y G I E N E - M U S E U M Sonntag, den 15. Juni 1969, 19.30 Uhr 5.KONZERT IM ANRECHT C MUSIK UND IDEE Dirigent: Kurt Masur Solisten: Annelies Burmeister, Berlin, Alt Eberhard Büchner, Berlin, Tenor Cesar Franck 1822-1890 Les Eolides — Sinfonische Dichtung Allegretto vivo Erstaufführung Richard Wagner 1813-1883 Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonk für Alt und Orchester Der Engel Stehe still Im Treibhaus Schmerzen Träume PAUSE Gustav Mahler 1860-1911 Das Lied von der Erde — eine Sinfonie für eine Tenor- und eine Altstimme und Orchester Das Trinklied vom Jammer der Erde Der Einsame im Herbst Von der Jugend Von der Schönheit Der Trunkene im Frühling Der Abschied ZUR EIN FÜHRUNG Aus dem reichhaltigen und vielseitigen Schaffen Cesar Francks haben sich in Deutschland neben etlichen Orgelwerken und einiger Kammermusik eigentlich nur seine d-Moll-Sinfonie und die Sinfonischen Variationen einen festen Platz in den Konzertsälen erringen können. Die relativ geringe Anteil nahme, die man in Deutschland dem Leben und Schaffen dieses Meisters zollt, ist um so verwunderlicher, als seine Musik der deutschen durchaus nicht wesens fremd ist und als für Franck Anregungen der deutschen Musik seiner Zeitge nossen Brahms und Wagner als auch Bachs geistig und formal von großer Bedeutung waren. Der im Jahre 1822 in Lüttich geborene Komponist, Sohn eines wallonischen Voters und einer deutschen Mutter, gelangt früh in den Bannkreis von Paris. Frühzeitig mit Preisen für Klavier- und Orgelspiel ausgezeichnet, bleibt dem reifen Komponisten die gebührende Anerkennung versagt. Unter ärmlichen Ver hältnissen lebt er als Musiklehrer und Organist in Paris, bis ihm 1872 eine Professur am Pariser Konservatorium angetragen wird. Erst etliche Jahre nach seinem Tod (1890) beginnen sich seine Werke durchzusetzen. Die verschieden sten Kulturkreise, die sich in dem in Frankreich lebenden Wallonen Franck, der — wie schon angeführt — für deutsche Musik eine große Neigung besaß, berühren, gelangen in seinen Kompositionen zu einer interessanten Mischung. Dabei ist wichtig festzustellen, daß diese verschiedenen Einflüsse — das deutsche Barock (Bach), das französische Barock (Rameau), die deutsche Romantik (Brahms), die Spätromantik (Liszt, Wagner, Berlioz) — von Franck keineswegs eklektisch benutzt werden, sondern durch seine schöpferische Persönlichkeit eine ganz eigene Verarbeitung erfahren. Die musikalische Sprache der Romantik, ins Romanische transponiert, eine an Rameau und Bach geschulte, häufig kon- trapunktisch durchsetzte Formklarheit und eine mit französischer Delikatesse beleuchtete Instrumentation sind die Wesensmerkmale der Musik Francks. Ein bei uns nahezu unbekanntes Werk des Komponisten ist die 1876 entstan dene, bei ihrer Uraufführung 1877 ausgepfiffene, durch das gleichnamige Gedicht von Leconte de Lisle angeregte sinfonische Dichtung „Les Eolides" (Die Lüfte), die unter spürbarer Einwirkung Wagnerscher Chromatik steht, ja die äußere Tristan-Ähnlichkeit nimmt fast die Form eines Zitats an, worauf Wilhelm Mohr hingewiesen hat. „Dieser Chromatik bedient sich Cesar Franck, um dem Weben und Walten der Elementarmächte musikalischen Aus druck zu verleihen, dem Luftelement in seiner beschwingtesten Form. Wohl nirgend anders hat der Meister eine solche Fülle von Motiven ein geführt wie in diesem verhältnismäßig kurzen Werk; aber alle sind durch die ihnen gemeinsame Chromatik einander sehr verwandt und erscheinen fast wie Abwandlungen einer und derselben Ursubstanz. Auch die Gestalt des Ganzen in ihrer freien Verknüpfung und Fortspinnung der einzelnen Motive, die nur schwer die dreiteilige Großform erkennen läßt, verstärkt den Eindruck eines Sylphenhaften, schwebenden, beschwingten Spieles des Luftelements. Man erkennt, mit welcher Weisheit Franck für jedes Werk die richtige Form wählt. Bei allem fehlt völlig jede Lautmalerei, jedes Heulen, Pfeifen, jede platte Nach ahmung von Naturgeräuschen. Die Partitur wimmelt von Vorschriften, mit zar testem und größtem Ausdruck zu spielen; jede neue Phrase wird eingeleitet mit Bezeichnungen wie dolce, molto espressivo, dolcissimo, grazioso und allen nur denkbaren Verbindungen dieser Anweisungen. Die Elementarreiche sind dem Meister keine Häufung toter Materie, sondern sie sind leben- und geisterfüllt, wenn auch völlig unberührt und unbeschwert von menschlichen Gefühlen und Leidenschaften.“