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Strauss folgte also einem bestimmten literarischen Programm, jedoch nicht in illustrativer Absicht, sondern indem er den Empfindungsgehalt des Gedichts realistisch zum Klingen brachte. Lenaus Verse stellen gewisser maßen Leitgedanken dar, die in der Tondichtung — in freier Sonaten form — dargestellt werden. Mit einem kühnen E-Dur-Thema wird sogleich der verwegene, von Sinn lichkeit getriebene Held, der von der Begierde zum Genuß jagt, vorge stellt. Dann folgt das kraftvolle, von pulsierenden Holzbläsertrioien be stimmte „Don-Juan“-Thema, dessen stürmisch-glutvolle, verführerische Klanggestalt den unwiderstehlichen Kavalier und Abenteurer symboli siert. Ein verzücktes Violinsolo deutet auf eine schwärmerische Frau, die in Don Juans Bann gerät. In einer neuen Liebessituation zeigt uns sodann eine seufzende Oboenmelodie den Helden. Plötzlich tritt — in den Hör nern, von den Violinen umschwirrt — das suggestiv-prägnante, sehr ener gische zweite „Don-Juan-Thema auf: Der Höhepunkt des Werkes ist er reicht. Don Juan gelangt zur Besinnung, der Sinnenrausch verlöscht. Nach äußerst klangvollen Steigerungen kommt es zu einem Moll-Ausklang, der wie eine Auflösung fast ununterbrochener Spannungen wirkt. Dr. Dieter Härtwig Fryderyk Chopin, der große polnische Klaviermeister, vollendete das Klavierkonzert e-Moll op. 11, ebenso wie das f-Moll-Konzert op. 21, im Jahre 1830. Da das e-Moll-Konzert op. 11 1833 als erstes veröffentlicht wurde, trägt es allgemein die irreführende Bezeichnung 1. Klavierkönzert, obwohl es nach dem f-Moll-Konzert entstanden ist. Das am 11. Oktober 1830 in Warschau mit dem Komponisten als Solisten uraufgeführte Werk ist dem damals hochgeschätzten deutschen Klaviervirtuosen und Pädago gen Friedrich Kalkbrenner gewidmet. Diese Widmung erklärt auch die betont virtuose Anlage des klar und übersichtlich geformten Konzerts, das bezeichnendes Licht auf den typisch romantischen Geist seines Schöp fers wirft. Ein längeres Orchestervorspiel stellt das thematische Material des ersten, in Sonatenform angelegten Satzes vor (Allegro maestoso). Zwei Themen mit elegant-sentimentalem Charakter bieten Chopin Gelegenheit zu or namentaler, figurativer, phantasievoll-virtuoser Arbeit. Das Klavier be mächtigt sich bald der führenden Rolle, während das Orchester fortan — wie überhaupt in den Konzerten Chopins — nur noch untergeordnet in Erscheinung tritt. Der ganze Reichtum der schöpferischen Phantasie Cho pins entfaltet sich im Klavierpart. Ein zauberhaftes Klangbild stellt der zweite Satz, eine Romanze, dar mit typischem Nocturne-Charakter. Der Komponist schrieb über diesen Satz, daß seine Stimmung „romanzenhaft, ruhig und melancholisch“ sei, daß er „den teuren Anblick des Fleckens Erde vor uns erstehen lassen soll, wo tausend liebe Erinnerungen sind ... So ein Hin träumen von einer herrlichen Stunde im Frühling, beim Mon denschein.“ Dem Rondofinale (Vivace) gibt der Rhythmus des feurigen polnischen Volkstanzes Krakowiak sein sprühendes Gepräge. Virtuose Passagen und Läufe des Solisten führen am Schluß des Konzerts zu einem wahren brillanten Feuerwerk, zu tänzerischer Entfesselung — kon sequenter Gipfelpunkt eines aus gärender, jugendlicher Leidenschaftlich keit heraus geborenen Werkes, das die erste Schaffensperiode des polni schen Meisters beschloß. Dr. Dieter Härtwig 26