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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 8. Mai 1971, 20.00 Uhr Sonntag, den 9. Mai 1971, 20.00 Uhr Kongreßsaal Deutsches Hygiene-Museum Dresden 10. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Kurt Masur Solist: Ruggiero Ricci, USA, Violine Gottfried von Einem Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 33 geb. 1918 . , Andante Allegro ma non troppo Presto Adagio DDR-Erstaufführung Franz Liszt 1811-1886 Zwei Episoden aus Lenaus „Faust" Der nächtliche Zug Der Tanz in der Dorfschenke (Mephisto-Walzer) PAUSE Niccolö Paganini 1782-1840 Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 6 Allegro maestoso Adagio espressivo Rondo (Allegro spirituoso) RUGGIERO RICCI ist italienischer Abstammung und wurde 1920 in San Francisco geboren. Schon als Knabe zeigte er eine hervorragende Begabung für das Geigenspiel. Neunjährig spielte er bereits mehrere öffentliche Konzerte in seiner Geburtsstadt und in New York, u. a. interpretierte er das Mendelssohn-Konzert. Die Krönung seiner Wunderkind-Laufbahn brachte eine aufsehenerregende Europa-Tournee, die er im Alter von zwölf Jahren unternahm. Seine Lehrer waren Persinger, Piastro und Kulenkampff. Der zweite Weltkrieg unterbrach zunächst seinen künstlerischen Aufstieg. Doch nach Kriegsende nahm er sofort seine Konzerttätigkelt wieder auf und bereiste alle Kontinente, konzertierte mit fast allen führenden Orchestern. Ricci spielt eine seltene und kostbare Guarnerius-del-gesu-Violine aus dem Jahre 1734. Er gehört zu den besten Geigern der Welt. Mit der Dresdner Philharmonie konzertierte er bereits in den Jahren 1958, 1961, 1964, 1965, 1967 und 1969. ZUR EINFÜHRUNG Gottfried von Einem, 1918 in Bern geboren, heute einer der prominen testen und international erfolgreichsten Komponisten Österreichs, studierte 1941 bis 1942 bei Boris Blacher Komposition, nachdem er vorher bereits - seit 1938 - als Korrepetitor an der Berliner Staatsoper sowie als musikalischer Assistent bei den Bayreuther Festspielen gewirkt hatte. 1944, kurz vor Schließung des Theaters im Zuge der Kriegsereignisse, wurde er als Hauskomponist und musikalischer Berater von der DresdnerStaatsoper engagiert. Der heute in Wien lebende, auch an der dortigen Hochschule für Musik lehrende Komponist ist Vorsitzender des Kunstrates der Salzburger Festspiele sowie als Lektor der Wiener Konzerthaus gesellschaft tätig. Der Schwerpunkt seines bisherigen Schaffens liegt zweifellos auf dem Gebiet des Musiktheaters. Neben Balletten wie „Prinzessin Turandot", „Rondo vom goldenen Kalb", „Pas de Coeur", „Medusa" sind vor allem die Opern „Dantons Tod", „Der Prozeß", „Der Zerrissene" und „Der Besuch der alten Dame" zu erwähnen. Letzteres Werk wird am 23. Mai 1971 an der Wiener Staats oper uraufgeführt. Aber auch Orchesterwerke (u. a. Klavierkonzert op. 20, Hexa- meron für Orchester), Kammermusik, Lieder, Chorwerke sind zu nennen. Das heute zur DDR-Erstaufführung gelangende Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 33 wurde nach der Nestroy-Oper „Der Zerrissene" im Jahre 1966 geschrieben und am 31. Mai 1970 von den Wiener Philharmonikern unter Seiji Ozawa, dem auch unserem philharmonischen Publikum bekannten japanischen Dirigenten, mit Ruggiero Ricci als Solisten uraufgeführt. Es ist nicht nur das bei weitem umfangreichste seiner bisherigen Instrumentalwerke, sondern wohl auch das gehaltvollste und ausgeglichenste. Vom Typus her vertritt das Konzert die sinfonisch auskom ponierte Virtuosenmusik etwa des Brahmsschen Violinkonzertes. Einem verleugnet seine Bindung an die Tradition nicht; am freiesten verfährt er im formalen Aufbau. Die ungewöhnlichen Dimensionen seines viersätzigen Violinkonzertes setzen schöpferischen Mut und bildnerische Kraft voraus. Beides besitzt Einem in hohem Maße. Er nützt alle Dispositionsmöglichkeiten der Tonalität, indem er die tragen den Elemente durch die Verankerung in einem zentralen Bezugspunkt (d) absi chert. Straffe rhythmische Gliederung, Differenzierung der Hauptzeitmaße, eine streng regulierte Dynamik also kennzeichnet die kontinuierliche, gleichsam dra matische Entwicklung des Stückes, die sich allmählich beschleunigt und, nachdem der Höhepunkt erreicht ist, langsam wieder zur Ruhe kommt. Das musikalische Gestaltungsprinzip läßt sich annäherungsweise in dem Begriff einer groß ange legten, sinfonisch potenzierten Variation bestimmen. Es ist durchaus das dominie rende Prinzip auch der thematischen Entfaltung. Der erste Satz (Andante) beginnt mit einem großen Vorspiel der Solovioline, das die Kadenz vorwegnimmt. Das von Oboe und Fagott intonierte Hauptthema wird in zwei verschiedenen Varianten der Solostimme gleichsam aus sich selbst hervor gelockt. Die eigentliche dramatische Auseinandersetzung beginnt im Mittelteil, wo die verschiedenen Elemente der Exposition mit einem scheinbar neuen Thema der Solovioline kontrapunktiert werden, das nun seinerseits die Entwicklung vor antreibt. — Im zweiten Satz (Allegro ma non troppo) werden ein rhythmisch poin tiertes Tanzthema und eine Liedweise gegeneinander ausgespielt. - Der dritte Satz (Presto) hat nur ein Thema, aber drei Teile, und empfiehlt sich als Kabinett stück sowohl der Kompositions- als auch der Vortragskunst. Das über einen Orgel punkt auf A aufgebaute Andante-Intermezzo bezieht seine Thematik aus Ele menten des ersten und zweiten Satzes. Die zwei Teile des Soloparts sind spiegel gleich, d. h.: der zweite ist eine notengetreue, krebsgängige Verdoppelung des ersten, wohingegen es in der ebenso langen Begleitpartie der zwei Bongos kaum zwei Figuren gibt, die einander gleichen. — Beim vierten Satz (Adagio) handelt es sich um ein Thema mit Variationen. Die Varianten, insgesamt zehn, sind von unterschiedlicher Länge und eng miteinander verbunden. Die Wiederkehr des