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ohiiharmoni Programmblätter der Dresdner Philharmonie — Spielzeit 1970/71 — Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: veb polydruck Werk 3 Pirna - 111-25-12 3.2 ItG 009-45-71 In allen Konzertsalen der Welt gilt Ludwig van Beethovens „Sin- eroica" Es-Dur o p. 5 5 als eines der populärsten sinfonischen I o n i o Meisterwerke der musikalischen Weltliteratur. Die einzigartige Größe dieses Werkes ist breitesten Hörerschichten vertraut, die immer wieder begeistert werden von der Idee und dem wahrhaft revolutionären Kraftstrom dieser Musik. Es ist daher kaum mehr notwendig, in einem Einführungstext formale Einzelheiten von Beethovens „Dritter anzuführen; es sollte darum mehr das große Ganze, das Epochale dieses einmaligen Werkes herausgestellt werden. Fast legendär schon ist die Entstehungsgeschichte der Sinfonie. Beethoven, noch aus seiner Bonner Zeit ein glühender Anhänger von Aufklärung, Demokratie und 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1970 71 der Französischen Revolution, empfing 1798 von General Bernadotte, dem Wiener Gesandten der französischen Republik, die Anregung, ein großes Musik ¬ werk zu Ehren des Revolutionsgenerals Bonaparte zu schaffen und ihm zu widmen. Begeistert griff Beethoven den Vorschlag auf, doch zögerte er mit der Ausführung so lange, bis die Werkidee einer ihm vorschwebenden Heldensinfonie mehr und mehr in ihm reifte, und er auch die technische Meisterschaft zu einem solch großen Vorhaben besaß. Erst im Jahre 1801 sind Skizzen für den Trauer ¬ marsch und das Finale nachweisbar. Die genaue Konzeption und schließliche Ausarbeitung seines Projektes begann Beethoven erst 1803 und beendete sie im Mai 1804. Zweifellos hatte der Meister in Bonaparte den ersehnten Freiheits ¬ neiden und Vollstrecker einer neuen gesellschaftlichen Ordnung gesehen, ver ¬ merkte er doch auf dem Titelblatt seiner neuen Sinfonie: „Geschrieben auf Bonaparte. Doch als sich am 18. Mai 1804 der erste Konsul der französischen Republik zum Kaiser ausrufen ließ, tilgte Beethoven, grausam enttäuscht über die Wandlung seines Idols zum Tyrannen, die Widmung und überschrieb das „Heroische Sinfonie, komponiert, um das Andenken eines fertige Werk nun großen Mannes zu feiern". Darin aber liegt auch die ganze programmatische Idee des Werkes begründet republikanischen allgemein „die Idee vom Heldentum eines von das ganz Tugenden erfüllten großen Mannes, in dessen Erscheinung sich Beethoven die fortschrittlichen politischen und gesellschaftlichen Ziele seiner Zeit repräsentiert vorstellte" (K. Schönewolf), gestaltet, nicht etwa Episoden aus dem Leben Bona ¬ partes. Erstmals ging Beethoven in der „Eroica" — als Konsequenz seiner revo ¬ lutionär-demokratischen Weltanschauung — von einer bestimmten programmati ¬ schen Idee aus. Diese wiederum hatte zur Folge, daß er zu neuartigen künstleri- , ohne dabei etwa die sinfonische Tradition aufzugeben. sehen Lösungen kam Dieses Neue, Epochale der schon rein umfangmäßig ungewöhnlichen 3. Sinfonie bewirkte auch, daß die Uraufführung des Werkes am 7. April 1805 im Theater an der Wien selbst bei den innigsten Anhängern Beethovens keineswegs auf vollstes Verständnis stoßen konnte. Ungewohnt aber erschien Beethovens Zeit ¬ nicht so sehr das scheinbar Maßlose einer bis dahin unerhörten genossen „Musikentladung", sondern mehr noch die neue Ordnung dieser Sinfonie, die das bei Haydn und Mozart Gewohnte unermeßlich steigerte. Es war, kurz gesagt, die erstmals konsequent angewandte Technik der „durchbrochenen Arbeit", ein differenziertes Entwicklungsprinzip des thematisch-motivischen Materials, das seinerseits zur Entfaltung neuer, erweiterter Proportionen bedurfte. Das sinfo ¬ nische Schwergewicht ist auf die wesentlich erweiterte Durchführung, nament ¬ lich des ersten Satzes, gelegt; auch die abschließende Coda hat an Profil und Bedeutung gewonnen. Denkt man an Beethovens 1. und 2. Sinfonie, so werden die Unterschiede gegen ¬ über der 3. deutlich: der beträchtliche Sprung vom Einfachen zum Komplizierten in geistiger, formaler und instrumentatorischer Hinsicht. Die schroffen Disso ¬ nanzen und wilden Ausbrüche, die unerwarteten Modulationen verleihen dem ersten Satz seine bestechende Wirkung. Einmalig in der gesamten sinfonischen Literatur ist wohl die Trauermusik des zweiten Satzes. Zum ersten Male voll ausgeprägt ist Beethovens Scherzotyp im dritten Satz der „Eroica mit seinen hartnäckigen Wiederholungen und dämonischen Steigerungen, die im Trio durch romantischen Hörnerklang unterbrochen werden. Variationsform und Kontra ¬ punktik bestimmen schließlich die ungewöhnliche Anlage des Finales mit seinem Dr. habil. Dieter Härtwig tänzerisch-sieghaften Ausklang. Umwelt, in der das Konzert zum erstenmal erklang, gibt sich das Werk selbst lyrisch und zurückhaltend — bis auf den an aggressiven Elementen reichen und im Klang etwas harten Finalsatz. Ein amerikanischer Kritiker (Gerald Abraham, .Prokofjew als Sowjetbürger') stellte fest: das Wesen des Konzerts liege in der .Betonung der lyrischen Seite seines Wesens unter Verzicht auf seine humorvol ¬ len, grotesken und brillanten Wesenszüge'. Damit ist das zweite Konzert deutlich vom ersten Konzert geschieden, das vom Kontrast zwischen lyrischen und gro- lagen beinahe zwanzig Jahre. Prokofjew tesken Elementen lebte. Dazwischen hatte die Revolution erlebt, war ins Ausland gegangen, nach Jahren heimgekehrt und erfuhr eine innere Revolution, die Neues gebar. Das Neue war das Erlebnis der Freiheit und der Zukunftsfreude in einem Sechstel der Erde, das Prokofjew zur stärkeren Beachtung seiner lyrisch-melodischen Begabung anregte, die er in der Pariser Zeit wenig hatte zu Wort kommen lassen . . . Wie in kleinen Formen versuchte Prokofjew auch in großen Werken wie dem Violinkonzert zu lyrischen und melodischen Gestaltungsprinzipien vorzustoßen, die jede scharfe Harmonik und Instrumentation und ungewöhnliche, konstruktive Melodik meiden. Der Stil des neuen Konzerts ist kammermusikalisch, ohne übertrieben virtuose Elemente. Auffällig ist die wiedergewonnene Vorliebe für den traditionellen Aufbau der die sogar so weit geht, daß Prokofjew in Klang, Melodik und innerer Form, Formstruktur auf romantische Mittel zurückgreift, die den .Schumannianer' der Jahre vor der Emigration verraten. Erstmalig nach langen Jahren ist — vor allem in der Melodik — wieder die russische Intonation spürbar" (F. Streller). Dieser Sprung zur neuen Qualität gelang dem Komponisten auch mit dem fast gleich ¬ zeitig entstandenen Ballett „Romeo und Julia", das in seiner Lyrik mit dem zweiten Violinkonzert verwandte Züge aufweist. Den ersten Satz (Allegro moderato) bestimmen weit ausschwingende, lyrisch ¬ melodische Linien. Das von der Solovioiine angestimmte Hauptthema gibt sich liedhaft, betont national und romantisch im Habitus. Marschrhythmen und Passagen führen zum zweiten Thema, das noch inniger, lyrisch-kantabler ist als das erste und mit seinen weitgespannten Intervallen, empfindsamen Wendungen und eleganten Modulationen zu den schönsten Eingebungen des reifen Prokof ¬ jew gehört. Der konfliktlosen Exposition folgt ein Satzverlauf, der in der Durch ¬ führung auch dramatischere Formen annimmt. — Gelassen und freundlich heil ist die Stimmung des zweiten Satzes (Andante), der an Prokofjews „Klassische Entwicklungsprinzipien geformt ist: Sinfonie" gemahnt und nach klassischen Variation und Polyphonie. Das kantable Thema des Soloinstrumentes erhebt sich über ostinater Trioienbewegung und wird verschiedentlich abgewandelt. - Das bis dahin zurückgehaltene Temperament Prokofjews bricht sich im stürmisch ¬ tänzerischen, ausgelassenen, betont dynamisch-rhythmischen Finale (Allegro ben marcato) seine Bahn. Dieses „Tanzstück" tragen verschiedene thematische Ge ¬ stalten: ein feuriges Hauptthema und zwei Seitengedanken von leidenschaft ¬ lich-drängendem, jedoch kantablen und von unruhig-elegischem Charakter. Die Reprise zeichnet sich durch harmonische „Würzen" in Form ausgelassener Akkordschichtungen aus. Mit bacchantischem Ungestüm, mit einigen harten Akkorden schließt das Werk.