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DRESDNER PHILHARMONIE Sonntag, den 14. März 1971, 20.00 Uhr Saal des Landhauses 5. LANDHAUS-KONZERT Sergej Prokofjew 1891-1953 Sonate für zwei Violinen C-Dur op. 56 (1932) Andante cantabile Allegro Commodo (quasi Allegretto) Allegro con brio Erstaufführung Cornelia Pilz, Violine; Jürgen Pilz, Violine Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Quartett für Oboe, Violine, Viola und Violoncello F-Dur KV 370 (1781) Allegro Adagio Rondo (Allegro) Wolfgang Klier, Oboe; Ulrich Backofen, Violine; Gernot Zeller, Viola; Wolf Saupe, Violoncello PAUSE Arnold Schönberg 1874-1951 Verklärte Nacht op. 4 nach einem Gedicht von Richard Dehmel (1899) Ulrich Backofen, Violine; Sibylle Huck, Violine; Lothar Fiebiger, Viola; Gernot Zeller, Viola; Wolfgang Bromberger, Violoncello; Wolf Saupe, Violoncello; Christian Rolle, Kontrabaß ZUR EINFÜHRUNG Arnold Schönberg wurde im Jahre 1874 in Wien geboren. Er erwarb sich bei seinem Schwager Alexander von Zemlinsky, vor allem aber durch gründliches Selbststudium ein hervorragendes Wissen um den musikalischen Satz. Ab 1902 übte er eine eigene Lehrtätigkeit aus. Zu seinen berühmtesten Schülern gehörten in der Folgezeit Alban Berg, Anton von Webern, Hanns Eisler, Hans Erich Apostel, Hanns Jelinek, Ernst Krenek und Egon Wellesz. 1910 wurde er Lehrer an der Wiener Musikakademie, 1923 Leiter der Meisterklasse für Komposition an der Akademie der Künste in Berlin. Vor dem Faschismus emigrierte er 1933 in die USA, wo er als Professor für Komposition an der Kalifornischen Universität in Los Angeles tätig war. Seit 1944 lebte er hier von einer geringen Rente und verstarb im Jahre 1951. Arnold Schönberg gehört zu den bedeutendsten Exponenten der bürgerlichen sogenannten „Neuen Musik" unseres Jahrhunderts. Sein Name ist aufs engste mit der Herausbildung der zwölftönigen Setzweise in der musikalischen Kompo sition verbunden. („Der Methode, mit zwölf Tönen zu komponieren, gingen viele Vorversuche voraus . . . Einheit und Ordnung waren es, die mich unbewußt diesen Weg geführt hatten.") Schönbergs dritter Schaffensabschnitt brachte die Aufstellung der Lehre von den zwölf aufeinander bezogenen Halbtönen der Oktave, mit der der Komponist verantwortungsbewußt der Aufhebung der tonalen Bindungen in der bürgerlichen Musik seiner Zeit entgegenzutreten versuchte. Eine Synthese aus konstruktiver Logik und stärkster Expression, geniale Begabung, ein mathematisch-fundiertes System mit künstlerischer Intensität und musikali schem Ausdruck zu erfüllen — das ist es, was Schönbergs musikgeschichtliche Leistungen kennzeichnet, über deren Größe und Grenzen Hanns Eisler treffliche Beobachtungen und Analysen angestellt hat, die dem „Phänomen" Schönberg im Anerkennenden wie im Kritischen sehr gerecht werden. Obwohl Schönberg selbst sagte: „Musik, die nicht aus dem Innern ihres Schöpfers kommt, kann nie gute Musik sein . . .Auch in heutiger Zeit entbehrt ein Komponist ohne Romantik grundsätzlich der menschlichen Substanz", immer nach besten Kräften danach handelte und in den Spätwerken der Emigrationszeit mehrfach zu tonalen Zentren zurückkehrte, spielen seine Werke im praktischen Musikleben unserer Zeit immer noch nicht wenig mehr als eine periphere Rolle. Der im Wien der Jahrhundertwende aufgewachsene Schönberg begann seine künstlerische Entwicklung als Spätromantiker und enthusiastischer Apologet der Wagnerschen „Zukunftsmusik". Seine frühen Werke bis zur sinfonischen Dichtung „Pelleas und Melisande" stehen im Banne eines Brahms, Mahler, Richard Strauss und vor allem eines übersteigerten Wagnerismus. Schönberg versuchte zunächst, die bisher gültige Tonalität und Ausdrucksbasis zu erweitern und zu verfeinern - das führte zu klangschwelgerischer und formaler Hypertrophie, wie es in dem heute erklingenden Opus 4 Schönbergs der Fall ist: „Verklärte Nacht" ist die Schöpfung eines im Banne von Richard Wagners „Tristan und Isolde" stehenden jungen Komponisten. Das Werk wurde 1899 für Streichsextett ent worfen und später (1917 1943) auch für Streichorchester eingerichtet. Nachdem das Werk 1966 von der Dresdner Philharmonie in der Orchesterfassung musiziert wurde, erklingt es heute in seiner ursprünglichen kammermusikalischen Fassung, lediglich verstärkt durch einen Kontrabaß. Es ist eine Musik von großer Schönheit und zwingender Ausdruckskraft, reich an Farben und Stimmungen, schwärmerisch, lyrisch, verklärt und ekstatisch. Sie folgt sehr empfindsam den wechselnden Stimmungen des gleichnamigen Gedichtes (1896) von Richard Dehmel, das der Komposition zugrunde liegt: Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain; kalten Hain; der Mond läuft mit, sie schaun hinein. Der Mond läuft über hohe Eichen kein Wölkchen trübt das Himmelslicht, in das die schwarzen Zacken reichen. Die Stimme eines Weibes spricht: Ich trag' ein Kind, und nit von Dir ich geh in Sünde neben Dir. Ich hab' mich schwer an mir vergangen. Ich glaubte nicht mehr an ein Glück und hatte doch ein schwer Verlangen nach Lebensinhalt, nach Mutterglück und Pflicht; da hab' ich mich erfrecht, da ließ ich schaudernd mein Geschlecht von einem fremden Mann umfangen, und hab' mich noch dafür gesegnet. Nun hat das Leben sich gerächt: nun bin ich Dir, o Dir begegnet. Sie geht mit ungelenkem Schritt. Sie schaut empor; der Mond läuft mit. Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht. Die Stimme eines Mannes, spricht: Das Kind, das Du empfangen hast, sei Deiner Seele keine Last, o sieh, wie klar das Weltall schimmert! Es ist ein Glanz um Alles her, Du treibst mit mir auf kaltem Meer, doch eine eigene Wärme flimmert von Dir in mich, von mir in Dich. Die wird das fremde Kind verklären Du wirst es mir, von mir gebären; Du hast den Glanz in mich gebracht, Du hast mich selbst zum Kind gemacht. Er faßt sie um die starken Hüften, Ihr Atem küßt sich in den Lüften. Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht. Bewundernswert hat Schönberg in dem einsätzigen Stück, das kaum etwas von der späteren Entwicklung seines Schöpfers ahnen läßt, die Möglichkeiten des gewählten Instrumentariums ausgenutzt, eine überwältigende Fülle von Klang farben und Effekten erzielt. Der unendliche Reichtum der Melodien und üppig sinnlichen Harmonien entkräftet nicht zuletzt jene Behauptungen, Schönbergs Hinwendung zur sogenannten „Atonalität" und Dodekaphonie sei das Einge ständnis der Unfähigkeit, „schöne" Musik schreiben zu können. Formal sind hier Sonatenhauptsatz und Sonatenzyklus ineinander verschränkt.