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Donnerstag, den 4. März 1971, 20.00 Uhr Freitag, den 5. März 1971, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden Dirigent: Klaus Tennstedt, Schwerin Solist: Walerij Klimow, Sowjetunion, Violine Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 PAUSE Sinfonie C-Dur op. posth. Scherzo (Allegro vivace) Allegro vivace Andante — Allegro ma non troppo Andante con moto Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace Franz Schubert 1797-1828 Johannes Brahms 1833-1897 DRESDNER PHILHARMONIE KLAUS TENNSTEDT, der zu den bedeu tendsten Dirigentenpersönlichkeiten un serer Republik gehört, wurde 1926 ge boren. Er studierte in den Jahren 1942 bis 1944 Violine und Klavier an der Hochschule für Musik in Leipzig, wirkte dann zunächst als Konzertmeister in Hei delberg und Halle, ehe er 1951 in Halle zum Kapellmeisterberuf überwechselte. Von 1954 bis 1957 war er als Kapell meister an den Städtischen Theatern in Karl-Marx-Stadt tätig. 1958 ging er als Musikalischer Oberleiter an die Landes bühnen Sachsen in Dresden-Radebeul und wurde hier zum Generalmusik direktor ernannt. 1962 bis 1969 wirkte er als Musikalischer Oberleiter am Meck lenburgischen Staatstheater Schwerin und entfaltet seitdem eine umfangreiche Gastspieltätigkeit. Konzertreisen führten den Künstler u. a. in die CSSR, nach Westdeutschland, Schweden, Jugosla wien, Österreich und in die Sowjet union. 1966 erhielt er den Fritz-Reuter- Kunstpreis, 1968 den Kunstpreis der DDR. Der schwedische Rundfunk Göte borg verpflichtete ihn kürzlich zu einer Reihe von Produktionen, gegenwärtig absolviert er am Theater der gleichen schwedischen Stadt einen viermonatigen Gastvertrag. Außerdem leitet er die Aufführungen des von ihm musikalisch einstudierten Balletts „Undine" von Hans Werner Henze an der Komischen Oper Berlin. Bei der Dresdner Philharmonie war er seit 1966 alljährlich zu Gast. WALERIJ KLIMOW wurde 1931 in Kiew geboren. Der Dirigent Alexander Klimow erteilte seinem Sohn die ersten Musikstunden. In der Odessaer Musikschule war er Schüler von Peter Stoljarski. Sein Studium setzte er an zwei Musikhochschulen fort — am Kiewer und am Moskauer Konser vatorium, das er im Jahre 1956 als Schüler von David Oistrach absolvierte, unter dessen Leitung er sein Können anschließend in der Meisterklasse des Konservatoriums vervollkommnete. Seine Konzerttätigkeit in vielen Städten der Sowjetunion begann Klimow im Jahre 1951, in dem er noch als Student im Wettbewerb der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin den 2. Preis erwarb. Das Jahr 1955 brachte Klimow einen Preis im Marguerite-Long und Jacques-Thibaud-Wettbewerb in Paris. 1956 gewann er den 1. Preis des Internationalen Slavik- und Ondricek- Violinisten-Wettbewerbes, 1958 erhielt er den 1. Preis im Internationalen Tschai- kowski-Wettbewerb Moskau. Walerij Klimow wurde als einer der ersten jun gen Geiger mit dem Titel „Verdienter Künstler der RSFSR" ausgezeichnet. Große Erfolge errang er auf Konzert reisen in der CSSR, in Japan, der SR l Rumänien, Finnland, der VR Bulgarien, in den USA, der VR China, Australien, Neuseeland, Iran, in der VR Ungarn, Türkei, Italien, Kanada und in der DDR. Mit der Dresdner Philharmonie konzer- tierte er bereits 1957. ZUR EINFÜHRUNG Johannes Brahms schrieb sein einziges, im Jahre 1878 komponiertes Vio linkonzert D-Dur op. 77 für seinen langjährigen Freund, den berühm ten Geiger Joseph Joachim, der ihm auch bei der Ausarbeitung der Solostimme in violintechnischen Fragen ratend zur Seite stand (ohne daß Brahms allerdings auf alle Änderungsvorschläge Joachims eingegangen wäre). „Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und vielleicht einige hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.", können wir in einem Brief vom August 1878 an Joachim lesen, den der Komponist ihm zusammen mit der zu begutachtenden Violinstimme schickte. In seiner Antwort darauf bemerkte der Geiger, daß „das meiste . . . herauszukriegen" und ein Teil sogar „recht originell violinmäßig" sei. Bereits am Neujahrstag des folgenden Jahres wurde das in einer glücklichen, fruchtbaren Schaffensperiode entstandene Werk (auch die zweite Sinfonie D-Dur und das zweite Klavierkonzert B-Dur stammen aus dieser Zeit und zeigen manche dem Violinkonzert verwandte Züge) mit Joachim als Solisten unter Brahms’ Leitung in Leipzig uraufgeführt. Das Konzert, das sich in bezug auf Aussage, Form und Anlage außerordentlich vom Typ des zeitgenössischen Virtuosenkonzertes unter scheidet, war vom Komponisten zuerst viersätzig geplant worden. Da Brahms aber „über Adagio und Scherzo gestolpert ist", komponierte er den Adagio-Satz neu und ließ die beiden ursprünglichen Mittelsätze wegfallen. Trotzdem ist die aus gesprochen sinfonische Anlage des Konzertes unverkennbar. Schon Clara Schu mann äußerte nach dem Kenneniernen des ersten Satzes, „daß es ein Konzert ist, wo sich das Orchester mit dem Spieler ganz und gar verschmilzt." Niemals ist die virtuose Violintechnik hier Selbstzweck, wie bei so vielen zeitgenössischen Solokonzerten, sondern in vertiefter, gehaltvoller Gestaltung stets als dienendes Glied in den sinfonischen Ablauf eingefügt, wobei (für Brahms’ Zeit ganz neue) große Aufgaben an den Solisten gestellt werden. In seiner größtenteils lyrisch heiteren, innig-warmen Grundstimmung seiner klassisch ausgewogenen Form gehört das Brahmssche Violinkonzert zu den schönsten, vollendetsten und berühm testen Werken dieser Gattung. Das weiche, in ruhigen D-Dur-Dreiklängen auf- und absteigende Hauptthema des großangelegten ersten Satzes (Allegro non troppo) erklingt eingangs in Bratschen, Violoncelli, Fagotten und Hörnern und findet seine Weiterführung in einer sehnsüchtigen Oboenmelodie. In der ausgedehnten sinfonischen Orchester einleitung werden noch weitere Nebengedanken entwickelt. Darauf setzt nach einem rhythmisch scharf betonten, später vom Solisten erweiterten Seitenthema kadenzartig das Soloinstrument ein, in gleichsam improvisatorischen Umspielun gen zum Hauptthema findend. Nachdem auch das eigentliche zweite, sehr kan- table Thema von der Solovioline vorgetragen wurde, werden im spannungsvollen Durchführungsteil die verschiedenen Themen und Motive in mannigfachsten Aus drucksschattierungen verarbeitet. Die an die Reprise anschließende Kadenz des Solisten hat Brahms nicht selbst ausgeschrieben. In den höchsten Lagen der Violine ertönt danach noch einmal friedvoll die Anfangsmelodie, dann beschließt eine kurze, kraftvolle Coda den Satz. Ein wunderschönes, echt „Brahmssches" Adagio bildet den Mittelsatz des Werkes. Der poesievolle dreiteilige Satz wird von den Bläsern eingeleitet, wobei die Oboen, von den übrigen Holzbläsern und zwei Hörnern begleitet, das liebliche F-Dur-Hauptthema zum Vortrag bringen, das dann von der Solovioline aufge griffen und variierend weitergesponnen wird. Nach einem leidenschaftlichen, weit gehend vom Solisten getragenen fis-MolI-Mittelteil wird das Anfangsthema wie der aufgenommen; arabeskenhaft umspielen die Figuren des Soloinstrumentes den Oboengesang. Das abschließende feurige Allegro giocoso, in Rondoform aufgebaut, beginnt