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ZUR EINFÜHRUNG An Paul Büttners große Bedeutung muß immer wieder erinnert werden. Dirigenten, Orchester, Instrumentalsolisten sorgen dafür, daß sein Ruhm als Komponist lebendig bleibt, daß ein Unrecht wieder gutgemacht wird, das Paul Büttner angetan worden ist, da ihn die Faschisten totschwiegen und auslösch ten aus der Liste der Geltenden. Als er vereinsamt am 15. Oktober 1943 in Dresden gestorben war, sollte die Öffentlichkeit nichts davon erfahren. Der Grund dafür war, daß er als Chordirigent, Musikkritiker und Komponist im Bunde mit der Arbeiterklasse gewirkt hatte: 30 Jahre lang als Leiter von großen Volkschören und 20 Jahre lang als Musikkritiker der „Dresdner Volks zeitung", für echte hohe Kunst eintretend, die er dem Volke zugänglich zu machen unermüdlich und erfolgreich sich mühte. Auch später, als Künstlerischer Direktor des Dresdner Konservatoriums, ließ er sich bei der Erziehung des Nach wuchses von den gleichen Grundsätzen leiten, wobei auch die Einrichtung einer Volksmusikschule zur Ausbildung von Laien eine Gedanken unserer Zeit vor wegnehmende Tat war. (Als Ehrung erhielt 1962 die Dresdner Musikschule den Namen Paul-Büttner-Musikschule). Geboren am 10. Dezember 1870 in Dresden, von erzgebirgischen Bauern stam mend, schon als Kind musizierend und komponierend und bei Felix Draeseke in die Lehre gegangen, schrieb Büttner bereits 1894 seine 1. Sinfonie F-Dur. Kein Geringerer als Arthur Nikisch ist es gewesen, der auf ihn — wie ehedem auf Anton Bruckner, mit dem Paul Büttner manches verbindet — aufmerksam machte. Unter seiner Leitung erklang im Leipziger Gewandhaus 1915 Büttners 3. Sinfonie in Des-Dur, und damit war der Komponist schlagartig ins rechte Licht gerückt. Das Kernstück seines Schaffens bilden vier Sinfonien, um die sich ein Kranz weiterer Werke wie Chorwerke mit und ohne Orchester sowie Kammermusik legt. In seinen Sinfonien konzentriert sich Büttner auf die Ausdrucksmöglichkeiten emotionaler Art, die in der Form der klassischen Sinfonie und ihrer Dialektik enthalten sind. Er knüpft an diese Form an und erneuert sie. Eigenwüchsige Gedanken werden in moderner Harmonik und Instrumentation ausgedrückt; dazu kommt, ähnlich wie bei Bruckner, eine stark kontrapunktische Verzahnung — höchst gelehrte, aber stets vollkommen natürlich anmutende Musik. Als echter Sinfoniker ist Büttner besonders ein Meister der langsamen Sätze; er hat den großen Atem dafür wie kaum einer seiner Zeitgenossen. So schließt sich alles zusammen: großangelegte Architektur, elementares Leben aller Stimmen, lei denschaftlicher Höhenflug der Gedanken und blühende, oft von der deutschen Volkslied-Intonation befruchtete Melodik. Das gilt im einzelnen auch von der Sinfonie Nr. 4 h-Moll aus dem Jahre 1919. Nach der jugendlichen kraftstrotzenden 1. Sinfonie F-Dur, nach der frühlingshaft hellen „Zweiten” in G-Dur und der erhaben-leidenschaftlichen 3. Sinfonie — eben jener, mit der Nikisch die Welt auf Büttner aufmerksam machte — imponiert diese 4. Sinfonie durch ihre Monumentalität. Ihr Einfalls reichtum ist sowohl in der thematischen Formung wie in der orchestralen Fassung überlegen gebändigt. Der Komponist hat uns mit seiner „Vierten“ ein Werk geschenkt, in dem die gewaltigen ureigensten rationalen und emotionalen Kräfte, die im Volke vorhanden sind, sich in musikalischen Formen tönend offen baren. Das mag auch das Leitwort andeuten, das Büttner seiner Partitur voran gestellt hat: „Gleich metallnem Spiegel ist meine Seele. Deine Welten spiegeln sich in ihr und sie tönt im Brausen Deiner Wetter . . ." Alle Gefühlsskalen des menschlichen Erlebens finden wir in dem Werk: den grüblerisch-tiefen Ernst im ersten Satz, in dem aus geheimnisvoller Tiefe das synkopische Kopfthema aufsteigt, dann die ungebrochene Kraft im zweiten Satz, einem wild dahinstürmenden Scherzo, im dritten Satz, dem gefühlsstarken Andante maestoso, einen Ausdruck, der bei aller seelenvollen Wärme fern jeder Sentimentalität bleibt. Nach der beseligenden Ruhe dieses Andante springt der letzte Satz kühn an, über dem die Vortragsbezeichnung „flammend" steht. Dieses Finale weitet sich über naturnahe Episoden zu mächtiger hymnischer Steigerung, in der am Schluß der allererste Gedanke der Sinfonie dominiert. Diese choralartige Schlußapotheose drückt jedoch keinen Erlösungswunsch aus, sondern das standhafte Vertrauen in die unerschöpfliche Kraft des Volkes — beim Verschweben an Beethovens Ausspruch gemahnend: „Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie". Karol Szymanowski gilt als der bedeutendste polnische Komponist nach Chopin. Schon in jungen Jahren errang er aufsehenerregende Erfolge. Von der Spätromantik ausgehend (besonders von Reger und Debussy), fand er bald den Weg zu der „modernen Musik" der Jahre um 1910, mit deren vielfältigen Strö mungen er sich lebhaft auseinandersetzte, über Szymanowskis Schaffen in dieser Zeit schreibt der polnische Musikwissenschaftler Tadeusz Marek in einer Studie u. a.: „So viele Anregungen und faszinierende Vorbilder Szymanowski auch verwertete — stets versuchte er, Fremdes in seiner Arbeit zu überwinden und zur eigenen Aussage, zur selbständigen Form vorzudringen." In dieser Schaf fensperiode, und zwar im Jahre 1916, entstand das 1. Violinkonzert. In seinem letzten Lebensjahrzehnt gelangte der vielseitig gebildete und für alle Probleme seiner Zeit interessierte Komponist dann zu einem deutlich national ausgeprägten Stil. Er setzte sich mit der originellen Volksmusik der Go- ralen, der Bergbewohner der Hohen Tatra, auseinander. Besonders deutlich fand dies in dem an vielen europäischen Bühnen aufgeführten kraftstrotzenden Ballett „Harnasie" seinen Niederschlag. Andere bedeutende Werke Szymano wskis sind die Oper „König Roger“, das „Stabat mater“, die 3. und 4. Sinfonie sowie Kammermusik, Lieder und Klavierstücke. Szymanowski gehörte zu der Komponistengruppe des sogenannten „Jungen Polen" und hatte großen Ein fluß auf die Entwicklung der polnischen Musik bis in die Gegenwart. Die polnische Musikwissenschaftlerin Zofia Lissa äußerte über das Violin konzert Nr. 1 o p. 3 5 von Szymanowski: „Interessant und für ein Instrumen talkonzert selten ist an ihm, daß es ein Programm hat, und zwar das Gedicht .Maiennacht' des polnischen Dichters Tadeusz Micinski. Ein heidnisches Frühlings fest, Liebestänze der Natur unter einem funkelnden, sternenübersäten Frühlings himmel — das sind die Bilder, die den Komponisten zu den beiden ersten Teilen des im Grunde genommen einsätzigen Konzertes angeregt haben. Die poeti schen Klangbilder sind in diesem Konzert mit orientalischen Impressionen verbunden, die der Komponist auf seinen Reisen in den Süden und den Nahen Osten empfangen hatte. Hinsichtlich der musikalischen Mittel nähert sich Szy manowski in diesem Werk dem Stile der französischen Impressionisten wesent lich mehr als in der dritten Sinfonie. Kurzen, flackernden und sprühenden Motiven im Orchester steht eine lange, geschmeidige und gebrochene, stark chromatische Linienführung der Solovioline gegenüber. Um sie herum lodert und schillert das Orchester und erzeugt mit seinen Motiven und Farben eine eigentümliche Stimmung, die den farbigen Hintergrund für den recht komplizierten Solopart bildet. Man kann hier schwer lich von einer bestimmten thematischen Arbeit sprechen. Einzelne Abschnitte sind im Ganzen des Konzertes zu unterscheiden: Auf die kurze Orchestereinleitung folgt ein lyrischer Teil, danach ein an ein Scherzo erinnernder Abschnitt, dann wieder ein lyrischer Teil mit einem Motiv, das der