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ZUR EINFÜHRUNG Nach der Oper „Herzog Blaubarts Burg" (1911) und dem Ballett „Der holz geschnitzte Prinz“ (1914—1916) wandte sich Bela Ba rtök mit der Pantomime in einem Akt „Der wunderbare Mandarin" op. 19 ein letztes Mal der Musikbühne zu. Das nach einem Libretto von Menyhert Lengyel geschaffene Werk entstand in der Zeit vom Oktober 1918 bis Mai 1919. Die eigenartige Handlung des Stückes ist folgende: In einem ärmlichen Vorstadtzimmer zwingen drei Strolche ein Mädchen, Männer, die ausgeraubt werden sollen, von der Straße heraufzulocken. Ein schäbiger Kavalier und ein schüchterner Jüngling, die der Lockung Folge leisten, werden als arme Schlucker hinausgeworfen. Der dritte Gast ist der unheimliche Mandarin. Das Mädchen sucht seine angsterre gende Starrheit durch einen Tanz zu lösen, aber da er sie ängstlich umfängt, flieht sie schaudernd vor ihm. Nach wilder Jagd holt er sie ein, da stürzen die Strolche aus ihrem Versteck, plündern ihn aus und versuchen, ihn unter Kissen zu ersticken. Aber er erhebt sich und blickt sehnsüchtig nach dem Mädchen. Da durchbohren sie ihn mit dem Schwert: er wankt, aber seine Sehnsucht ist stärker als die Wunden: er stürzt sich auf das Mädchen. Da hängen sie ihn auf: aber er kann nicht sterben. Erst als man den Körper herabgenommen und das Mädchen ihn in die Arme genommen hat, fangen seine Wunden an zu bluten, und er stirbt. „Die grauenerregende Atmosphäre dieses Balletts ist nur aus der Situation seiner Entstehungszeit zu verstehen. Nachdem Bartök in dem Ballett ,Der holzge schnitzte Prinz' nach einem ungarischen Volksmärchen die humanistische Idee des Sieges echter Liebe über den äußeren Schein gestaltet hatte, ist ,Der wun derbare Mandarin' als ein künstlerisches Abbild gegen die Verlogenheit und Unmenschlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft zu werten, die den Menschen zum Verbrecher macht und den bis dahin grausamsten aller Kriege entfesselt hat. Für den Librettisten und den Komponisten war im Kriegsjahr 1918 die echte Alternative zur verderbten, verkommenen bürgerlichen Gesellschaft, die sie haß ten, noch nicht eine neue, von der Arbeiterklasse geführte Gesellschaftsordnung, in der erst wahre Menschlichkeit herrschen würde. Wie viele andere Künstler jener Zeit stellten sie der verbrecherischen, entmenschten Zivilisation die Urkraft des Barbarischen, Primitiven gegenüber, die hier in der Gestalt des dämonischen Mandarins erscheint. In vielen Werken Bartöks zwischen dem seinerzeit aufsehen erregenden Klavierstück .Allegro barbaro' (1911) und dem Ballett .Der wunder bare Mandarin' herrscht die Urkraft einer heftigen, aber sehr differenzierten Rhythmik vor, die bei ihm jedoch niemals zum seelenlosen Maschinismus ent artet, sondern stets ihre Wurzeln in der Volksmusik hat. So ist Bartöks .Barbaris mus' durchaus von einem kämpferischen Humanismus durchdrungen, der sich dem Verfall entgegenstemmt. Die Urkraft des Mandarins erweckt in diesem Ballett die echten Gefühle des Mädchens. Damit siegt auch hier die unbezähm bare menschliche Liebe über das Lebensfeindliche, Verderbte, ja über den Tod. Es dauerte lange, ehe ,Der wunderbare Mandarin' sich auf den Bühnen durch setzte. Zweimal war eine Aufführung in Budapest geplant, beide Male kam sie nicht zustande. Nach der Uraufführung in Köln 1926 mußte das Werk abgesetzt werden, da der damalige Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, auf Antrag der Zentrumsfraktion weitere Aufführungen verbot. Erst im Jahre 1942 brachte der in Ungarn geborene Choreograph Aurel Milloss das Werk in der Mailänder Scala heraus. Todd Bolender machte für das New York City Ballet eine neue Choreographie. Und am 9. Dezember 1945, also kurz nach der Befreiung vom Faschismus, fand die ungarische Erstaufführung in der brillanten Choreographie von Gyula Harangozö statt. In zahlreichen weiteren Aufführungen an deutschen Operntheatern, in England und in anderen Ländern errang dieses Ballett von Bela Bartök breite Anerkennung." (E. Rebling). Sicher hat die expressionistische Leidenschaftlichkeit und Grellheit des „Wunder baren Mandarins" das Verständnis des Werkes einst erschwert, die Hörer er schreckt.. Heute jedoch hat die höchst eindringliche, bis an die Grenze des Möglichen mit Spannung geladene, auch Geräuschelemente (aus dem Groß stadtleben) einbeziehende Tonwelt des Stückes ihren Schrecken verloren; nichts kann uns mehr bestimmen, die eindeutig ethische Absicht des Komponisten zu verkennen. Bartök arrangierte übrigens fast zwei Drittel des Ballettes zu einer sinfonischen Suite für Konzertaufführungen, die eine gewisse Dreiteilung, Allegro, Lento — ein Walzer — und ein Finale, erkennen läßt. Zitternde Vibratowirkungen der Blasinstrumente, Glissandi der Violinen und des Klaviers zeichnen das Grauen der Stückatmosphäre, brutale Akkorde kommentieren den unmenschlichen Cha rakter der Strolche, orientalische Töne deuten auf die Gier des Mandarins, auf seine Jagd nach dem Mädchen. Bartök schuf drei Konzerte für Klavier und Orchester. Das seiner zweiten Frau, der Pianistin Ditta Päsztori, gewidmete 3. Klavierkonzert entstammt den letzten Lebensmonaten des Komponisten, der die Partitur nicht mehr selbst voll enden konnte. Die letzten siebzehn Takte des ursprünglich als Konzert für zwei Klaviere geplanten Werkes, an dem er noch auf dem Sterbebette arbeitete, wur den nach seinem Tode von einem Schüler und Freund, Tibor Serly, nach Skizzen ergänzt. Bestimmend für den Charakter des 3. Klavierkonzertes sind die Merk male des Bartökschen Spätstiles. Unerhörte Durchgeistigung des Ausdrucks, abgeklärte Schlichtheit und beseelte Heiterkeit der musikalischen Sprache kenn zeichnen dieses formal vollendet ausgewogene, klanglich vielfach sehr trans parente und aufgelockerte Werk. Bei völlig ungebrochener Aussagekraft läßt das auf einer Höchststufe reifer Meisterschaft entstandene Konzert im Ver gleich mit früheren Kompositionen Bartöks ganz neue geistige und klangliche Wesenszüge erkennen. Bedeutsam wurden hier im Gegensatz zu den vorwiegend vom rhythmischen Element bestimmten beiden ersten Klavierkonzerten vor allem auch die Elemente der Melodik und Harmonik eingesetzt. Trotz großer Über sichtlichkeit und Klarheit des Satzes gibt auch in diesem Werk der brillante Klavierpart dem Solisten Gelegenheit, in reichem Maße virtuose Fähigkeiten zu entfalten. Im lebensvollen Eröffnungssatz (Allegretto) ertönt über tremolierenden Streicher klängen das scharf profilierte, fröhliche Anfangsthema des Soloinstrumentes. Zu sammen mit den verschiedenen Motiven des gleichfalls heiteren zweiten Themas wird es im mittleren Teil des Satzes zu einer einheitlichen Steigerung geführt. — Der zweite Satz, ein wunderbares, Innigkeit und abgeklärte Ruhe ausströmendes Adagio mit der Bezeichnung „religioso", bringt eine vom Klavier vorgetragene choralartige Melodie, die von kanonisch gearbeiteten Streicherzwischenspielen unterbrochen wird. In der Mitte des Satzes wurde ein kontrastierender Teil ein gefügt, der von Serly „Musik der von Vögeln und Insekten erfüllten Nacht" ge nannt worden ist und Eindrücke und Stimmungen des Komponisten bei einsamen Spaziergängen widerspiegeln soll, auf denen er den Gesang der Vögel studierte.