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DRESDNER PHILHARMONIE Sonntag, den 24. Januar 1971, 20 Uhr Saal des Landhauses 3. LANDHAUS-KONZERT Ausführende: Hannerose Katterfeld, Berlin, Alt Bläserquintett der Dresdner Philharmonie: Helmut Rucker, Flöte Gerhard Hauptmann, Oboe Werner Metzner, Klarinette Lothar Böhm, Horn Helmut Radatz, Fagott Siering-Quartett der Dresdner Philharmonie: Günter Siering, 1. Violine Siegfried Koegler, 2. Violine Herbert Schneider, Viola Erhard Hoppe, Violoncello Andreas Wilhelm, Klavier Karl Jungnickel, Schlagzeug Gerald Becher, Vibraphon Heinz Schmidt, Kontrabaß Anton von Webern 1883-1945 Aiban Berg 1885-1935 Streichquartett op. 28 (1938) Mäßig Gemächlich Streichquartett op. 3 (1910) Langsam — Etwas rascheres Tempo Mäßige Viertel — Bewegter Johannes Paul Thilman Die Sage unseres Tages geb. 1906 Liederzyklus nach Gedichten von Georg Maurer für eine Altstimme, Flöte, Oboe, Fagott, Klavier, Schlagzeug, Vibraphon und Streichquartett (1970) Arbeit ist die große Selbstbegegnung des Menschen Improvisation I In meiner Hirnschale trag ich die Gedanken der Welt Improvisation II Krieg wandelt sich in Arbeit Improvisation III Was ist dies liebliche Flüstern Improvisation IV Alle Gerüche der Rosen Improvisation V Und der Streit wird Tanz Zum 65. Geburtstag des Komponisten am 11. Januar 1971 Uraufführung PAUSE Louis Spohr 1784-1859 Nonett für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola, Violoncello und Kontrabaß F-Dur op. 31 (1813) Allegro Scherzo (Allegro) Adagio Finale (Vivace) ZUR EINFÜHRUNG Der Österreicher Anton von Webern, als Komponist der wohl konse quenteste Schüler Arnold Schönbergs, in den Jahren 1921 bis 1934 angesehener Dirigent der Wiener Arbeiter-Sinfoniekonzerte, seit 1923 auch des Wiener Arbeiter-Singvereins, 1945 von einem amerikanischen Besatzungssoldaten erschossen, erlebt seit den 50er Jahren eine erstaunliche Renaissance in west europäischen Ländern, während er zu Lebzeiten mit seiner esoterischen Kunst in zunehmende Isolation geriet. Neben der Vokal- und Orchestermusik nimmt die Kammermusik in seinem Schaffen weiten Raum ein. Im Gegensatz zum Frühwerk des Bergschen Streichquartettes repräsentiert Weberns Streichquartett op. 28, das 1938 komponiert wurde, die letzte und wohl bezeichnendste Schaffensphase dieses Komponisten. Wie stets bei Webern sind die einzelnen Sätze des Werkes, hier handelt es sich um drei, zu musikalischen Kleingebilden zusammengeschrumpft. Hand in Hand mit diesem Prinzip stärkster Konzentration, diesem Streben nach möglichster Ver dichtung der Form auf der Basis einer streng gehandhabten Zwölftontechnik geht die Hinwendung zu einer gesteigerten Kontrapunktik. „Diese verbindet er mit der von Schönberg übernommenen .Klangfarbenmelodie'; sie führt zu einer Zerlegung des thematischen Bestandes in einzelne .Klangpunkte', welche, zusammengenommen, die Klangfarben-Melodie ergeben“ (W. Zentner). Um der Zersplitterung des Satzgefüges in lauter Einzeltöne durch seinen „punktuellen" Stil zu entgehen, faßte er die Einzeltöne in Gruppen bzw. Gruppenreihen zusammen. Dennoch kann ein so kunstvoll gefügtes Werk wie das Webernsche Streichquartett op. 28 nicht ganz die Gefahren einer im Grunde abstrakten Gestaltungsweise vermeiden. Der österreichische Komponist Alban Berg, anfänglich kleiner Wiener Beam ter, in den Jahren 1904 bis 1910 Schüler von Arnold Schönberg, dessen spätere Kompositionsmethode „mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen" in persönlicher Modifizierung Grundlage seines Schaffens wurde, 1930 zum Mitglied der Preu ßischen Akademie der Künste ernannt und 1933 von den Faschisten verboten, schuf mit seiner 1925 von Erich Kleiber an der Berliner Staatsoper uraufgeführten Oper „Wozzeck" ein Hauptwerk des musikalischen Expressionismus, das würdig neben den Leistungen der expressionistischen Maler Marc, Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Kirchner, Kokoschka steht. Das nicht sehr umfangreiche, jedoch höchst bedeutende Gesamtwerk Bergs gipfelt fraglos im musikdramatischen Teil, ausgenommen sei das musikgeschichtliche Ausnahmewerk des Violinkonzertes, sein Schwanengesang, vollendet vier Monate vor seinem Tode am Weihnachts abend 1935 in Wien. Bei dem Streichquartett op. 3 handelt es sich um ein geniales Jugend werk des Komponisten, das dieser 1910, im Alter von 25 Jahren, schrieb und das nach der Wiener Uraufführung von 1911 viele Jahre lang unbeachtet geblieben ist, obwohl es Alban Berg und sein Freund Webern sehr geschätzt haben. In diesem Werk, das letzte, das noch unter Schönbergs direkter Anleitung entstand, gelangte Bergs schöpferische Individualität mit einer gleichsam „explosiven dramatischen Unmittelbarkeit" zum Durchbruch. Es ist erstaunlich, wie hier die künftige Eigenentwicklung des Komponisten vorweggenommen ist, selbst wenn noch unverkennbare Anklänge an Richard Strauss, Gustav Mahler und den frühen Schönberg begegnen. In der nur zweisätzigen Arbeit bildet gewisser maßen der zweite Satz eine Art Durchführung zur Exposition des ersten; denn dessen melodische Gestalten sind durchweg Varianten, Ableitungen des ersten. Neben einer ausgeprägten thematischen Variationstechnik ist eine betonte „Tonalitätsverschleierung" kennzeichnend für das interessante, expressive Werk.