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Festsaal des Kulturpalastes Dresden 3. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Elisabeth Leonskaja, Sowjetunion, Klavier Claude Debussy 1862-1918 Pre'ude ä l'apres-midi d'un faun (Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns) Maurice Ravel 1871-1937 Konzert für Klavier und Orchester G-Dur Allegramente Adagio assai Presto PAUSE Ludwig van Beethoven 1770-1827 Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 19 Allegro con brio Adagio Rondo Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie B-Dur KV 319 1756-1791 Allegro assai Andante moderato Menuetto Finale (Allegro assai) ELISABETH LEONSKAJA, eine hochbegabte junge Vertreterin der sowjetischen Pianistenschule, stammt aus Tbilissi. Im Alter von sieben Jahren begann ihre Ausbildung an einer Musikschule ihrer Heimatstadt. 1959 gab die damals Vierzehnjährige ihr erstes öffentliches Konzert. 1963 gehörte sie zu den besten Teilnehmern des Wettbewerbs anläßlich des „Prager Frühling“, und ein Jahr später errang sie den ersten Preis und die Goldmedaille des Internationalen Enescu-Wettbewerbs in Bukarest. Im gleichen Jahr wurde sie in das Moskauer Konservatorium als Schülerin von Prof. Milstein aufgenommen. Als Gewinnerin des dritten Preises ging die Künstlerin 1965 aus dem schwierigen Marguerite-Long-Jaques-Thibaud-Wettbewerb in Paris hervor. Seither konzertierte sie in vielen Städten der Sowjetunion und auch im Ausland, so u. a. in Finnland, Belgien, in Rumänien, in der DDR. Doch nicht nur als Solistin trat Elisabeth Leonskaja erfolgreich hervor, sondern auch als Duopartnerin ihres Gatten, des namhaften sowjetischen Geigers Oleg Kagan, sowie als Mitglied eines Klaviertrios, dem neben Oleg Kagan die Cellistin Natalia Gutman angehört. Komponisten Robert Oboussier sei fortgefahren: „Er löste die abstrakte Archi tektonik der traditionellen Form auf und setzte an ihre Stelle das Bild einer klangoptischen Vorstellung . . . Wo immer wir seinem Klang begegnen, berührt uns seine Helligkeit und Schwerelosigkeit, jene Harte, die seiner Musik ihr un verkennbar französisches Gepräge gibt." „Man lauscht nicht auf die tausend Geräusche der Natur, die uns umgeben, man ist nicht geöffnet gegenüber dieser so verschiedenartigen Musik, die uns die Natur in einer solchen Fülle darbietet. Diese Musik umgibt uns, und wir haben mitten in ihr bis heute gelebt, ohne davon Kenntnis zu nehmen. Hier ist nach meiner Meinung der neue Weg . . ." Dergestalt erläuterte Debussy das Wesen seiner Musik, die also empfangene Eindrücke, Impressionen, wiedergeben will. Das, was den französischen Meister am stärksten fesselte, war das Atmosphärische der Dinge, etwa Wechsel und Kontrast von Licht, Farben und Geräuschen, kurz „der ferne Wderhall der Natur". Wahrhaftigkeit kennzeichnet Debussys Stil, von dem der Komponist selbst sagte: „Ich habe ganz einfach meine Natur und mein Temperament sprechen lassen." Wie die impressionistischen Maler die feinen Linien zugunsten der Farbe zurück treten ließen, gab Debussy die formale Symmetrik im Musikalischen auf und verabsolutierte die Farbwerte der Klänge, kombinierte die Klänge der Orchester palette nicht mehr grammatikalisch-logisch, sondern nach seinem klangmaleri schen Instinkt. Debussys Musik wendet sich zunächst weniger an den Verstand als vielmehr an die Empfindungswelt des Hörers, übermäßige Dreiklänge, Septimen- und Nonenakkorde, Quarten- und Quintenparallelen, die Verwen dung der exotischen Ganztonskala — das ist Debussys Handwerkszeug. Das Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns ist Debussys be rühmtestes Orchesterwerk. Diese schon 1892 geschriebene und 1894 in Paris höchst erfolgreich uraufgeführte sinfonische Dichtung sollte ursprünglich ein Flötenkonzert werden. Aber während der Komposition änderte Debussy seinen Plan und gab dem einsätzigen Werk das nun bekannte Programm, das Thomas Mann in seinem Roman „Der Zauberberg" mit dichterischem Feingefühl wieder gegeben hat. Er schreibt: „Rücklings lag er auf einer mit bunten Sternblumen besäten, von Sonne beglänzten Wiese, einen kleinen Erdhügel unter dem Kopf, das eine Bein etwas hochgezogen, das andere darübergelegt, — wobei es jedoch Bocksbeine waren, die er kreuzte. Seine Hände fingerten, nur zu seinem eigenen Vergnügen, da die Einsamkeit über der Wiese vollkommen war, an einem klei nen Holzgebläse, das er im Munde hielt, einer Klarinette oder Schalmei, der er friedlich-nasale Töne entlockte, einen nach dem anderen, wie sie eben kommen wollten, aber doch in geglücktem Reigen, und so stieg das sorglose Genäsel zum tiefblauen Himmel auf, unter dem das feine, leicht vom Winde bewegte Blätterwerk einzeln stehender Birken und Eschen in der Sonne flimmerte. Doch war sein beschauliches und unverantwortlich-halbmelodisches Dudeln nicht lange die einzige Stimme der Einsamkeit. Das Summen der Insekten in der sommerheißen Luft über dem Grase, der Sonnenschein selbst, der leichte Wind, das Schwanken der Wipfel, das Glitzern des Blätterwerkes, — der ganze sanft bewegte Sommerfriede umher wurde gemischter Klang, der seinem einfältigen Schalmeien eine immer wechselnde und immer überraschend gewählte harmo nische Deutung gab. Die symphonische Begleitung trat manchmal zurück und verstummte, aber Hans mit den Bocksbeinen blies fort und lockte mit der naiven Eintönigkeit seines Spiels den ausgesucht kolorierten Klangzauber der Natur wieder hervor, — welcher endlich nach einem abermaligen Aussetzen, in süßer