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treibende Element des abwechselnd melodisch und brillant konzertierenden Schlußsatzes, der einen an folgende Worte Beethovens über den Schaffens prozeß erinnert: „Woher ich meine Ideen nehme? Das vermag ich mit Zuver lässigkeit nicht zu sagen; sie kommen ungerufen, mittelbar, unmittelbar, ich könnte sie mit Händen greifen, in der freien Natur, im Walde, auf Spazier gängen, in der Stille der Nacht, am frühen Morgen, angeregt durch Stim mungen, die sich bei dem Dichter in Worte, bei mir in Töne umsetzen, klingen, brausen, stürmen, bis sie endlich in Noten vor mir stehen.“ Die Sinfonie B-Dur KV 319 von Wolfgang Amadeus Mozart gehört in seine mitt lere Schaffenszeit. Er hat sie 1779 in Salzburg komponiert, in einer Zeit, in der er mit ungeheurer Konzentration arbeitete. Ein Jahr vorher war seine Mutter in Paris gestorben, die ihn auf seiner großen Reise über München und Mann heim nach Paris begleitet hatte. Diese Reise galt der Vertiefung der musika lischen Bildung Mozarts. In den bedeutenden Musikstätten Europas nahm er gierig alle Bestrebungen und Richtungen des musikalischen Lebens in sich auf, die er in seinen Werken verarbeitete und ausschöpfte. So lernte Mozart in Mannheim die Orchesterbehandlung und die Formenwelt der Mannheimer Schule kennen, während er in Paris die Eigentümlichkeiten des französischen Schaffens mit seinem Hang zur Präzision, zur geistvoll-knappen Aussage und zur Ironie bewunderte. Die viersätzige Sinfonie ist ein konzentriertes Werk voller Geist und zärtlichem Gefühl. Wer die Sprache des musikalischen Handwerks versteht, kommt aus dem Staunen und dem Entzücken über die Fülle und die Art der Verflechtung der Motive und Themen nicht mehr heraus. Hier ist eine Feinarbeit festzu stellen und zu bewundern, die nur den größten Meistern eigen und möglich ist. Der erste Satz, frisch und klar im Klang, bringt die vorgeschriebenen zwei Themen (Grundgedanke), wobei sich, nach mozartischer Eigenart, das zweite als lyrisches (gefühlvolles) Thema etwas chromatisch gibt. Zu bewundern ist weiterhin, daß Mozart mit den sparsamsten Mitteln arbeitet und eine durch sichtige Musik schreibt, die bis in die letzte Note hinein zu hören und zu verstehen ist. Der zweite (langsame) Satz ist voller Empfindungen, die einen etwas schmerz lichen Charakter haben. Vielleicht erinnert sich Mozart des Todes seiner so sehr geliebten Mutter? Das übersichtliche Menuett mit seinem schlichten Trio offenbart viel Sinn für Humor. Auch das Finale ist in der Sonatenform gebaut: mit zwei Themen, mit einer Durchführung, die Ansätze zu kontrapunktischer Schreibweise zeigt, und einer Reprise. Aber die geistsprühende, lebendige Art Mozarts zu musizieren, läßt den Hörer vergessen, mit welcher Genauigkeit und mit welchem Können dieses Werk gearbeitet ist. Obgleich diese Sinfonie nicht sehr bekannt ist, so kündet sie doch von der hohen Meisterschaft Mozarts, der in der kurzen Spanne seines Lebens zu den höchsten Gipfeln der Musik empor stieg. III/9/92 JtG 039 24 70