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Adaptation versagt bleibt. Wer es kennt, wird keine einzige Note vermissen. Dennoch ist ein durchaus wesensverschiedenes Werk daraus hervorgegangen. In der Struktur gehört es Mozart, im kompositorischen Ergebnis Dessau. Was hier vor sich geht, ist überhaupt nur noch unter dem Gesichtspunkt der Varia tion zu begreifen. Das gesamte Werk bleibt in seiner Struktur unangetastet, und dennoch wird es fortlaufend der Variation unterworfen. Die Mittel sind erstaunlich vielfältig: Vertauschung von Instrumentengruppen, Versetzung der Motive und Figuren, Umstellungen und Zerlegungen, Erweiterungen und Kontra punkte, Verdichtungen und Akzentverschiebungen. Das Instrumentarium des modernen Klangkörpers wird mit großer Raffinesse aufgeboten, jedoch nicht um die Konturen zu verwischen, sondern um ihr Relief zu verändern. Auch Dessaus Partitur bewahrt die großen Mozartschen Tugenden: Klarheit und Durch sichtigkeit. Von den vier Sätzen entfernt sich der erste (Allegro di molto) am wenigsten von dem Original; einzig in der Durchführung brechen eruptive Vulkane auf, die man vergeblich zum mindesten bei diesem Mozart finden wird. Dem sanften Andante wird sein idyllischer Gavotten-Charakter gründlich durchkreuzt durch eine außerordentlich gewagte Anreicherung von Nebenstimmen. Um so gravi tätischer wird das Menuett akzentuiert, gleichzeitig in seiner einfachen Linien führung durch spannungsreiche Umkehrungen gebrochen und durch fesselnd auskomponierte Wiederholungen von jeder Schematik gelöst. Ein wahres Kabinettstück an Variantenbildungen stellt das Trio dar, bei Mozart bewußt auf einen einzigen reigenmäßig durchgehaltenen Ländlergedanken gestellt, bei Dessau ein sich in immer neuem Licht brechendes Kaleidoskop sich wiegender Figuren. — Im letzten Satz kommt Mozarts übersprudelnder Finalegeist noch einmal auf Thematik und Charakter des ersten Satzes zurück. Dessau gibt ihm eine scharfe, aggressive Marschwendung; in turbulenter Ausgelassenheit werden alle Register gezogen (die Pauken!). — Der Beweis ist erbracht, daß man auch bei größter Treue (und Liebe) zum Vorbild sich mit größter Freiheit von ihm lösen kann. Dessaus „Adaptation 1 ' ist ein Musterbeispiel echter Metamorphose. Prof. Dr. Harry Goldschmidt Zu keiner anderen Zeit als der meinigen hätte ich gewagt, dies Werk Mozarts zu bearbeiten. Doch die zeitgebundene, zeitweilige Unterlassung weniger Kammerkonzerte zu pflegen als andere Zeitalter und die allzu geringfügige Kenntnis dieses Werkes insbesondere veranlaßten mich, eine Bearbeitung zu wagen, die dieser einmaligen Musik keinen Schaden, sondern vielmehr insofern einigen Nutzen bringen könnte, als sie in dieser Form vielen Menschen zugäng lich gemacht werden kann. So wie es dem Bearbeiter vergönnt war, sich nicht nur an der Musik zu ergötzen, sondern durch diese verwegen scheinende Tätig keit zu lernen und seiner Fortentwicklung zu nutzen, genauso möge es den neuen Zuhörern ergehen beim Mithören dieses einzigartigen Werkes Wolfgang Amadeus Mozarts, das, in seinem Todesjahr komponiert (1791), nach Köchel mit der Nummer 614 verzeichnet ist. Paul Dessau zu seiner Mozart-Adaptation. Johannes Paul Thilman: Ode für Orchester über das bereits 1968 entstandene, der Dresdner Philharmonie und ihrem Chef dirigenten Kurt Masur anläßlich des Zentenariums zugeeignete Werk äußerte der Komponist: „In der Ode für Orchester vibriert und schwingt die schöpferische Unruhe, die heute alle Menschen der Deutschen Demokratischen Republik erfaßt hat. Diese Unruhe wird sichtbar in der technisch-wissenschaftlichen Revolution, die auf die gesellschaftlichen Belange unseres Volkes einwirkt. Was wird da im Zeichen der schöpferischen Unruhe und des Schaffens nicht alles gedacht, geplant, geträumt, realisiert und umgesetzt. Auch die Künstler sind von dieser Unruhe erfaßt worden. Sie haben sich mit fortschrittlichen Brigaden verbunden, in deren Bereichen sich Herkömmliches und Altvertrautes völlig verändert, die in einer Atmosphäre dynamischer Unruhe schaffen, und die sich auch für die schöpfe rische Unruhe im künstlerischen Bereiche ausgesprochen haben und nicht für die Beschaulichkeit. Natürlich soll die Beschaulichkeit nicht ganz aus dem Leben unserer Menschen verschwinden, aber sie ist nicht das Grundgesetz unserer Tage, sie ist bestenfalls dialektischer Widerpart der Unruhe. Viele Teile der Ode sind von dieser schöpferischen Unruhe erfaßt, man verspürt direkt das Vibrieren, Brodeln und Kochen. Daneben stehen Teile der Stille und der Beruhigung, so wie sich auch im schöpferischen Prozeß Tat und Besinnung ablösen. Wie unser Leben von einem dramatischen Elan erfüllt ist, wie es in ihm auch Augenblicke der besinnlichen Stille gibt, so wechselt die Ode ebenso ihre Ausdrucksformen. Die Ode, als eine Kunstform der Poesie, bot sich der Gestaltung dieses erregen den Zeitbildes geradezu an. Deshalb gab ich diesem Werke der Sinfonik folgende Sätze mit auf den Weg: Die Ode: eine reimlose Kunstform zum Gestalten ernst-erhabener Ge danken, zur Darstellung großer begeisternder Gefühle. Die Ode: gestal tete Prosa, Epik in überquellender Fülle, mit reichen Kontrasten, mit dramatischen Zuspitzungen und lyrisch-stillen Augenblicken: Die Ode: würdig unserer Zeit!"