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Zu einigen neuen Werken des Festprogramms Malcolm Williamson: Sinfonie Nr. 2 Der 1931 in Sydney (Australien) geborene Komponist, Pianist und Organist Malcolm Williamson hat als Interpret wie vor allem als Autor eines umfang reichen schöpferischen Werkes einen beachtlichen Eindruck auf das zeitgenös sische englische Musikleben gemacht. Nach Studienjahren in seiner Heimat sowie in Europa kam er 1953 nach London, wo er seine kompositorische Aus bildung bei Elisabeth Lutyens und Erwin Stein fortsetzte und großes Interesse an der Musik Olivier Messiaens gewann. Seine vor allem seit 1956 geschaffenen Werke, darunter mehrere Opern („Unser Mann in Havanna" nach Graham Greene), Ballette, Musicals, zahlreiche Orchesterwerke, Instrumentalkonzerte, Kammer-, Klavier- und Orgelmusik, Sologesänge, Chöre, Filmmusiken, haben weite Verbreitung und Anerkennung gefunden. Malcolms Stil ist durch verschie denartigste Einflußbereiche (z. B. mittelalterliche Musik, englische Volksmusik, moderne Kompositionspraktiken des 20. Jahrhunderts, die Kunst Messiaens) gekennzeichnet, dabei hat sich vor allem in seinen Kompositionen aus jüngster Zeit eine persönliche Haltung unverkennbar ausgeprägt. Uber die anläßlich des 75jährigen Jubiläums des Bournemouth Symphony Orchestra geschaffene Sinfonie Nr. 2, die ihre ersten Aufführungen im Oktober 1969 in Bristol, Bournemouth und in der Londoner Royal Festival Hall unter George Hurst erlebte, da der eigentliche Widmungsträger Constantin Silvestri verstorben war, schrieb der Komponist u. a.: „Meine zweite Sinfonie habe ich am 27. Dezember 1968 vollendet. Sie trägt die Widmung ,Für Constantin Silvestri und das Bournemouth Symphony Orchestra'. Die Widmung des Werkes entspricht seiner Art. Ich erinnere mich nicht des genauen Zeitpunktes, zu dem ich das Werk begonnen habe, der Keim der Idee war aber schon seit langem, bevor ich die Musik niederschrieb, in meinem Kopf. Während des Komponierens behielt ich die besonderen Fähigkeiten und charakteristischen Eigenschaften des Bournemouth Symphony Orchesters im Auge. Ich hatte auch die Virtuosität Silvestris als Dirgent im Sinne und seine schwere Krankheit. Ein anspruchsvolles und kompliziertes Werk wollte ich Silvestri während seiner, wie es sich heraus stellte, letzten Krankheit in die Hände legen, welches seine und seines Orchesters Erfindungskraft und Technik zeigen würde. Strauss hat Strawinsky davor gewarnt, ein Werk leise zu beginnen und leise zu enden: er sagte, daß, wenn man laut beginnt und laut endet, die Zuhörer alles, was dazwischen kommt, akzeptieren. Meine Sinfonie beginnt und endet fast unhörbar. Die Streicher sind während des ganzen Werkes in zwölf Teile aufge teilt. Jeder Spieler muß ein sicheres rhythmisches Gefühl haben sowie ein Gefühl für den Kontrapunkt. Die Bläser- und Schlagzeuggruppen, die umfang reich sind und die solche Instrumente wie zwei Piccoloflöten, Piccolo- und Baß klarinetten und eine Piccolotrompete enthalten, müssen ebenfalls virtuose Musik spielen, oft sehr leise, an den äußersten Grenzen ihres Spielvermögens. Das ein- sätzige Werk trägt die trügerisch harmlose metrische Angabe von 3 7, und das Grundtempo ist Lento Moderato, aber innerhalb dieses Rahmens spielen Instru mente z. B. in %, °/ 8 , 9 / gl -’/:ß, I2 /16> /, /7,, 18 /10 und 15 /i<;, dadurch viele Zweideutig keiten des Metrums und Tempos schaffend. Dies verlangt natürlich eine exakte Kontrolle seitens des Dirigenten. Die Musik ist modal im Sinne von Messiaen. Sie benutzt eine Art von Serialismus, der mit den thematischen Fragmenten, die die Basis des Stückes bilden, verknüpft ist. Angesichts der Notwendigkeit, eine Programmnotiz zu schreiben, habe ich mich entschieden, über die persönlichen Gefühlsaspekte der Sinfonie zu berichten, statt eine Analyse zu geben. Der Gefühle, die mich beschäftigten, erinnere ich mich noch genau. Ein Grund dafür, daß dieses sehr stille Werk mit seinen heftigen Ausbrüchen nicht glatt von der Exposition bis zum Höhepunkt und dann zur Lösung verläuft, ist der, daß ich liebevoll und staunend an die immer wechselnden Elemente des Lebens wie des Universums dachte, insbesondere an die Unermeßlichkeit der Meere." Paul Dessau: Sinfonische Adaptation des Quintetts Es-Dur KV 614 von Mozart Der Begriff „Adaptation" für ein Musikstück ist neu. Im Französischen findet er Verwendung, sofern es sich darum handelt, einen Roman in ein Bühnenstück, ein Bühnenstück in einen Film zu verwandeln. Eine ähnliche Voraussetzung ist bei Dessaus Werk (1965) erfüllt; denn er wandelt ein Streichquintett von Mozart — also ein Stück Kammermusik - in ein sinfonisches Werk mit großer Besetzung um. Aber Dessau geht es hierbei um weit mehr. Ähnlich wie Picasso und Brecht Bilder und Stücke vergangener Maler und Autoren „adaptiert" haben, setzt er ein klassisches Werk in ein Opus der Gegenwart um. Es handelt sich also nicht um eine Bearbeitung, sondern um ein neues, zeitgenössisches Werk. Es geht ihm um ein „Aufheben" im dialektischen Sinne Hegels, nämlich um ein Bewahren und Beseitigen zugleich, um ein Bewahren der Konzeption und der Gestalt, um eine Beseitigung alles Zeitbedingten und Zeitgebundenen, um eine „Adaptation" an unsere eigene Zeit. Ein derartiges Verfahren wäre nur dann als Sakrileg zu verurteilen, wenn diese Integration im modernen Stilbe wußtsein auf halbem Wege stecken bliebe und Stückwerk bliebe. Schon zweimal hat Dessau gerade Mozart auf diese Weise adaptiert, das eine Mal kursorisch in seinem Streicher-Divertimento, das andere Mal vollständig in der kleinen, aber wichtigen Freimaurer-Kantate „Die ihr des unermeßlichen Weltalls Schöpfer ehrt". Während der erste Fall mehr als verschwiegenes Zitat Bedeutung erlangt, handelt es sich im zweiten um eine großangelegte Adaptation im Sinne einer zeitgemäßen Aktualisierung, die Dessau überzeugend gelungen ist. Mit der Umsetzung eines ganzen Streichquintetts - ebenfalls aus Mozarts „Zauberflöten-Jahr" - geht Dessau auf dem eingeschlagenen Weg noch einen Schritt weiter. Leider ist das hinreißende Werk eine solche Rarität in unseren Konzertsälen, daß den meisten Hörern ein Vergleich des Originals mit der