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Zschopauer Tageblatt und Anzeiger : 16.01.1941
- Erscheinungsdatum
- 1941-01-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1780077211-194101167
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1780077211-19410116
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1780077211-19410116
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Zschopauer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1941
-
Monat
1941-01
- Tag 1941-01-16
-
Monat
1941-01
-
Jahr
1941
- Titel
- Zschopauer Tageblatt und Anzeiger : 16.01.1941
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ZsHopnucr TngeVtuU u«0 Anije»»«:» Eiu englischer Gesandter n!s Dokuineuicn-ieb Str. iS Bon Professor Tr. Am 26. Juni 1777 saß der nach Berlin entsandte diplo matische Agent der kurz zuvor von England abgesallenen amerikanischen Kolonien, Arthur Lee, in seinem Gasthofe, dem Hotel Corsica in der Brüderstraße, bei Tisch, als der engli'che Gesandte Hugh Elliot von einem Diener das Himmer Lees durch einen Nachschlüssel öffnen, das darin befindliche Pult erbrechen und ein Portefeuille, in dem sich wichtige Gcheim- akten befanden, aus-dem Pult stehlen ließ. Lee stand zufällig früher a.o gewöhnlich von der Tafel auf und begegnete auf dem Wege zu seinem Zimmer dem englischen Gesandten auf ! der Treppe. ! Als Elliot hörte, daß Lee den Diebstahl entdeckt habe und f zur Polizei geeilt sei, um Anzeige zu erstatten, wurde er von s Furcht ergriffen und ließ das Portefeuille eine halbe Stunde j später vor Lees Tür legen. „Bei dem polizeilichen Verhör", schrieb der bestohlene Diplomat später an Franklin und Silas Deane (die sich gleich falls als Agenten Amerikas in Europa aufhiclten), „stellte sich heraus, daß der Diener des englischen Gesandten wiederholt 2000 Dukaten für meine Papiere geboten halte. Der gleich falls befragte englische Gesandte erklärte, er wolle sofort seinen Diener schicken, damit der sich selbst verantworten könne; allein, der letztere erschien nicht. Ob die also genommenen Papiere gelesen wurden, konnte ich nicht ermitteln; ich glaube kaum, denn ich würde sie gewiß nicht wicdercrlangt haben, wenn man ihren Inhalt gekannt hätte. Mein Journal befand sich auch darunter; es enthielt alle unsere Verhandlungen mit - Spanien und Frankreich." Am 28. Juni erstattete Minister Hertzberg dem König Bericht über den Vorfall. Friedrich der Große schrieb unter den Bericht, die Worte: „Das nennt man einen öffentlichen E r n st § ch u l tz e. Diebstahl. Man wurde gut tun, diesem Menschen den Hof zu verbieten; aber ich will die Dinge nicht aufs äußerste treiben." Aehnlich äußerte sich der König in einem Brief an seinen Bruder Prinz Heinrich. Einer am 1. Juli an den preußischen Gesandten in Loudon, Graf Maltzahn, erlassenen Instruktion über den Fall Elliot fügte der König privatim den Satz hinzu: „Wahrlich, die Engländer sollten vor Schande erröten, daß sie solche Gesandte an fremde Höfe schicken." Earlyle bespricht diesen Dokumentendiebstahl in seiner Biographie Friedrichs des Großen und fällt darüber ein noch schärferes Verdammungsurteil. Diesem Diebstahl wurde aber die Krone dadurch ausgesetzt, daß der englische Außenminister Lord Suffolk den diebischen Gesandten in einem Brief vom 7. Oktober 1777 ausdrücklich belobte und daß Elliot auf Weisung des Königs unter dem Titel des „Kosteuersatzes" 1000 Pfund Sterling als Belohnung erhielt. Was eiu Engländer sich an Schurkereien gegen Nicht- Engländer erlaubt, steht eben nach echt britischer Vorstellung jenseits von Gut und Böse. Das gilt insbesondere auch von dem, was jedes andere Volk Diebstahl nennt. Es ist unglaub lich und doch wahr, daß sich bis gegen Ende des 19. Jahr hunderts kein Engländer, der im Auslände einen Diebstahl beging, nach den Gesetzen des Mutterlandes strafbar machte. Um das Jahr 1875 beging ein Engländer namens Wilson in Zürich einen Postdiebstahl von 40 000 Francs. Er entfloh in die Heima, wurde aber nicht ausgeliefert, weil nach dem Extraditionsgesetz ein Engländer nicht ausgeliesert nnd auch in England nicht strafrechtlich verfolgt werden könne, es sei denn er hätte das Verbrechen gegen einen Engländer begangen. Emlops in Kolumbien Deutsches VW in den Tropen: Mc helfen willig Von Greta „Puchero!" das ist ein Wort, bei dem jedem Kolumbianer das Wasser im Munde zufammenläuft, aber auch der Europäer liest es schmunzelnd auf diw Speisekarte, und wenn es gar als „Eintopfessen" für das deutsche WHW angezeigt wird, dann ist der Besuch besonders stark. Denn dieses echte kolumbianische Eintopfgericht aus Rind- und Schweinefleisch, ihca, Aracache, Mohrrüben und den großen Kochbauanen ist wirklich sehr wohl schmeckend. Gibt es dazu noch Salat von Aguucate, der zarten „Butterfrucht", Vann läßt mancher sich den Teller zwei- bis dreimal füllen. Da aber Lebensmittel hier in Bogota reichlich und auch verhältnismäßig billig sind, da auch noch sehr oft das nötige Fleisch und Geflügel gestiftet wird, ist der finanzielle Erfolg der Eiutopfsountage meistens recht erfreulich. Außer dem sind sie ein Mittel, die hier ansässigen Deutschen einander näherzubriugen. Im März, der genau wie in der Heimat auch hier der letzte Monat für das WHW ist, findet statt des Mittagsessens ein Tanztee statt, der besondere Anziehungskraft auf alt und jung ausübt und darum meistens gut besucht ist. Kuchen und belegte Brötchen werden dann in großen Mengen von den deutschen Frauen gestiftet, die Mitglieder der „Arbeitsgemein schaft der deutschen Frau im Auslande" übernehmen das Tisch decken wie sonst an den anderen Sonnlugen das Einkäufen und Verteilen und Kochen der Lebensmittel und dns Aufaeben der Suppe, während die Mädel und Jungen des „Deutschen Jugendringes" für Getränke sorgen, Teller zusammenstellen und besonders eifrig die Abzeichen verkaufen, die uns aus der Heimat gesandt werden und die stets reißenden Absatz finden. Dank einer lustigen Lotterie oder der amerikanischen Versteige rung übriggebliebener Torten kommt oftmals noch eine hübsche Extrasumme dem WHW zugute. Die „Arbeitsgemeinschaft der deutschen Frau im Aus lande", die einmal im Monat ihren Pflichtnachmittag hat, strickt und näht dann mit großem Eifer wollene Kleidungsstücke für die vom WHW in Deutschland Betreuten. Nicht nur ihre Mit glieder arbeiten dabei, um jeden Monat etwas Neues abliefern zu können, sondern auch aus allen Kreisen der deutschen Kolonie werden uns Gaben zur Verfügung gestellt; die diesjährige Kleidersammlung hatte ein geradezu glänzendes Ergebnis: einundzwanzig große Pakete konnten der zuständigen Stelle in Berlin zugesandt werden. Natürlich wurden zuerst diejenigen Deutschen versorat, die hier im Lande Hilfe nötig haben, und Lorentzc n. ! so wanderte eine' große Kiste mit Kleidungsstücken und halt baren Lebensmitteln, mit Zahnpasta und Seife zu einer deut schen Sicdlerfamilie in den Urwald; durchreisende Handwerker und deutsche Rückwanderer wurden mit Kleidung und Schuh zeug versehen, und eine junge Mutter bekam eine Säuglings ausstattung. Doch sind wir hier in Bogota, man darf Wohl sagen, in der glücklichen Lage, verhältnismäßig wenig wirklich notleidende Deutsche zu haben. Ebenso wie in der Heimat laufen daneben die Geldsamm- lungcn. Die meisten hier lebenden Deutschen, seien sie nun selbständige Kaufleute oder Gehaltsempfänger, erkennen es als eine Ehrenpflicht, ihr mehr oder minder großes Scherflein zu spenden. Hum größten Teil wird dieses Geld dazu verwandt, bedürftigen Heimkehrern die Rückkehr nach Deutschland zu er möglichen, das ihnen jetzt bessere Arbcitsmöglichkeiten bieten kann als die Fremde. So versuchen auch wir Ausländsdeutschen unsere Zu gehörigkeit zur großdeutschen Volksgemeinschaft zu beweisen und dem Führer unseren Dank zu zeigen. WHW bedeutet für uns die Parole: Wir helfen willig.' Tiere als Soldalensreunde Von der Negimentsgans zum Ftiegerhund Das war schon immer, im Krieg wie im Frieden so, daß sich die Soldaten einen Vertreter des Tierreichs zu ihrem be- sonderen Freund und Beschützer auserkoren — und umgekehrt. Ans meiner eigenen Soldatenzeit, kurz vor dem Weltkrieg, entsinne ich mich eines Hundes anonymer Herkunft, den unser Eskadron-Wachtmeister offiziell in Pflege und Gewahrsam hatte, der in Wirklichkeit aber uns allen gehörte. Ob wir zu Pferd oder zu Fuß im Dienst angetreten waren: Stets kam er auf unserem Exerzierplatz angefegt, um uns durch seine Gegen- wart die Zeit zu verkürzen, manchmal aber auch heillose Ver wirrung in die schnurgerade Ausrichtung der Pserde zu brin gen. Dann konnte es geschehen, daß er mit seinem Gekläff die temperamentvollsten unter ihnen zum Scheuen brachte, was wiederum zur Folge hatte, daß die ganze, peinlichst aus Ab stand und Vordermann stehende Eskadron nach allen Himmels richtungen auseinandergaloppierte. Im übrigen jedoch war er uns treu ergeben, von einem Relrutenlcyrgang zum anderen, und selbst die Herren Offiziere sanden sich mit seinen pro- Douaeroi»«, ve« tt». it.11 grammwidrigrn Eskapaden gutmütig ab. Im Weltkrieg später schloß sich mehr als einmal ein herrenlos gewordener Vier- deiner unserem unsteten Dasein an Von zahmen Krähen, die den Exrezierplay oftsmals zu einen nnterballsamen Ausenthalt sür die Soldaten machten, ist manches Gcschichlchen als wahr verbürgt. Als das „goldene Mainz" noch BundeSseslung war - vor beiläufig hundert Jahren — und das österreichische Infanterieregiment Nr. 4b die Stadt besetzt hielt, spielte ein Rabe, den ein Feldwebel zur Anszncbt erhalten batte, eine geradezu stadtbekannte Rolle unter den Soldaten Mit gestutzten Flügeln stolzierte er frei im Gelände umher, ohne Scheu und Furcht vor fremden Tieren, die meistens Reißaus vor seinen Attacken nahmen. Bis ibn doch einmal das Mißgeschick ereilte, von einem großen Hund gebissen zu werden und trotz sorgsamer Pflege der Sol- daten inmitten seiner Beschützer zu verenden. Als die „Husarenlaubc" war in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei den Düsseldorfer Kavalleristen eiu niedlicher Täuberich der unzertrennliche Freund Ganz gleich, ob zum Exerzieren oder znm Appell angctrelen war: Er suchte sich jedesmal einen Husaren aus, setzte sich aus dessen Tschako und verharrte dort seelenruhig, bis der Dienst zu Ende war. Ucberdies hatte die Taube ihr Nest in der nämlichen Kaserne bezogen, nnd so unterschiedslos verteilte sie ihre Svmpathien, daß sie selbst dem Eskadronschef auf dem Tschako saß uud der art wippend und wiegend mit den angeireteuen Formationen hinauf- und hinumerritt Das Unwahrscheinlichste »edoch wird von einer Regiments- gaus berichtet, die - es sind allerdings schon reichlich lUO Jahre her — jeder Schildwache der Stuttgarter Garnison wie ein Hündchen folgte. Dank dieser Treue und Anhänglichkeit an die Soldaten, kaufte sie das Regiment ihrem Besitzer ab. aus dessen Hos sie ledesmal watschelnd entließ und brachte sie in einem dem großen Schilderhaus nachgcbildctcn Stall unmittelbar daneben unter, von wo aus die gar nicht dumme Gans getreulich alle Bewegungen des Postens nachahutte. Eine besondere Schwäche hatte sie noch, nämlich sür bärtige Soldaten, in deren Nähe sie, ohne sich etwas zu vergeben, ihr Schnattern ciustellle. Um so mutiger schnatterte sie beim Anblick der Bart- losen darauslos, und wenn sie nicht selbst, was ihnen die Dicnstvorschrist allerdings untersagte, Fersengeld gaben, war sie es, die immerfort schnatternd zuletzt in ihr eigenes Schilderhäuschen sich zurückzog. Von der Negimentsgans on Anno dazumal bis zuni heutigen Fliegerhund ist freilich ein weiter Weg. Er bezeichnet zugleich das ungeheuer gestiegene Tempo, das unsere moderne Fliegerwaffe von dem gemächlichen Fürbaßschrciten einer ver klungenen Zeit unterscheidet. Treu geblieben ist sich nur die Liebe der Soldaten zu den Tieren, auch wenn es nicht immer der mobische Drahthaacterrie, ist. ,ander» irgendein von der Straße aufgelcsenes vierbeiniges Wesen, dem man gut sein muß " B. Siegel der persSiMleit: die Anekdote Geschichten von und über Ohin Krüger. Das weise Urteil. Piet und Jan können sich über die Teilung einer Erbschaft nicht einigen. Also gehen sic zu Ohm Krüger. Der Alte passt mächtig aus seiner kurzen Pfeife und hört den beiden schweigend zu. Endlich macht er den Mund ans. „Du, Neffe Jan, teilst die Erbschaft in zwei Teile, wie du es für recht hältst ..." — Jan strahlt. — „Und tu, Nesse Piel, nimmst dann den Teil, der dir am besten zufagl!" — Genauer ist niemals eine Erbschaft in zwei Teile geteilt worden. Roß und Reiter. Ohm Krüger erzählt in seinen „Erinne rungen": Als ich 1884 in Berlin war, wurde ich von Kaiser Wilhelm I. zur Tafel ciugcladcn. Beim Empsaug geleiteten mich der Kaiser und der Reichskanzler Fürst Bismarck die Schloßtrcppe hinauf. Plötzlich geriet der Kanzler ins Strau cheln. „Sieh da, lieber Fürst", ries der Kaiser lächelnd, „Sic werden alt!" — „Das ist immer so, Majestät", antwortete der Kanzler seufzend, „das Noß wrd immer schneller alt als der Reiter!" Der Stammbaum. Ein englischer Viscount wird bei Ohm Kriigcr eingcsührt. Der Alte ist mit Staatsakten beschäftigt, pafft nnd nimmt von dem Besucher keine Notiz. Endlich wird der Mann nervös und fordert den Dolmetscher ruf, dem Prä- sidcmen deutlich zu machen, welch ein bedeutender Mann er sei und daß sein Großvater und Vater Herzöge gewesen seien." — „Sagen Sie dem Herrn", antwortet Ohm Krüger in aller Ruhe dem Dolmetscher, „daß mein Vater Viehhirte gewesen ist!" Die Vorstellung. Bei einem Besuch in London wird Ohm Krüger von einer Deputation von Cityleuten begrüßt. Ein besonderer Wichtigtuer beginnt umständlich jeden einzelnen vorzustellen. „Mr. X — Seine Exzellenz Staatspräsident Paul Krüger; Mr. Y — Seine Exzellenz Staatspräsident Paul Krüger; Mr. Z — Seine Exzellenz ..." — „Danke, danke" unterbricht ihn Ohm Paul, „ich glaube, die Herren werden mich jetzt schon kennen!" Der eilige Besucher. Ein Haufen neugieriger Engländer ist von Cook nach Pretoria gebracht worden. Während die andern noch mit dem Umkleiden im Hotel beschäftigt sind, eilt ein besonders neugieriger Reisender zum Hause des Präsi denten und wird auch empfangen. „Herr Präsident", beginnt er atemlos, „ich komme in diesem Augenblick direkt aus Lon- don ..." — „Dann nehmen Sie schleunigst Platz", unterbricht ihn Ohm Paul freundlich, „Sie müssen ja schrecklich müde sein!" Ser wunderliche Wanderer Erne Geschichte von Rudolf Witzany. Niemand wußte, woher er kam. Eines Morgens werkte er am Bau mitten unter den anderen, als wäre er ihres gleichen. Sie waren auch bereit, ihn dafür zu nehmen und hätten sich nicht sonderlich um ihn gekümmert, wenn er nicht durch sein seltsames Gehaben ein Zaunlein zwischen sich und die anderen gestellt hätte. Ein unsichtbares Zaunlein Wohl, aber darum nicht minder wirksam, denn es brachte den Frem den in einen Ruf, der zwischen Gelehrsamkeit und Narrheit die Mitte hielt. Schon wie er ankam, war wunderlich. Sie schauten kopf schüttelnd auf das einzige Gepäckstück, das er mit sich trug: einen alten abgewetzten Koffer, dessen Henkel längst schon ver- lorengegangcn war und dessen unbändige Sucht, zu gähnen und seinen Inhalt auf die Straße zu streuen, nur durch eine dicke fransige Hanfschnur gebändigt werden konnte. Brüche waren in dem alten Koffer, und weil er ihn so sorgsam unter dem Arme trug, obwohl es wahrhaftig nicht bequem war, so wurden die anderen neugierig, welch seltsame Schätze dieser geheimnisvolle Koffer bergen möchte. In der Werkpause merkten sie es, denn derweil sie ihre Brote hervorholten, band er die Schnur um seinen Koffer auf, und da sahen sie, daß darin Bücher lagen. Dicke und dünne, abgegriffen und einander ähnlich geworden durch die sichtbaren Spuren des täglichen Gebrauches. Die Männer warfen ihm ein paar spärliche Spottworte zu, sonst ließen sie ihn ungeschoren. Schließlich war es jeder manns eigene Sache, wie er seine Freizeit verbrachte. Nur der junge Schroll, der mit den hungrigen, umfassenden Augen, fand nach einer Weile an den Seltsamen heran, m einer trägen Mittagspause, fest entschlossen, ihn nach dem Geheimnis seines alten Koffers auszufragen. Denn ein Geheimnis mußte doch dran sein, sonst konnte ein vernünftiger Mensch nicht tagaus, wgein nur die stumme Gesellschaft der Bücher um sich dulden. Auf einmal, ohne daß der Junge hätte seine eigentliche '»rage klar aussprechen müssen, kam ihm der andere entgegen, ckS hätte er ihm die unuesvrochene Fraae von der Stirne ae- lesen, und er sagte: „Ich habe mir die stillste Gesellschaft ge wählt, aber dafür habe ich nun ihre Freundschaft, und das ist die treueste." Er griff Bücher aus seiner Tasche und begann in einer leisen raunenden Art zu reden, daß oer junge Schroll wie ge bannt unter dem eintönigen Geriescl der Worte stand. Namen klangen an ihm vorüber, die er vordem nie ge hört. Was wußte er von Hölderlin? Welche Narrheit mochte die „Göttliche Komödie" sein, von der ihm der andere nun sprach? Aber da war irgend etwas in der Stimme des anderen, das ihn nicht losließ. Dann klappte der andere das Buch auf und las ein paar Sätze daraus. Schlichte, einfache Sätze, wie eine Predigt und doch wieder anders, viel näher und klarer. Er schüttelte den Kopf und schaute in die Sonne, die jetzt hinter dem Latten gerüst stand, daß alle Bretter einen goldenen Saum trugen. Er hörte zu, und der andere las aus dem Buch vor mit einer linden, wunderlich stillen Stimme. Der Junge war auf gestört und tat die Frage, wie der andere zu diesen Büchern gekommen war. Da war wieder das feine Lächeln in dem schmalen Ge sicht, und die Augen des Fremden schauten in ferne Räume. „Das war noch im Großen Krieg. Da habe ich draußen gelegen im Graben mit meinesgleichen, und wir haben geflucht und gelacht, wie es eben in der Stunde taugte. Bis der junge Leutnant kam. Einer, der vielleicht gerade von der Schulbank ' gerutscht war. Er schleppte Bücher mit sich herum und begann, f uns manchmal daraus vorzulesen. Zuerst lächelten wir heim lich und stießen uns in die Rippen, wenn er nicht herschaute. Aber er las ernsthaft und unbeirrt weiter, und auf einmal stand da etwas vom Tod und vom Leben. Ich weiß nimmer, wie das Wort ging, aber anderntags sollten wir antreten, und da rührt solch ein Wort vom Tod und vom Leben ganz selt sam an. Wir hoben die Köpfe, und nacheinander kehrten ihm alle ihre Gesichter zu. Es war wie in der Kirche. Wir hockten still im Unterstand. Die Dämmerung war da, und der Leut nant rückte das Buch näher an die Augen. Ich dachte dabei eine Weile an unseren Pfarrer und wollte schon lächeln, weil es wie eine Predigt schien. Und dann war es doch wieder ganz anders. Er schwieg, und wir saßen ganz still. Am anderen Tag sind nicht alle zurückaekommen. Ich fragte ihn nach dem Buche. Er gab es mir, und ich las daraus. Nach drei Tagen begruben wir ihn. Wir hockten im Unterstand; und wenngleich es uns nicht sonderlich anrührte — denn wir hatten viele begraben —, war doch etwas da, das uns den Atem engte. Also griff ich aus der Brusttasche das Büchlein und Hub an zu lesen, wie es vordem der junge Leutnant getan. Ich konnte es sicherlich nicht so gut wie er und mühte mich rechtschaffen, es ihm gleichzutun. Aber die anderen saßen still wie vordem, und hernach geschah es oft, daß sie mich in einer ruhigen Stunde daraufhin anredeten, ich möge doch wieder zu ihnen lesen. Manche lächelten wohl da bei, aber wenn es dazu kam, saßen sie ebenso still wie alle anderen. Und sie brachten mir Bücher. Ein junger Student gab mir ein ganzes Bündel und unterwies mich darin. Er sagte mir die Namen; und als er fiel, schleppte ich seine Bücher immer mit mir. Waren ein guter handfester Schutz, ein richtiger Panzer, diese Bücher", lächelte der Fremde und holte ein dickes Bänd chen hervor, das zerfetzt und zcrnarbt schien. Er drückte den Finger in ein Loch des zergrisfenen Leinendeckels. „Ein Splitter ist hier steckenaeblieben , sagte er. ,^Jch trug es immer in der linken Brusttasche." Dann saßen sie still. Der junge Schroll hatte schweigend »uaehört und blätterte verspielt m den verailbten Büchern. Der Wind, der plötzlich aufstand, half ihm dabei nnd blattcrie die Seite mit seinem ungestümen Atem jählings um. Von da ab saß der Junge oft bei dem Fremden und las , in dessen Büchern. Aber der andere, den die meisten für einen , Narren hielten, halte unruhiges Blut, und eines Tages war z er wieder verschollen; niemand wußte etwas von ihm. Der Junge aber — so wunderlich und märchenhaft dies klingt, ist es doch geschaute Wahrheit — saß hernach irgendwo draußen im Unterstand des neuen Krieges und las den Kame raden aus den Büchern vor. Es klingt alles so seltsam und unwirklich? Der fremde Arbeiter mit dem Bücherkofser, der wunder liche Wanderer, ist verschollen, aber der Junge, der durch ihn zu den Büchern der Großen hingesunden hat. erzählt manch mal vou ibm.
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