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LUDWIG VAN BEETHOVEN: Neuer Text von Johannes R. Becher Seid gegrüßt! Laßt euch empfangen Von des Friedens Melodien! Unser Herz ist noch voll Bangen, Wolken dicht am Himmel ziehn. Aber neue Lieder tönen, Und der Jugend Tanz und Spiel Zeugt vom Wahren und vom Schönen, Ordnet sich zu hohem Ziel. Wo sich Völker frei entfalten Und des Friedens Stimme spricht, Muß sich Herrliches gestalten, Nacht und Träume werden Licht. CHORFANTASIE OP. 80 Leben wird zu Lust und Wonne, Wird zu aller Wohlergehn, Und der Künste Frühlingssonne Läßt die Welt uns neu erstehn. Großes, das uns je gelungen Blüht im neuen Glanz empor. „Friede, Friede ist errungen!" Jubelt laut der Menschheit Chor. Nehmt denn hin, ihr lieben Freunde, Froh die Gaben schöner Kunst, Wenn sich Geist und Kraft vereinen, Winkt uns ewigen Friedens Gunst. Carl Orff, eine der bedeutendsten, anregendsten Persönlichkeiten des zeit genössischen Musiktheaters, hat mit „Carmina burana", die am 8. Juni 1937 im Opernhaus Frankfurt/M. ungemein erfolgreich uraufaeführt wurden, einen wahren Welterfolg errungen. Schlagartig wurde der 42jährige Komponist durch dieses Werk bekannt, das er weder als Oper, Kantate noch als Oratorium bezeichnete, obwohl es mit seiner 25 geschlossene Nummern umfassenden Anlage mehr zur letzteren Gattung tendiert. Die Texte stellte Orff aus der anonymen Liederhandschrift „Carmina burana" (= Beurenische Lieder) zusammen, die um 1280 im oberbayrischen Kloster Benediktbeuren niedergeschrieben wurde und heute in der Bayrischen Staatsbibliothek München verwahrt wird. Hierbei handelt es sich um mittelalterliche Studentenlieder, moralisch-satirische Natur-, Trink- und Liebeslieder in lateinischer, mittelhochdeutscher und altfranzösischer Sprache, um mittelalterliche christlich-heidnische Lyrik der sogenannten fahrenden Gesellen, um derbe Sauf- und Vagantenpoesie also, die aber auch von der sublimen Sprache des höfischen Minnegesangs beeinflußt wurde. Die Auswahl, die Orff aus diesen Dichtungen traf, ordnete er in die drei Teile „Versis leta facies" (Frühling), „In taberna" (Schenke), „Amor volat undique" (Liebe), d. h. die Begegnung des Menschen mit der Natur, ihren sich im Wein offenbarenden Gaben und mit der Liebe. Am Anfang und Schluß des Stückes steht ein Chor, der die Göttin Fortuna anruft. Das Schicksalsrad der Fortuna ist „das Gleichnis für das Auf und Ab des menschlichen Lebens". Neben dem trotzigen Aufbegehren gegen Schicksalsmächte ist der vorherrschende Grundzug des Werkes die Bejahung des Diesseitigen, der Schönheit, der Freude und Genüsse dieser Welt. Einfache strophische Formen des Volksliedes und Volkstanzes, eine lapidare, einprägsame Melodik, eine vitale, suggestiv-erregende Rhythmik sowie diato nische Harmonik sind zu einem höchst wirkungsvollen Ganzen verbunden. Im Solo- und Chorsatz herrscht das deklamatorische Prinzip, typisch auch ist der weit gehend auf Bläser- und Schlagzeugwirkungen (einschließlich des stählernen Martellatoklanges zweier Klaviere) gestellte Klangapparat.. CARLORFF: CARMINA BURANA Deutsche Übertragung 1 O Fortuna! O Fortuna, velet luna statu variabilis, semper crescis aut decrescis; vita detestabilis nunc obdurat et tune curat ludo mentis aciem, egestatem, potestatem dissolvit ut glaciem, Sors immanis et inanis, rota tu volubilis, Status malus, vana salus semper dissolubilis, obumbrata et velata michi quoque niteris; nunc per ludum dorsum nudum fero tui sceleris. Sors salutis et virtutis michi nunc contrario, est affectus et defectus semper in angaria. Hac in hora sine mora corde nulsum tangite; quod per sortem sternit fortem, mecum omnes olangite! 2 Fortune p I a n g o v u I n e r a . . . Fortune plango vulnera stillantibus ocellis, quod sua michi munera subtrahit rebellis. verum est, quod legitur, fronte capillata, sed plerumque sequitur Occasio calvata. Wolfgang Schadewaldt Chor O Fortuna I Wie der Mond So veränderlich, Wächst du immer Oder schwindest! — Schmählich Leben! Erst mißhandelt, Dann verwöhnt es Spielerisch den wachen Sinn. Dürftigkeit, Großmächtigkeit, Sie zergehn vor ihm wie Eis. Schicksal, Ungeschlacht und eitel! Rad, du rollendes! Schlimm dein Wesen, Dein Glück nichtig, Immer im Zergehn! überschattet Und verschleiert Kommst du nun auch über mich. Um des Spieles Deiner Bosheit Trag ich jetzt den Buckel bloß. Los des Heiles und der Tugend Sind jetzt gegen mich. Willenskraft Und Schwachheit liegen Immer in der Fron. Drum zur Stunde Ohne Säumen Rührt die Saiten! — Wie den Wackeren Das Schicksal Hinstreckt: alle klagt mit mir! Chor Die Wunden, die Fortuna schlug, Beklage ich mit nassen Augen, Weil sie ihre Gaben mir Entzieht, die Widerspenstige. Zwar, wie zu lesen steht, es prangt Ihr an der Stirn die Locke, Doch kommt dann die Gelegenheit Zeigt meist sie ihren Kahlkopf.