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DRESDNER PHILHARMONIE ZUR EINFÜHRUNG Freitag, den 28. August 1970, 20 Uhr Sonnabend, den 29. August 1970, 20 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 1. PHILHARMONISCHES KONZERT • Dirigent: Kurt Masur Solist: Bernard Ringeissen, Frankreich, Klavier Dmitri Schostakowitsch geb. 1906 Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10 Allegretto — Allegro non troppo Allegro Lento Allegro molto Franz Liszt 1811-1886 PAUSE Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 Es-Dur Allegro maestoso Quasi Adagio — Allegretto vivace — Allegro animato Allegro marziale animato Richard Strauss 1864—1949 Till Eulenspiegels lustige Streiche nach alter Schelmenweise in Rondoform op. 28 Eine glanzvolle internationale Karriere eröffnete sich dem französischen Pianisten BERNARD RINGEISSEN (geb. 1934), als er seine Ausbildung am Pariser Conservatoire 1951 mit dem 1. Preis beendete, überaus erfolgreiche Konzerte als Solist international führender Orchester unter pro minenten Dirigenten sowie eindrucksvolle Soloabende verhalfen ihm zu schnellem künstlerischen Aufstieg. Darüber hinaus trugen Auszeichnungen bei internationalen Wettbewerben wesentlich dazu bei, seinen Ruf als einen der hervorragenden französischen Pianisten der jüngeren Gene ration zu festigen (zum Beispiel 1954 der Preis Aldo Ciccolini im Internationalen Wettbewerb in Neapel und der 1. Preis des Internationalen Wettbewerbs von Genf, der 4. Preis im Chopin- wettbewerb 1955 in Warschau und im gleichen Jahr der Grand Prix im Internationalen Margue rite Long-Jacgues Thibaud-Wettbewerb in Paris, 1962 der 1. Preis und der „Sonderpreis Villa Lobos" des Internationalen Wettbewerbs von Rio de Janeiro. In- und ausländische Rundfunkstationen und Schallplattenfirmen verpflichteten den Künstler zu zahlreichen Aufnahmen. Konzertreisen führten ihn unter anderem nach Spanien, Schweden, Griechenland sowie nach Nord- und Südamerika. Im Jahre 1925 debütierte der neunzehnjährige Dmitri Schostakowitsch mit seiner Sinfonie Nr. 1 op. 1 0 , die sofort die Aufmerksamkeit der ge samten musikalischen Öffentlichkeit auf sich zog. Man spürte die starke Bega bung und das sichere Können eines jungen und dennoch schon reifen Künstlers. Die Sinfonie ist gekennzeichnet durch jugendliche, frühlingshafte Schönheit. Sie verbindet Humor und Fröhlichkeit mit dem Ausdruck tiefer und starker Gefühle. In ihr steckt innere Festigkeit und Kraft, junge und glühende Liebe zum Leben. Der erste Satz beginnt mit einer ziemlich langen Einleitung (Allegretto), die durch weg in transparenten, aquarellhaften Tönen gehalten ist. Wir hören einen scherz haften musikalischen Dialog, die Instrumente scheinen miteinander zu plau dern. Dann beginnt der Hauptteil (Allegro non troppo). Die heitere Stimmung wird von der Dynamik eines kraftvollen Marsches abgelöst. Aus diesem neuen Thema sprechen Energie und Kampfeswille. Naiv und rührend klingt die Melodie der Flöte, die an einen lyrischen Walzer erinnert. Die Hauptthemen des Allegros wechseln mit Nachklängen der scherzhaften Themen aus der Einleitung. Der Klang des Orchesters bleibt weiterhin intim, kammermusikalisch. Die Instrumente wer den solistisch eingesetzt, als ob sie den in der Einleitung begonnenen Dialog fortführten. Das plötzliche Einsetzen des Orchester-Vollklanges läßt jenes Gefühl der Kraft entstehen, von dem das Finale erfüllt sein wird. Am Schluß des Allegros kehrt der Komponist wieder zu den Themen der Einleitung zurück. Der erste Satz endet so leicht, wie er begonnen hatte. Der zweite Satz (Scherzo) ist ein musikalisches Feuerwerk, das im Glanze eines echten geistreichen Witzes funkelt. Das fröhliche Thema jagt wie ein Wirbelwind vorbei. Der humorvolle Gehalt dieses Satzes findet seinen Ausdruck auch in leich ten tänzerischen Rhythmen und kontrastreichen Gegenüberstellungen verschiede ner Orchesterklangfarben. Die Soli des Klaviers ergeben eine originelle, frische Farbe, sind ein gelungener Einfall. Die stürmische Bewegung wechselt mit einer Melodie ab, die an ein russisches Lied erinnert. Am Schluß erklingen beide Haupt themen gemeinsam und gehen in einer mächtigen Aufwallung ineinander über. Der dritte Satz (Lento) gehört zu den tiefstempfundenen Kompositionen des jungen Schostakowitsch. Waren in den vorhergehenden Sätzen Rhythmus und Orchesterkolorit von großer Bedeutung, so steht hier die Melodie im Vordergrund. Diese Musik vermittelt jene erhabene, ruhige Stimmung, die uns bei der Betrach tung der Natur überkommt. Aber die Ruhe wird zerstört durch das erregte Schmettern der Blechbläser. Sie klingen wie ein Aufruf, streng und machtvoll. Und wie zur Antwort ertönt die Melodie der Oboe, getragen von dem Gefühl der inneren Kraft. So nimmt der Komponist innerhalb des dritten Satzes jene energi schen Themen vorweg, die den Hauptinhalt des Finales bilden. Das Finale (Allegro molto) ist der dynamisch und sinfonisch intensivste Satz des Werkes. War dem ersten Allegro Kammercharakter eigen, so strebt der Komponist hier nach Klangfülle. Die sinfonische Entwicklung ist bestimmt durch die wirbel artige Bewegung im Stile des Scherzos; es liegen ihr Melodien von deklamato risch-pathetischem Charakter zugrunde. Man spürt jenes oratorische Pathos, das für die musikalische Sprache des reifen Schostakowitsch so charakteristisch wer den sollte. Der Klang des Orchesters schwillt mehr und mehr an und reißt dann plötzlich ab. Es ertönen schwere, hallende Schläge - die Pauken wiederholen das Fanfarenthema des Lento. Die letzte Steigerung beginnt. Sie führt zu dem strah lenden und festlichen Schluß, def von Lebens- und Kampfesfreude kündet.