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„Josephslegende" op. 63, der „Frau ohne Schatten" op. 65 - schuf Richard Strauss die Alpensinfonie für großes Orchester und Orgel o p. 64, die er der „Königlichen Kapelle zu Dresden in Dankbarkeit" widmete. Dieser Klangkörper brachte denn auch unter der Leitung des Kompo nisten das Werk, dessen Instrumentation im Winter 1914 15 in genau 100 Tagen fertiggestellt wurde, am 18. Oktober 1915 in Berlin zur Uraufführung. Vor der Premiere äußerte Strauss die bekannten Worte „Ich hab' einmal komponieren wollen, wie die Kuh, die Milch gibt", wodurch er sicher nicht eben das Verständnis für seine formal einsätzige, dennoch alle Keime der vier Sätze des sinfonischen Zyklus einschließende Monstefpartitur gefördert hat, in der mit kaum noch über bietbarer technischer Virtuosität und Klangphantasie ein übergroßes Instrumen tarium zur Erzeugung wahrhaftiger „Farbengluten" eingesetzt wird. Der Strauss-Biograph Ernst Krause schreibt unter anderem über das heute in un seren Konzertsälen zur „Rarität" gewordene Werk, das übrigens Fritz Busch ein mal im Jahre 1928 mit Dresdens beiden Orchestern gemeinsam zu Gunsten der damaligen Pensionskasse der Dresdner Philharmonie musizierte: „Wie Straussens erste Tondichtung ,Aus Italien' von den Naturerlebnissen des Südens ausging, so schöpfte der fünfzigjährige Meister in der .Alpensinfonie' seine Bilder und Stim mungen aus der geliebten Bergwelt der oberbayrischen Heimat. Große alpine Touren waren nicht nötig: von den Fenstern seines Garmischer Landhauses hatte er den schönsten Blick auf die Zugspitze und das gewaltige Wettersteingebirge; doch spielen in das Werk natürlich auch die Eindrücke des Berchtesgadener Landes, des Steinernen Meeres und anderes hinein. Kein musikalisches Werk Beethovenscher Naturempfindung, kein Hoheslied eines ethischen Verhältnisses von Mensch und Natur’schwebte Strauss hier vor, sondern ein durch Naturerschei nungen und Naturerlebnisse imponierendes Alpen-Panorama. Das Mißverständ nis, dem das komfortable Natur-Wanderreisetableau, ein Gegenstück zu Hodlers Berglandschaften, von Anfang an ausgesetzt war, entstand durch die unglückliche Bezeichnung .Sinfonie'. Sinfonie bedeutet geistige Auseinandersetzung mit der er habenen Bergwelt, müßte etwas von den seelischen .Höhen' und .Tiefen', von den elementaren Kräften spüren lassen. In dieser Hinsicht kann die durchaus naiv gedachte .Alpensinfonie' nicht einmal mit Liszts romantischer .Bergsinfonie' ver glichen werden. Strauss hält sich an sichtbare stoffliche Tatsachen. Alles seelisch Reflektierende drückt sich nur in der* kurzen Episode der .Elegie' aus, die den Wanderer die Rätsel der Natur immerhin ahnen läßt. Sonst aber liegt das Cha rakteristische dieser lebensvollen, melodienreichen Musik eindeutig in ihrer be törenden farbigen Außenwirkung. Was zu einer Bergbesteigung gehört, ist in der völlig unliterarischen Musikreportage vorhanden — obwohl der Tondichter Strauss früher sicher weit höhere Gipfel angestrebt hat. Auffallend der Verzicht auf jedes erotische Moment. Der Wanderer bleibt mit der Natur allein. Er flüchtet in die Ein samkeit. Naturschilderung? Dies schrieb der Maler Renoir: ,Wie schwer ist es, den richtigen Augenblick nicht zu versäumen, wo man bei einem Bild mit der Naturnachahmung aufhören muß. Die Malerei darf nicht nach dem Modell riechen, und doch muß man die Natur durchfühlen.' Der 4 Musiker Strauss hat über solche ästhetische Fra gen unbekümmert hinwegmusiziert. Im Bestreben, die Natur möglichst genau .ab zumalen', ist er ins Naturalistische abgeglitten — die tönende Alpenkulisse .riecht' wirklich nach dem 'Modell'. Nicht nur, wenn Strauss zur Illustrierung der Natur- vor'gänge Herdengeläut, Wind- und Donnermaschine aufbietet, auch bei der sonstigen musikalischen Bildberichterstattung, die der Hörer förmlich mit Händen greifen kann, fehlt kein Detail rein freskenhafter Zustandsschilderung. Strauss trägt diesmal keinerlei Scheu mehr, erklärende Worte der Partitur einzufügen. Mit den geheimnisvollen Schauern der .Nacht' hebt das Werk an: in feierlichen Akkor den löst sich das blechgepanzerte Bergmotiv. In strahlendem A-Dur wird der .Sonnenaufgang' in Szene gesetzt; der Tag br-icht an. Nach kurzem Marsch durch die Ebene beginnt der .Anstieg'. Jagdhörner erklingen von fern — der Wanderer tritt mit Hörnern und Posaunen in den Wald ein. Die .Wanderung neben dem Bach' führt zum .Wasserfall', bei dem es in den Springbögen der Geigen, in den Harfen und der Celesta rauscht und glitzert, über ,Blumige Wiesen' schreitet der Bergfreund weiter zur ,Alm'. .Durch Dickicht und Gestrüpp' geht der Anstieg im Fugato weiter, bis er ,Auf dem Gletscher' anlangt. (Meisterlich das Flimmern des Firns der in die höchsten Lagen geführten Trompeten.) .Gefahrvolle Augenblicke' sind zu bestehen. Endlich aber ist der .Gipfel' erreicht: eine stockende Oboen melodie drückt die Beklemmung in der Brust des Wanderers aus. Das Erlebnis verdichtet sich zur .Vision' angesichts der einsam-erhabenen Natur. .Nebel steigen auf' (versinnbildlicht durch das Heckeiphon). .Die Sonne verfinstert sich allmäh lich' bei mildem Orgelklang; die Altoboe stimmt ihre .Elegie' an. Stille herrscht ringsum: die .Stille vor dem Sturm'. Unerwartet erreichen .Gewitter und Sturm' (ein tumultarisches Orchesterunwetter) den Wanderer bei seinem .Abstieg'. Wie der führt der Weg am Wasserfall vorüber; aber kein Aufenthalt wird genommen. Schließlich .Sonnenuntergang' in üppiger Tonmalerei, andachtvoller .Ausklang' und wieder .Nacht' mit der absteigenden b-Moll-Skala: Ruhe nach Gefahr und Anstrengung. Der Ring ist geschlossen." VORANKÜNDIGUNGEN: Freitag, den 11., und Sonnabend, den 12. September 1970, jeweils 20 Uhr, Kulturpalast 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Günther Herbig, Berlin Solistin: Annerose Schmidt, Leipzig, Klavier Werke von Webern, Chopin, Strauss und Ravel Freier Kartenverkauf Sonntag, den 13. September 1970, 20 Uhr, Saal des Landhauses 1. LANDHAUS-KONZERT Werke von Franz Schubert Anrecht D und freier Kartenverkauf Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit 1970/71 - Chefdirigent: Kurt Masur Redaktion: Dr. Dieter Härtwig Druck: veb polydruck Werk III 3 Pirna - 111-25-12 1,6 ItG 009-86-70 ohiharmonie 1. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1970/71