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DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 11. September 1970, 20 Uhr Sonnabend, den 12. September 1970, 20 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Günther Herbig, Berlin Solistin: Annerose Schmidt, Leipzig, Klavier Anton Webern 1883-1945 Fryderyk Chopin 1810-1849 Sechs Stücke für Orchester op. 6 (Ursprüngliche Fassung) Etwas bewegte Achtel Bewegt Zart bewegt Langsam (marcia funebre) Sehr langsam Zart bewegt Erstaufführung Konzert für Klavier und Orchester f-Moll op. 21 Maestoso Larghetto Allegro vivace PAUSE Richard Strauss Burleske für Klavier und Orchester d-Moll 1864-1949 Allegro vivace Maurice Ravel 1875-1937 Suite Nr. 2 aus dem Ballett „Daphnis und Chloe“ (Fragments Symphoniques) Lever du jour Pantomime Danse generale GÜNTHER HERBIG wurde 1931 in der CSSR geboren. Er studierte an der Franz-Liszt-Hochschule in Weimar bei Hermann Abendroth Dirigieren. Nach dem Staatsexamen wurde er zweiter Kapellmeister am Deutschen National theater Weimar und gleichzeitig Dozent für Dirigieren und Leiter der Orchester der Musikhochschule. Während dieser Zeit vervollständigte er seine Studien bei Hermann Scherchen, Arvid Jansons und Herbert von Karajan. 1962 wurde er Musikdirektor der Stadt Potsdam und 1966 Dirigent des Berliner Sinfonie- Orchesters. Günther Herbig dirigierte in Gastkonzerten viele sinfonische Orchester in der DDR, in Po'.en, Un garn, Rumänien und der CSSR und machte Rundfunk- und Schallplatten aufnahmen. ANNEROSE SCHMIDT studierte nach langjähriger Ausbildung bei ihrem Vater an der Leipziger Musikhochschule bei Hugo Steurer und bestand nach drei Jahren 1957 das Staatsexamen mit besonderer Auszeichnung. Sie ist Preis trägerin des V. Internationalen Chopin- Wettbewerbes 1955, 1. Preisträgerin im Gesamtdeutschen Pia nisten-Wettbewerb Leipzig 1955 und internationalen Schu mann-Wettbewerb 1956. 1961 erhielt die Pianistin den Kunstpreis der DDR sowie 1965 — während der 13. Westdeutsch land-Reise der Dresdner Philharmonie, an der sie als Solistin teilnahm — den Nationalpreis unserer Republik. Kon zertreisen führten Annerose Schmidt u. a. nach der Sowjetunion, VR Bul garien, Jugoslawien, Westdeutschland, Finnland, Schweden, Dänemark, den Volksrepubliken Polen und Ungarn, England, Holland, der CSSR, der SR Rumänien, dem Libanon, Ägypten, Österreich. Bei der Dresdner Philhar monie ist die prominente Künstlerin ständiger Gast. ZUR EINFÜHRUNG Der Österreicher Anton Webern, als Komponist der wohl konsequenteste Schüler Arnold Schönbergs, in den Jahren 1921 bis 1934 angesehener Dirigent der Wiener Arbeiter-Sinfoniekonzerte, seit 1923 auch des Wiener Arbeiter-Singvereins, 1945 von einem amerikanischen Besatzungssoldaten erschossen, erlebt seit den 50er Jahren eine erstaunliche Renaissance in westeuropäischen Ländern, während er zu Lebzeiten mit seiner esoterischen Kunst in zunehmende Isolation geriet. Ein großer Teil seines nur 31 Werknummern zählenden gedruckten Schaffens galt der Vokalmusik, aber auch seine Orchester- und Kammermusik ist von Gewicht. Die Sechs Stücke für Orchester op. 6, in erster, heute erklingender Fas sung 1909 entstanden, entstammen der frühen Schaffensperiode des Komponisten. „Arnold Schönberg, meinem Lehrer und Freunde, in höchster Liebe“ gewidmet, steht über der Partitur, die von Schönbergs „Fünf Örchesterstücken op. 16" mit den Versuchen zur sogenannten Klangfarbenmelodie angeregt und am 31. März 1913 im Großen Musikvereinssaal in Wien unter Schönbergs Leitung uraufgeführt wurde. Die in den vorausgegangenen „Fünf Sätzen für Streichquartett op. 5" von Webern erreichte musikalische Aussage auf engstem Raum mit ihren extremen Klanglagen und der subtilen „Haarnadeldynamik" übertrug der Komponist in den Orchesterstücken op. 6 auf die Mittel des großen Orchesters, wodurch er die Klangfarbenpalette seiner Tonsprache bereicherte. Das nahtlose Ineinander greifen musikalischer Linien, die im Sinne der „Klangfarbenmelodie" auf ver schiedene Instrumente aufgeteilt werden (wie zum Beispiel die am Beginn des ersten Stückes stehende Melodie auf Flöte, Trompete und Horn aufgespalten ist), und charakteristischer „Akkordfärbungen" (Beginn des vierten Stückes) läßt die Komposition, die im Harmonischen noch impressionistische Einflüsse verrät, für die Ausführenden sehr heikel werden. Für den Hörer stellen die Orchesterstücke wie übrigens alle Schöpfungen Weberns insofern Probleme dar, als ihre aphori stische Kürze (Gesamtdauer des Zyklus: knapp 8 Minuten, das längste Stück ist das vierte mit reichlich 3 Minuten Dauer) eine Orientierung erschwert. Kaum hat der Hörer begonnen, sich in einigen motivischen und formalen Beziehungen zu rechtzufinden, ist das Stück schon zu Ende. Aber gerade diese motivische Kon zentration, stärkste geistige und technische Verdichtung, diese Tendenz zur expressionistischen Miniatur, zum epigrammatischen Klanggebilde ist wohl das charakteristischste Merkmal der Webernschen Kunst. Sein Klavierkonzert f-Moll op. 21 vollendete Fryderyk Chopin (ebenso wie das e-Moll-Konzert op. 11) im jugendlichen Alter von kaum 20 Jah ren. Die Uraufführung des Werkes, bei der der Komponist gleichfalls den Solo part selbst übernommen hatte, fand am 17. März 1830 in Warschau statt. Obwohl das f-Moll-Konzert bei seiner späteren Veröffentlichung im Jahre 1836 der polni schen Gräfin Delfina Potocka gewidmet wurde, war es ursprünglich unter dem Eindruck seiner Jugendliebe zu Konstancja Gladkowska, einer Opernsängerin am Warschauer Nationaltheater, entstanden. Das Konzert, mit dem Chopin übrigens auch in Paris debütierte, knüpft zwar in seiner formalen Anlage und in technischer Hinsicht an die virtuosen Klavierkonzerte der Zeit an, zeigt sich aber in seiner Tiefe des Gefühls, seiner Poesie, seiner reich figurierten typischen Melodik und in seiner bezaubernden jugendlichen Frische und Leichtigkeit bereits als echtes Werk seines Schöpfers. Der erste Satz (Maestoso) entwickelt sich in seinem Verlauf zu einem ausgeprägt virtuosen Musikstück. Auf zwei kontrastierenden Themen, einem betont rhyth mischen und einem eher lyrisch-ausdrucksvollen, aufbauend, bringt der Satz in seiner Durchführung statt einer Verarbeitung dieser Themen im Sinne drama tischer Spannung und Entspannung eine reiche Ausdeutung des thematischen