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DRESDNER PHILHARMONIE Freitag, den 5. Juni 1970, 20 Uhr Sonnabend, den 6. Juni 1970, 20 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 10. PHILHARMONISCHES KONZERT® Dirigent: Lothar Seyfarth Solist: Viktor Jeresko, Sowjetunion, Klavier Eduard Mirsojan geb. 1921 Sinfonie für Streichorchester und Pauken Andante patetico Allegretto ma non troppo Adagio Allegro vivo Erstaufführung Sergej Rachmaninow 1873-1943 PAUSE Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll op. 18 Moderato Adagio sostenuto Allegro scherzando Bedrich Smetana 1824-1884 Aus Böhmens Hain und Flur Sinfonische Dichtung aus dem Zyklus „Mein Vaterland" VIKTOR JERESKO, Jahrgang 1942, gehört zur jüngsten Generation der sowjetischer, Pianistenschule. Seine Studien absolvierte er an der Musikschule und am Konservatorium in Lwow sowie am Moskauer Konservatorium als Schüler von Jakow Flier und L. Wlossenko. Nach dem Ehrendiplom des Unionswettbewerbes von 1961 errang der zielstrebige junge Künstler 1963 mit dem 1. Preis des Marguerite-Longue-Jacques-Thibaud-Wettbewerbes in Paris die erste inter nationale Anerkennung seiner großen Begabung. Marguerite Longue sprach sich besonders aner kennend über seine brillante Technik aus. Konzertreisen führten Viktor Jeresko, der gegenwärtig als Aspirant am Moskauer Konservatorium bei L. Naumow sein Können vervollständigt, mehrfach nach Frankreich und auch bereits in die DDR. In der SU konzertiert er regelmäßig in allen größeren Städten. Bei der Dresdner Philharmonie war er erstmalig 1968 zu Gast. ZUR EINFÜHRUNG Der armenische Komponist Eduard Michailowitsch Mirsojan stammt aus Gori. Er absolvierte das Konservatorium in Jerewan und schloß seine kompositorische Ausbildung 1946 48 in Moskau ab. Während des Krieges war der junge Musiker bereits durch das Kampflied „Unser Vaterland ruft" überall im Lande bekannt geworden, seine eigentliche schöpferische Entwicklung setzte jedoch erst nach 1945 ein und führte ihn schnell auf das sinfonische Gebiet, bei dem bis heute der Schwerpunkt seines Schaffens liegt. Den Helden des 2. Welt krieges widmete er 1944 ein dramatisches Poem; es folgte 1946 eine Tanz-Suite, 1947 eine Fest-Ouvertüre. Im selben Jahre entstand Mirsojans erstes Streichquar tett. In den fünfziger Jahren widmete sich der Komponist, der heute als Professor für Komposition am Konservatorium in Jerewan wirkt, auch dem Kantaten- und Liedschaffen und schrieb einige Filmmusiken, bis er 1962 mit seiner ersten Sinfonie hervortrat, einem nur für Streicher und Pauken gesetzten Werk, das Kurt Masua 1963 mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin zur DDR-Erstaufführung' brachte und das heute seine Dresdner Erstaufführung erlebt. Die Sinfonie für Streichorchester und Pauken fesselt durch die Leidenschaftlichkeit und Ehrlichkeit ihrer Aussage. Ein edler Charakter setzt sich hier mit den großen, oft schweren, immer aber siegreich bewältigten Proble men seiner Gegenwart auseinander. Die „Stil"-Frage, die sich in nicht wenigen zeitgenössischen Kompositionen so stark in den Vordergrund drängt, wird nicht gestellt. Mirsojan nimmt den dramatischen Impetus und den Lyrismus eines Tschaikowski auf, behandelt ihn aber mit der Urwüchsigkeit etwa Mussorgskis — diese Namen seien nur genannt, um die Verwurzelung in der russischen sinfoni schen Sprache anzuzeigen, direkte Verbindungslinien bestehen nicht. Das ge schärfte, manchmal geradezu kantige rhythmische Gewand und die Harmonie- Behandlung scheinen in Bartök ihre Vorbilder zu haben. Mit solchen Sprachmit teln führt uns der Komponist in kraftvoll-rhapsodischer Gestaltung im 1. Satz so gleich tief in den Bereich seiner Probleme hinein, läßt er sie im scherzoartigen 2. Satz weiterklingen, bewältigt er sie in der Ruhe und Grazilität des langsamen Satzes und faßt er sie im Schlußsatz rückblickend souverän zusammen. Viel zu wenig — der großen musikhistorischen Bedeutung kaum entsprechend - wird die Persönlichkeit des russischen Komponisten Sergej Rachmaninow im deutschen Musikleben gewürdigt. Dabei gäbe es gerade bei diesem Meister noch eine Fülle unvermuteter Entdeckungen zu machen! Als Schüler Silotis, Arenskis und Tanejews am Moskauer Konservatorium wurde bereits seine Ab schlußarbeit, die auch von Tschaikowski gelobte Oper „Aleko" nach Puschkin, ein beachtlicher Erfolg. Danach entstanden viele gewichtige Werke, so u. a. zum Tod^ des von ihm hochverehrten Tschaikowski das „Elegische Trio". Lange Jahre wirkte^ Rachmaninow als angesehener Operndirigent in Moskau. Während dieser Tätig keit schloß er Freundschaft mit dem berühmten Sänger Fjodor Schaljapin. 1901 vollendete er eines seiner berühmtesten Werke, das heute erklingende 2. Klavier konzert, 1904 die Opern „Der geizige Ritter" und „Francesca da Riminin". 1917 begab sich Rachmaninow ins Ausland, ohne bis zu seinem Lebensende wieder in seine Heimat zurückzukehren. Als gefeierter, glänzend begabter Pianist erwarb er internationalen Ruhm in den Konzertsälen Europas und Amerikas. Nach mehr jährigem Aufenthalt in Deutschland und Frankreich wanderte er nach Amerika aus. Doch immer litt er schmerzvoll unter der Trennung von seiner Heimat. „Als ich aus Rußland fortging", bekennt er, „verlor ich den Wunsch, zu schaffen. Als ich die Heimat verließ, verlor ich mich selbst." Von Heimweh verzehrt, starb Rach maninow 1943 in Kalifornien. Stilistisch kann man bei ihm im guten Sinne von einer Liszt-Tschaikowski-Nachfolge sprechen. Dabei ist Rachmaninow — selbst im Ausland — im Charakter und Wesen