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DRESDNER PHILHARMONIE Sonntag, den 14. Juni 1970, 20 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden SONDERKONZERT zum Abschluß der II. Dresdner Sommerfesttage 1970 Dirigent: Lothar Seyfarth Solistin: Hannerose Katterfeld Sprecher: Joachim Zschocke, Dresden Ludwig van Beethoven 1770-1827 Musik zu Goethes Trauerspiel „Egmont" op. 84 Ouvertüre (Sostenuto, ma non troppo - Allegro) Lied (Clärchen): Die Trommel gerühret Zwischenakt I (Andante - Allegro con brio) Zwischenakt II (Larghetto) Lied (Clärchen): Freudvoll und leidvoll Zwischenakt III (Allegro - Allegretto — Marcia vivace) Zwischenakt IV (Poco sostenuto e risoluto - Larghetto — Andante agitato) Clärchens Tod (Larghetto) Melodram (Egmont): Süßer Schlaf Sieges-Sinfonie (Allegro con brio) PAUSE Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92 Poco sostenuto Allegretto Presto Allegro con brio JOACHIM ZSCHOCKE, geboren 1928 in Essen, prominentes Mitglied des Dresdner Staatsschau spiels, studierte nach erster Begegnung mit künstlerischer Tätigkeit in Singegruppen und Spielgemeinschaften der FDJ an der Staatlichen Schauspielschule Berlin. Nach Engagements am Meininger Theater und am Landestheater Halle kam er 1963 an die Staatstheater Dresden, wo er seitdem eine Vielzahl bedeutender Rollen verkörperte (u. a. Richard III., Fiesko, Arturo Ui, Christian Maske in Sternheims „Snob", Alfred Loth in Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang", Reinhardt Barhaupt in Kleineidams „Von Riesen und Menschen" und Lenin in Steins „Zwischen den Gewittern"). Daneben erfüllte er zahlreiche Funk- und Fernsehaufgaben. Für sein bisheri ges verdienstvolles Dresdner Wirken wurde er 1968 mit dem Vaterländischen Verdienstorden ausgezeichnet. HANNEROSE KATTERFELD, heute zu den besten Nachwuchs-Altistinnen unserer Republik gehö rend, wurde in Dresden geboren und wuchs in einem musikliebenden Elternhaus auf. 1955 bis 1961 studierte sie an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber" in ihrer Heimatstadt und wurde nach Abschluß ihrer Studien an die Landesbühnen Sachsen verpflichtet, wo sie, bis 1966 wirkend, eine große Zahl interessanter Par tien ihres Fachs verkörpert hat. 1963 bis 1965 band sie außerdem ein Gastvertrag an die Ko mische Oper Berlin. 1966 wirkte sie erstmalig bei den Händel-Festspielen in Halle mit. Seit 1966 eine rege Gastspieltätigkeit entfaltend (u. a. an der Deutschen Staatsoper Berlin), trat die junge Künstlerin auch wiederholt mit Lieder abenden innerhalb der „Stunde der Musik" er folgreich in Erscheinung. Bei der Dresdner Phil harmonie war sie erstmalig im Jahre 1967 zu Gast. ZUR EINFÜHRUNG Am Vorabend der Französischen Revolution verleihen 1787 Schillers „Don Carlos" und Goethes „Egmont" Gedanken Ausdruck, die von brennender Aktuali tät erfüllt sind. Vor dem Hintergrund des niederländischen Befreiungskampfes gegen die spanische Unterdrückung scheitert Goethes Graf Egmont an dem für ihn unlösbaren Konflikt zwischen seinem persönlichen, gesellschaftlich isolierten Freiheitsbegriff und der ihm durch die geschichtliche Notwendigkeit gestellten Aufgabe. Während er auch nur den Anschein der Rebellion meiden möchte und sich nicht zu befreiender Handlung aufraffen kann, sucht Clärchen mutig ihre Landsleute mitzureißen. In Egmonts Traumvision von der bevorstehenden Hin richtung erscheint das einfache Bürgermädchen dem adligen Geliebten als Ver körperung der Freiheit. Seit seinen Bonner Jugendjahren bekennt sich Beethoven zu den Ideen der Aufklärung, aufgeschlossen steht er dem Gedankengut und der Musik der Französischen Revolution gegenüber. Das Mißlingen der Erhebung Österreichs gegen das napoleonische Joch 1809 bedrückt ihn tief, als Schmach empfindet er die französische Besetzung und Unterdrückung. In dieser Situation entspricht die Direktion des Wiener Hoftheaters dem allgemeinen patriotischen Verlangen, wenn sie Stücke wie Schillers „Wilhelm Teil" und „Don Carlos" und Goethes „Egmont" aufführt. Wünscht sich Beethoven auch den „Teil", wird ihm, dem in höfischen Kreisen als „Republikaner" scheel anaesehenen Komponisten, nach etlichen Intrigen dennoch der nach damaliger Auffassung musikalisch minder geeignete „Egmon. zugewiesen: „Er bewies indessen, daß er auch zu diesem Drama eine Meistermusik machen konnte, und bot dazu alle Kraft seines Genies auf" (Karl Czerny). Im Winter 1809 10 hat er entsprechend den genauen Regie hinweisen des Dichters die Musik zu „Egmont" „bloß aus Liebe zum Dichter geschrieben, nichts dafür von der Theaterdirektion genommen" (Beet hoven). Nach der von ihm selbst geleiteten ersten Aufführung am 15. Juni 1810 wird die Musik regelrecht totgeschwiegen, erst 1813, im Jahr der Befreiungskriege, erfährt sie durch E. Th. A. Hoffmann erste ausführliche Würdigung. Nur zwei Vokalstücke begegnen: Clärchens Lieder — das unternehmende „Sol datenliedchen" und das im wunderbaren Wechsel die Empfindung des liebenden Mädchens feinsinnig spiegelnde „Freudvoll und leidvoll" - singt in Wien Toni Adamberger, die Braut Theodor Körners; mitgerissen vom eigenen Gefühlsüber schwang, scheint Beethoven hier fast die gesanglichen Möglichkeiten einer Schau spielerin zu vergessen. Vier Zwischenaktmusiken ermöglichen eine pausenlose Aufführung: die erste leitet aus Brackenburgs Niedergeschlagenheit angesichts seiner vergeblichen Liebe zu Clärchen in die revolutionäre Volksszene der Vansenschen Reden über - die Wendung vom privaten zum allgemeinen Schicksal wird eindringlich voll zogen. Dem Charakter eines Trauermarsches nähert sich die zweite, Egmont sinnt Oraniens Warnung nach, ein gewisser heroisch-gelassener Grundton bleibt un überhörbar. In der dritten muß Clärchens Liebesglück dem Geschwindmarsch der anrückenden spanischen Truppen weichen, die die Bevölkerung Brüssels in Angst und Furcht versetzen. Die vierte endlich schildert Egmonts heimtückische Verhaf tung und stellt Clärchens innige Tapferkeit der Mutlosigkeit ihrer Mitbürger ge genüber. Im d-Moll-Larghetto rückt der ergreifende Klagegesang einer elegischen Oboen weise Clärchens Sterben in allmählichem Verlöschen in den milden Glanz einer sanften Verklärung. Das Melodram bannt Egmonts Kerker-Vision durch eindrucks volle Klänge — die dichterischen Bilder verlebendigen sich in differenzierter In strumentation und ausdrucksvoller Harmonik; Clärchens Erscheinung als „Frei heit im himmlischen Gewände" festigt sich marschartig, bis energische Streicher akzente Egmonts Tod künden. Aber dann klingen hell und zuversichtlich Trom peten auf, ihr Eintritt „deutet auf die für das Vaterland gewonnene Freiheit" (Beethoven): die Parallelität zwischen niederländischer und deutscher Freiheits-