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8. ZYKLUS-KONZERT PETER TSCHAIKOWSKI Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 5. Mai 1990, 19.30 Uhr Sonntag, den 6. Mai 1990, 19.30 Uhr oresoner plnillnQroooniie* Dirigent: Jörg-Peter Weigle Solistin: Heike Janicke, Dresden, Violine Carl Nielsen 1865-1931 Konzert für Violine und Orchester op. 33 Präludium (Largo) — Allegro cavalleresco Poco Adagio — Rondo (Allegro scherzando) PAUSE Peter Tschaikowski 1840-1893 Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 Andante — Allegro con anima Andante cantabile con alunca licenza Valse (Allegro moderato) Finale (Andante maestoso - Allegro vivace) JORG-PETER WEIGLE ZUR EINFÜHRUNG Carl Nielsen galt zu seiner Zeit in den skandinavischen Ländern als Dänemarks „größter Sohn auf dem Gebiet der Künste nach Hans Christian Andersen". Aber dieser Ruhm überschritt zu Nielsens Lebzeiten die Grenzen Skandinaviens nicht, und seine Lei stungen wurden vom Ausland nur wenig be achtet. 1922 dirigierte er zweimal in Berlin eigene Werke, und auch Fritz Busch und Wil helm Furtwängler setzten sich für ihn ein, Furtwängler dirigierte Nielsens 5. Sinfonie 1927 mit großem Erfolg während eines internatio nalen Musikfestivals. Erst nach dem Tode des Komponisten, insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg, gelangte Nielsens Schaffen mehr und mehr zu internationalem Ansehen. Der Komponist gilt heute als eine bemerkenswerte Persönlichkeit der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, die mit eigenwilligen Neuerun gen der Musikentwicklung vorausgegriffen und zur Erweiterung der melodisch-harmonischen Ausdrucksmittel beigetragen hat. Charakteri stisch ist seine rhythmisch kraftvoll-akzentuierte, polyphon-lineare und polytonale Schreibweise. Anregungen für sein Schaffen fand Nielsen bei Mozart und Brahms, aber auch bei Bach und Händel. Ferner verarbeitete er Einflüsse des dänischen Volksliedes sowie solche aus Werken von Gade, J. Svendsen und J. P. E. Hartmann. Seine Hinwendung zu Kontrapunkt und Linearität wirkte anregend auf Komponi sten der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Niel sens Schaffen umfaßt nahezu alle musikali schen Genres. Er schrieb u. a. Lieder, vier Streichquartette, drei Instrumentalkonzerte, sechs Sinfonien, zwei Opern. Es gelang ihm auf allen Gebieten, Werke von hoher künst lerischer Qualität zu schaffen. Erste musikali sche Anleitungen erhielt Nielsen, von seinem Vater, der von Beruf Anstreicher war und sich als Dorfmusikant Geld hinzuverdiente. Als 17jähriger begann Nielsen, von Niels W. Gade gefördert, am Konservatorium in Kopenhagen Violine und Komposition zu studieren. Noch während des Studiums erlebte er die erste öffentliche Aufführung einer seiner Komposi tionen. 1890/91 führte ihn eine Studienreise nach Deutschland, Österreich und Frankreich, und er traf sich u. a. auch mit Brahms. 1894 wurde Nielsens 1. Sinfonie durch das Kopen hagener Hoforchester mit großem Erfolg ur aufgeführt. Mit den Aufführungen seiner bei den Opern „Saul und David" (1902) und „Maskerade" (1906), die begeisterte Aufnah me fanden, hatte er sich Kopenhagen erobert. 1908 bis 1914 war Nielsen Hofkapellmeister in Kopenhagen. Während dieser Zeit entstan den seine 3. und 4. Sinfonie. Sie machten Nielsen in ganz Skandinavien berühmt. 1915 bis 1927 leitete Nielsen den Kopenhagener Musikverein. Später wurde er auch Direktor des Konservatoriums der Stadt und übernahm außerdem ab 1918 die Leitung der Götebor ger Konzerte. Als Dirigent eigener Werke be suchte er verschiedene europäische Musik zentren. Carl Nielsen besitzt nicht die folkloristische Eindeutigkeit und die typischen Eigenarten von Sibelius. Das mag seinem Erfolg im Wege gestanden haben. Manchmal wirkt sein the matisches Material, so eindringlich es auch behandelt wird, ein wenig unpersönlich. Die romantische, gefühlsintensive „unendliche Me lodie" weicht einer eigentümlich abgesetzten, „abschnittartigen" Themenformung, die in Melodik und Harmonik an spätmittelalterli cher Kirchenmusik orientiert ist. Dazu gesellt sich eine vielfältige, in ihrem schnellen Wech sel oft unruhig wirkende, rhythmische Gestal tung. Ausgleichend wirkt der Klang der klas sischen Orchesterbesetzung, so daß Nielsens Musiksprache wohl einer gewissen Spröde und Herbheit nicht entbehrt, man ihr aber eigenen Reiz abgewinnen und interessiertes Zuhören nicht verweigern kann. Sein Kon zert für Violine und Orchester o p. 3 3 aus dem Jahre 1911, ein reichlich halbstündiges, groß angelegtes, virtuos-sinfo nisches Werk, umfaßt zwei Sätze, die wieder um in je einen langsamen und einen schnellen Teil gegliedert sind. Das Konzert beginnt sogleich mit einer Kadenz der Solo-Violine in herb-bizarrer Melodik, bis mild und schön, getragen vom Solo-Instrument und den Tutti-Streichern, das punktierte Hauptthema einsetzt. Rhapsodisch trägt die Violine das musikalische Geschehen weiter, sparsam begleitet von Holzbläsern und Strei chern. Hart abgesetzt und derb fällt das Al legro cavalleresco ein, das von großem sinfo nischem Atem bewegt wird, doch auch lyrischer Passagen nicht entbehrt. Zuweilen schimmern heiter-humoreske Züge hindurch. Das Haupt thema, besonders wenn es von den Hörnern intoniert wird, erinnert in seiner bündigen Ein fachheit an Webers „Wald-Stimmung". Auch die große Violin-Kadenz, ungewöhnlich in die Satz-Mitte eingebettet, nimmt es deutlich auf. Nach der Kadenz bestimmt wieder Virtuosität