W ebers Ouvertüren nehmen in der musikalischen Formen- und Stilgeschichte eine wichtige Stellung ein. Sie bilden Marksteine der Entwicklung. Schon die Wiener Klassik hatte in der Ouvertüre mehr erblickt als eine bloße Instrumentaleinleitung. Gluck, Haydn, Mozart und Beethoven setzen sie in unmit telbare Beziehung zum Gefühls-, Stimmungs- und Gedankengehalt der nachfolgenden Oper. Auch Mehul und Cherubini, deren künstlerische Einflußnahme auf Weber evident ist, verfahren nicht anders. Stücke wie die Ouvertüren zu Mozarts Don Giovanni und Zauberflöte, Beethovens große Leonoren-Ouvertüren Nr. 2 und 3 enthalten die geistig bewegenden Kräfte des Dramas in stärkster Ballung. Auf dem hier gewiesenen Wege schritt Weber konsequent weiter. Unter seinen Händen gewinnt die Ouvertüre den Charakter einer symphonischen Dichtung. Webers Ouvertüren begnügen sich indessen keineswegs damit, die schönsten Me lodien potpourriartig zum lockeren Blütenstrauße zu binden, im Gegenteil, sie verdichten, konzentrieren, beschränken auf das Wesentliche, indem sie das Themenmaterial dem Formgesetz des Sonatensatzes untertan machen. Dabei werden die Themen dergestalt gewählt, daß sie als musikalische Sinnbilder der Grundelemente der Handlung, als Grundfarben des zur Darstellung gelangenden Milieus gelten können. (...) Kein Mensch, der sich von dem Elfen- und Märchenweben der OZteron-Ouvertüre gefangen nehmen läßt, würde ahnen, daß sie von der Hand eines Sterbenden niedergeschrieben worden ist. Oder entfaltet sich erst jenem Blick, der bereits Abschied von ihr nimmt, die höchste irdische Schönheit dieser Welt? Das Verlangen der Romantik, das letzte Zungenband ihrer Sehnsucht nach dem Unaussprechlichen, dem Unendlichen in der Musik zu lösen, hat in diesen Tönen eine reinste Stillung erfahren. Wovon die romantischen Dichter träumten, ohne ihm in der Enge und Begrenztheit des Worts den erwünschten Ausdruck erobern zu können, das hat hier in Carl Maria von Webers Tonsprache Verwirklichung gefunden. Dem unaufhörlich in die Fernen der Zeit und des Raumes schweifenden romantischen Lebensgefühl ist in diesem Stück die Dauer verliehen worden. Richard Wagner hat die treibenden Kräfte richtig erahnt, wenn er von dieser Ouvertüre als einer dramatischen Phantasie gesprochen hat. Eine Phantasie, die frei und ungehemmt, auf wirklichen Elfenflü geln, ihre Schwingen in Gefilde breiten konnte, die bis dahin noch kaum ein anderer Genius erflogen hatte. (Wilhelm Zentner) A ls 1906 der später so gefürchtete Wiener Musikkritiker Julius Korngold seinen 9jährigen Sohn Erich Wolfgang zum Vorspielen eigener Kompositionen zu Gustav Mahler brachte, empfahl dieser, den Buben bei Alexander von Zemlinsky unterrichten zu lassen. Bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr lernte Korngold bei Zemlinski. Felix von Weingartner, neuer Chef der Wiener Hofoper, ließ es sich nicht nehmen, den Schneemann, eine Ballettkomposition des Wunderkin des, 1910 zur Uraufführung zu erwerben. Nicht wenige empfanden es als Provokation, die geheiligte Stätte der Hofoper durch eine Kindeskomposition entweiht zu sehen und lösten eine rege Diffamierungskampagne gegen den »neuen Mozart« aus. Einer früheren Empfehlung Mahlers an den Hamburger Kritiker Ferdinand Pfohl folgend, kam Korngold bereits 1912 als Solist seiner kammermusikalischen Werke in die Hansestadt, zu der eine jahrzehntelange persönliche wie künstlerische Verbindung entstand. Noch vor Ausbruch des 1. Weltkrieges begann die Komposition der Einakter Der Ring des Polykrates op. 7 und Violanta op. 8, die nach einer glanzvollen Münchener Premiere unter Bruno Walter auch schnell ins Hamburgische Stadttheater übernommen wurden. Die unbändige Schaffenskraft Korngolds führte zur Niederschrift mehrerer Liederzyklen, Kammermusik und der Schauspielmusik zu Viel Lärm um nichts als Auftrags werk des Wiener Burgtheaters. Die Erfolgsoper Die tote Stadt gab Korngold 1920 als Doppel-Uraufführung nach Hamburg (unter Egon Pollak) und Köln (unter Otto Klemperer). Als eine der meistaufgeführten Opern der 20er Jahre lief Die tote Stadt an über 50 Opernbühnen. Der große Hamburger Erfolg bewegte den Opernchef Hans Loewenfeld, Korn gold 1921 als Dirigenten an das Stadttheater zu binden - eine Position, die Korngold allerdings nur für kurze Zeit innehatte. Eine weitere große Oper, Das Wunder der Heliane, konnte 1927 in der Atmosphäre »neuer Sachlichkeit« trotz hochkarätiger Besetzung der Premiere (wieder in Hamburg) nicht mehr als einen Achtungserfolg erringen. Auch sah sich Korngold an »reichsdeutschen« Theatern einer sich verstärkenden nationalsoziali stischen Hetze ausgesetzt. Eine dadurch nicht zu realisierende Uraufführung seiner fünften Oper Die Kathrin ließen ihn 1934 um so lieber einen Auftrag des Freundes Max Reinhardt annehmen, in Hollywood die filmgerechte Musikbearbeitung zu dessen Warner Brothers-Film Ein Sommernachtstraum vorzunehmen. Bühnenbild zur Uraufführung des »Oberon« in London 1826. Dem englischen Publikum entsprechend ließ die Bühnenausstattung nichts zu wünschen übrig: Ufer des Tigris, im Hintergrund die Stadt Bagdad. Die alles verschlingende Traumindustrie wollte den stets warmherzig-freundlichen und filmkünstlerisch st sicher arbeitenden Mann nur ungern wieder ziehen lassen,- großzügigste finanzielle Angebote und ungewöhn lieh günstige wie politisch gefahrlose Arbeitsbedingungen verfehlten nicht ihr Ziel. Korngold ließ siel überreden, »filmscores« zu komponieren, und revolutionierte die Filmmusik, setzte neue Maßstäbe in diese: Kunstform. Drei Jahre pendelte er zwischen den Welten und wurde 1938 in Hollywood vom »Anschluß« Österreichs überrascht. Der Gastarbeiter war plötzlich zum Emigranten geworden, eingebettet in einer wachsender deutschsprachigen Exil-Kolonie Kaliforniens mit Freunden wie Bruno Walter, Arnold Schönberg, der Werfels, Ernst Toch und Thomas Mann. Während des 2. Weltkrieges weigerte sich Korngold, außer seinem Tageswerk - Musik für einige wenige Filme und für die Max-Reinhardt-Schule - Kompositionen in Angriff zu nehmen. Die Leiden und die Not au dem Kontinent, der seine Heimat blieb, und in Österreich, dem er sich weiterhin fest verbunden fühlte machten ihm eine Fortsetzung seines ohnehin gründlich aus allen vorgezeigten Bahnen geworfenen kompo sitorischen Schaffens unmöglich. So blieb ein schon 1937 angekündigtes Violinkonzert bis 1945 Projekt, ar das ihn sein Auftraggeber Bronislav Huberman wiederholt erinnerte. Das Kriegsende dann war Anlaß, das in Kopf längst fertige Werk, das Alma Mahler-Werfel gewidmet ist, niederzuschreiben. Als nun Hubermar darum bat, das Werk erst nach dem Lesen zur Uraufführung anzunehmen, reagierte der erfolgsgewohntc Komponist konsterniert und übergab die Uraufführung in St. Louis statt dessen Jascha Heifetz. Der Publi kumserfolg bei Aufführungen in New York, Los Angeles und Chicago hielt bis zum heutigen Tage an seinerzeit ein nicht geringer Trost für Korngold, der während seiner Heimatreisen bis 1955 lernen mußte, daf für ihn im Nachkriegseuropa kein Platz reserviert war. Er starb 1957 in Hollywood. Wie auch in seinem Cello-Konzert op. 35, der Symphonischen Serenade op. 39 (uraufgeführt durch Wilheln Furtwängler) und der Sinfonie op. 40 (Rudolf Kempe| greift Korngold in allen drei Sätzen seines Violinkon zertes op. 35 auf thematisches Material seiner Filmmusiken zurück. Das Hauptthema des melodisch kontrastreichen Kopfsatzes stammt aus dem Film Another Dawn (1937), für dessen Musik Korngold der