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etwa gesagt hätte, dies oder jenes verlangt die Gegenwart, noch war er einer, der in blin der Vermessenheit nach den Sternen griff, sondern das Große, hier die Sinfonie, war ihm gerade groß genug, um es auf seine Art zu füllen, zu erfüllen" (M. Dehnert). Berechtigt wies Friedrich Blume darauf hin, daß Bruckners Weltanschauung von einer Reihe elementarer Gegensatzpaare bestimmt ist: „Gott und Teu fel, Leben und Tod, Gut und Böse, Seligkeit und Verdammnis, Licht und Finsternis, Nieder lage und Sieg sind die Welt, in der er lebt.“ „Das ist auch die Welt, die in Bruckners Mu sik dargestellt ist. Um seine Vorstellungswelt sinnfällig, bildhaft darzustellen, hat Bruckner eine Tonsprache von großer Eindringlichkeit entwickelt. Man hat in der Beschreibung der Brucknerschen Tonsprache ihre Abhängigkeit von Richard Wagner oft über Gebühr betont. Nur in seiner Harmonik zeigt Bruckner Wag- nersche Einflüsse. Seine Melodik kommt weit eher aus der Tradition Beethovens und Schu berts. Aber auch der Einfluß Bachs ist in den kurzen, prägnanten und im Hinblick auf kon- trapunktische Arbeit erfundenen Themen nicht zu überhören. Bei alledem ist Bruckners Ton sprache äußerst originell“ (G. Knepler). Seine Sinfonien, insgesamt Höchstleistungen der Sinfonik des vergangenen Jahrhunderts, weisen eine ganz unverwechselbare Organik auf. Wohl kennen auch sie die vier Sätze der Beethovenschen Sinfonien, die thematisch motivische Arbeit. Aber Bruckner stellt nicht wie Beethoven dualistische Themen gegen über, sondern läßt seine Themen (oft drei in einem Satz!) sich gleichsam aus dem Nichts entfalten zu zwingenden Melodiebögen, ja melodischen Blöcken (diese Entwicklung hält selbst in der Durchführung an). Weniger also dialektische Auseinandersetzung, sondern mehr thematisch-geistiges Wachstum zeigen diese Werke. Bruckners musikalisches Bau prinzip, das gewaltige Klangblöcke neben Epi soden von innigstem Ausdruck setzt, wird mei stens im letzten Satz gekrönt, wenn alle The men der Sinfonie in großartig-hymnischer Schlußsteigerung wiederkehren. Bruckners Ton sprache atmet echt romantischen, klangschwel gerischen Geist. Die Melodienseligkeit der Volksmusik seiner oberösterreichischen Heimat hat ihn oft genug inspiriert. Monumental, rie senhaft sind die äußeren Formen der Bruck nerschen Sinfonien, die einmal „zyklopische Orgelimprovisationen“ genannt wurden. Bruckners 6. Sinfonie A-Dur wurde in den Jahren 1879—1881 komponiert. Das ein stündige Werk erlebte seine vollständige Ur aufführung erst nach dem Tode des Kompo nisten in einem Philharmonischen Konzert in Wien am 26. Februar 1899 unter der Leitung Gustav Mahlers, nachdem schon 1883 die bei den Mittelsätze des Werkes von den Wiener Philharmonikern unter Wilhelm Jahn erstmalig zum Klingen gebracht worden waren. Die Sin fonie, ein Lobgesang auf die Schönheit der Er de, wird gern, entsprechend Beethovens Sech ster, Bruckners „Pastorale" genannt. An der Spitze der Exposition des ersten Satzes (Maestoso) steht das aus dem Quintfall macht voll und männlich ausschwingende Haupt thema der Celli und Bässe, das aus dämmern dem Zwielicht des Anfangs herauswächst und im vollen Orchesterglanz „einer der strahlenjL sten Sonnenaufgänge der Musik“ w^B Freundliche Gedanken spricht nach elegischen Beginn auch das sangliche zweite Thema aus. Eine einsame Flöte leitet dazu über. Charakte ristisch sind besonders die spielerische Quin toie und der volksliedhafte Ausklang. Ein drit tes rhythmisches Thema, von fast allen Instru menten unisono kräftig vorgetragen, besitzt eine abschließende Haltung. Die Durchfüh rung und Reprise werden hauptsächlich vom Kernthema bestimmt. Das verhältnismäßig kurze, sehr feierliche F- Dur-Adagio weist eine durchführungslose So natenform mit wiederum drei Themengrup pen auf. Es kündet von überschwenglichem Glück (zweites Thema in den Violinen), aber auch von schmerzlichem Verzicht, Liebesleid (erstes Thema in den ersten Violinen mit ele gischen Klagerufen der Oboe; drittes Thema, das ernst, dunkel, im langsamen Marschschritt einer Trauerprozession erklingt, Celli und Bäs se zupfen eine eintönige Begleitung). Die drei Themen werden nacheinander sehr stimmungs voll verarbeitet. Der Scherzosatz ist einer der schönsten, den Bruckner geschrieben hat. Er ist kein derber, bäurischer Tanz, sondern die feingliedj^k Darstellung eines phantastischen, gesperSB sehen Spuks, einer impressionistischen Nacht stimmung. Das Ganze besitzt infolge ständiger Durchsetzung mit Trioien etwas „geisterhaft Huschendes". Uber dem Klopfen der tiefen Streicher und einem Motiv der zweiten Violinen und Bratschen bildet sich im dritten Takt — in Holzbläsern und Violinen — das Thema des Hauptteiles. Romantisches, idyllisches Gepräge besitzt das zarte Trio. Eine plastische thematische Sprache und ein einfacher, klarer, nichtsdestoweniger imponie render Aufbau kennzeichnen das kraftvolle, sieghafte Finale. Dem sich breit in den Violi nen entfaltenden Hauptthema über dem Piz zicato der tiefen Streicher und leisem Tremo lo der Bratschen folgt das zweite, strahlend aufgipfelnde Thema (zuerst in den Hörnern) und schließlich das sangliche dritte Thema in den Streichern. Choralhaftes erinnert an den religiösen Untergrund des Brucknerschen Schaffens. In wechselnden farbigen und klang prächtigen Bildern zieht der Satz vorüber und krönt mit seinem lebensfreudigen, hellen Aus klang die Sinfonie, indem neben dem strah lenden zweiten Finalthema das Hauptthema des ersten Satzes in den Posaunen glanzvoll aufleuchtet. PHILHARMONISCHE NOTIZEN Msestimmen aus Berlin vorn Gastspiel der Philharmoniker im Schauspielhaus am 15. Januar 1990 Herbert Kegels fast ein Jahrzehnt währende „Trainings"- arbeit mit der Dresdner Philharmonie, sein Einsatz fürs Zeitgenössische, für Vergessenes oder abseits vom gängigen Repertoire liegende Werke wirkt noch heute fort. Unter der Ägide von Jörg-Peter Weigle wurde die se spezifische Programmkonzeption beibehalten und ausgebaut, desgleichen des Ensembles draufgängeri sche Musizierlust, die nicht von der Last vielhundert jähriger Klangästhetik bestimmt erscheint. Vom hohen Qualitätsstand des Klangkörpers, dem für sein häufiges Gastieren im Schauspielhaus ausdrücklich gedankt sei, konnten sich die hauptstädtischen Musikfreunde inner halb der Konzertreihe „Musik des 20. Jahrhunderts" er neut überzeugen. Jörg-Peter Weigle setzte dem Werk (Ives* 1. Sinfonie), dessen melancholische Wendungen stark an Dvoraks 9. Sinfonie „Aus der Neuen Welt" erinnern (Oboenge sang im Adagio), vielfältige dramatische Akzente, sparte die pulsierende Lebendigkeit und Schmissigkeit (Finale) nicht aus. In solcherart melodischen Klängen konnte sich die Dresdner Philharmonie auch bei Korn golds D-Dur-Violinkonzert reichlich ausleben. Rückhalt los bekannte sich ebenfalls der technisch brillante So list Ulf Hoelscher (BRD) zur spätromantischen Sphäre der Vorlage seines Landsmannes: schwelgend in be rückender Tonfülle voller Schmelz, blühender Wärme und kantablem Singen, unterstützt vom dunkel grun dierten Kolorit der orchestralen Begleitung. Bravojubel feierte den Virtuosen, der die theatralische Wirksa.m- des Konzertes gebührend in den Vordergrund ■te. National-Zeitung, 19. Januar 1990 Vor allem aber welch ein unverbrauchter, orgelnder Sound weht von den Bläsergruppen herüber. (Ives, 1. Sinfonie). Und wie wußten den die Dresdner zu entfachen! Wie denn die Dresdner Philharmonie unter dem alles frisch und intelligent ankurbelnden, alles präzis aus balancierenden Jörg-Peter Weigle diesen Ives in allen Facetten aufleuchten ließ. Der sehr geschmeidige, schattierungsfähige Klanggestus der Dresdner teilte sich auf spontane Weise mit. Das vielfach verjüngte Orchester (bei dem man freilich inzwischen manch lieb gewordenes, seit Jahrzehnten vertrautes Gesicht ver mißt) hat ja seit eh und je nicht zuletzt seine eigenen Qualitäten besonders schön bei der zeitgenössischen Musik zum Tragen gebracht. Und um ein wahrhalt zeitgenössisches Stück von malerischer Klangschönheit und Tiefenschärfe, konstruktiver Logik und geradezu schmerzender Expressivität handelt es sich bei der ent sprechend spannungsgeladen und präzis hingesetzten Komposition „Peinture" (Malerei) von Edison Denisow, die 1969/70 entstanden ist. Neue Zeit, 19. Januar 1990 Jörg-Peter Weigle und seine Musiker haben sowohl Denisows Orchesterstück von 1970 (Peinture) als auch die 1896 entstandene „Erste Sinfonie" von Ives mit herzerfrischender Klarheit, nervig, sorgsam und sehr elegant zu Gehör gebracht. Der Morgen, 8. Februar 1990 Wir gratulieren KV Wolfgang Boßelmann, Viola, und Solo-Kontrabassist KV Heinz Schmidt zum 40jährigen Dienstjubiläum am 1. April 1990. Anfang März gaben die Philharmoniker mit dem so wjetischen Dirigenten Eduard Serow am Pult zwei Gast-Konzerte im Tschaikowski-Zyklus des Leipziger Ge wandhausorchesters. Auf dem Programm standen das 2. Klavierkonzert und die 5. Sinfonie des Komponisten. Solistin war Ulrike Gottlebe. Am 13. und 14. März gastierte das Ochester unter Lei tung von Chefdirigent GMD Jörg-Peter Weigle im Pra ger Smetana-Saal in der Konzertreihe der Prager Sin foniker (FOK). Zur Aufführung gelangten hier das Or chesterwerk „Sinfonisches für B" von Philharmoniker Rainer Promnitz, das im 1. Außerordentlichen Konzert der vorigen Spielzeit in Dresden uraufgeführt wurde, das Oboenkonzert von Bohuslav Martinü mit Solo- Oboer Guido Titze als Solist und Dvoraks 7. Sinfonie. Gemeinsam mit dem Leipziger Thomanerchor unter Lei tung von Thomaskantor Hans-Joachim Rotzsch gastier ten die Philharmoniker beim Cuenca-Festival in Spa nien. Vom 6. bis 8. April wurden die Matthäus-Passion und in einem weiteren Konzert vier Kantaten von Jo hann Sebastian Bach aufgeführt. Mit einem Sonderkonzert am 24. April in Hamburg überbrachten die Philharmoniker und ihr Chefdirigent den Dank Dresdens an die Partnerstadt für die um fangreiche materielle Hilfe im sozialen und kommu nalen Bereich während der letzten Monate. Die Musi ker boten Webers Oberon-Ouvertüre, Dvoraks 7. Sin fonie und das Violinkonzert von Erich Wolfgang Korn gold dar, als dessen Solist Ulf Hoelscher gewonnen werden konnte, der dieses Werk bereits im 4. Philhar monischen Konzert im Januar mit dem Orchester inter pretiert hatte.