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»«««I««» »»* »»»«««« Douuersw«, »o »7. J«U 1»U Der Weltbrand ist entfacht Die letzten Stunden vor Kriegsausbruch / Millionenheere marschieren auf / Die ersten Gefechte und Gefallenen Am 28. Juli 1914. Ein schwüler Tag liegt über dem Donautal. Ein schwüler Tag über ganz Europa. Die Spannung, die seit jenen Schüssen von Serajewo auf Europa drückt, hat von Tag zu Tag neue Energien er halten. Schwere Gewitterwolken hängen im Osten und Westen. An diesem Tage ist ein Blitz niedergegangen. Der österreichisch-ungarische Gesandte in Belgrad hat die Kriegserklärung der Wiener Regierung überreicht. Wenige Stunden nach der Kriegserklärung ist vom ungarischen Ufer der Donau eine Patrouille des k. u. k. Infanterie-Regiments 68 unter dem Leutnant Frhr. von Reicher abgestoßen. Die Patrouille besetzt die kleine Zi- geunerinsel in der Save vor Belgrad. Den ganzen Tag über liegen die Soldaten im Ufergestrüpp und beobachten den Strom. Nun ist Krieg, denken sie. Eigentlich gar nicht so schlimm. Es ist abends gegen 7 Uhr, als sich von Bel grad her ein Boot mit serbischen Soldaten nähert. Die Patrouille auf der kleinen Zigeunerinsel liegt im Anschlag. Da ziel« der Korporal Petranaye und zieht den Abzugs- bügcl durch. Ein Schutz peitscht über das Wasser — der Steuermann im Boo« sinkt zusammen. Dieser Schutz leitete den Weltkrieg ein. Der erste Ka- noncnschutz fiel einige Tage später, am Nachmittag des 1. August, er kam aus einem österreichischen Geschütz und war auf die Munitionsdepots in Belgrad gerichtet. Die Letzten Stunden Am Mittag des 28. Juli. In Wien hält der Minister des Aeutzeren, Graf Bercht- hold, dem alten Kaiser Franz Josef Vortrag. Die serbische Antwort auf das Ultimatum der k. u. k. Regierung klingt nicht befriedigend. Der Minister ist der Ansicht, daß dem Kaiser kein anderer Ausweg bleibt, als die in dem Ulti matum angekündigten Folgen zu verwirklichen. Auch der Kaiser weitz, datz Oesterreich-Ungarn sich den Entscheidun- gen nicht entziehen darf, mit fester Hand unterzeichnet er die im Autzenministerium vorbereitete Kriegserklärung. ,.. in Petersburg Am 29. Juli ist in Petersburg beim Zaren ein be schwörendes Telegramm des Deutschen Kaisers eingegan gen, unter allen Umständen die Mobilmachung zu verhin- Vern und den Frieden zu erhalten. Der Zar Hai vorher die Mobilmachungsorder für das gesamte russische Heer unterzeichnet. Jetzt zieht er diese Unterschrift zurück. Er befiehlt lediglich eine Teilmobilisierung in bestimmten Gouvernements. Generalstabschef Januschkewitsch, williges Werkzeug der Grobfürstenclique, verlangt am nächsten Morgen das Eingreifen des Außenministers Sasonow. Der Zar ist nicht bereit, sich dem Willen des Ministers zu fügen, und die Zarin bestärkt ihn in dem Willen, den Frieden zu erhalten. Als Sasonow aber andcutet, daß die Verweigerung des Befehls die Gefahr einer Revolution heraufbcschwöre, leistet der Zar die verhängnisvolle Unter schrift. Noch einen Tag jagen Telegramme zwischen Berlin und Petersburg, aber auch zwischen Paris und London und Petersburg. Rußland wird beherrscht von den Kriegs treibern. Nm 31. Juli schieben russische Posten auf deutsche Zollbeamte. Nm 1. August überbringt der Botschafter PourtalSs die Kriegserklärung Deutschlands. ... in Berlin Am 1. August, nachmittags 5 Uhr, unterzeichnet der Deutsche Kaiser die Mobilmachung. Um die gleiche Stunde soll PourtalLs in Petersburg die Kriegserklärung über reichen. Graf Moltke, Chef des Generalstabes, und General Falkcnhayn, der Kriegsminister, haben den Kaiser ver lassen. Da wird vom Auswärtigen Amt ein soeben einge- trosfenes Telegramm des deutschen Botschafters in Lon don übergeben. Der englische Außenminister, telegraphiert er, macht neue Hofsnung, daß er, falls Deutschland Frank reich nicht angreift. England auch neutral bleiben und die Passivität Frankreichs verbürgen wird. Der Engländer drängt, in Berlin darauf hinzuwirken, daß deutsche Trup pen die französische Grenze nicht verletzten. Ein neuer Lichtstrahl. Moltke und Falkcnhayn werden zurückgerusen. „Anfmarsch nur nach Osten!" befiehlt der Kaiser. „Unmöglich", sagt Moltke. Bethmann-Hollweg, der anwesend ist, verlangt, daß, um der englischen Forderung Genüge zu tun, kein deutscher Soldat luxemburgisches Ge biet betreten darf. „Unmöglich!", wirft Moltke wieder ein, denn der Aufmarsch im Westen ist nicht denkbar ohne die Benutzung der lureinburgischen Bahnen. Der Kaiser sieht die Möglichkeit, dem deutschen Volke einen Krieg mit Frankreich und England, das an dessen Seite tritt, zu ersparen. Er entscheidet gegen Moltke. Den Fliigeladjutanten weist er an, Befehl an die 16. Division in Trier zu geben, nicht in Luremburg einzumarschieren. Moltke ist gebrochen, aber der Kaiser hat befohlen. Kurz vor Mitternacht wird er erneut zum Kaiser gerufen. Ein zweites Telegramm des deutschen Botschafters in London klärt die zum Zerreißen gespannte Situation. Wieder hatte der Botschafter eine Unterredung. Der Eng länder ließ die Maske fallen. Davon sprach er, daß sich England Handlungsfreiheit Vorbehalten müsse, auch wenn Deutschland die Grenzen Belgiens achte. Dieses Tele gramm schafft Klarheit über die Haltung Englands. Schafft Klarheit überhaupt. Es bleibt bei dem Schlieffen plan — Aufmarsch in Ost und West. ... in Paris Im Elysee in Paris sitzt ein Mann, der auf den Krieg gewartet hat, solange er denken kann. In den letzten Wochen har er verbissen jeden Friedensversuch zerstört. Er ließ in Belgrad und Petersburg und London wissen, daß Frankreich entschlossen sei, seiner Bündnispflicht zu genügen. In die Sprache des Mannes auf der Straße übersetzt, heißt das, daß Frankreich den Krieg wünsche. Poincar« heißt dieser Mann, jener unerbittliche und eng herzige Lothringer, dessen Leben erfüllt ist von dem Seh nen nach der Revanche. Richt zuletzt seinem Einfluß ist es zu verdanken, daß Rußland durch seine beschleunigte Mo bilmachung die Beilegung oder Lokalisierung des öster reichisch-serbischen Konflikts verhindert. Der deutsche Botschafter hat am 3. August im Ramen seiner Regierung eine Erklärung Frankreichs gefordert, daß es in dem Konflikt Deutschlands mit Rußland neutral bleiben werde. „Frankreich wird seine Verpflichtungen er füllen", lautet die brüske Antwort. „Das istmein Krieg", denkt der Präsident. ... in London An diesem 5. August fühlt sich der englische Außen minister Sir Edward Grey nicht wohl. Grey hat bis zum 1. August der deutschen Regierung gegenüber den Anschein erwecken lassen, als habe England keine Verpflichtungen. Ein Krieg für Rußland ist in England nicht populär: es könnte in dieser Richtung Ueberraschungen geben. Aber England hat schon vor Jahren vor allem Frankreich seine Unterstützung in einem Krieg gegen Deutschland zugesagt — erst diese Zusicherung hat Frankreichs Revanchelust ge schürt. Wenn England Frankreich und Rußland seine Hilfe versagt, droht ihm ein schwerer Prestigeverlust, während die Stellung Deutschlands unerträglich stark wird. Das darf nicht geschehen. Die Note Deutschlands an Belgien hat der Welt klar gelegt, daß. Deutschland den Durchzug deutscher Truppen durch Belgien verlangen muß. Hier sieht Grey den retten den Ausweg, um einen Krieg in England populär zu machen. „Niemals wird England eine Verletzung der bel gischen Neutralität dulden", wird in dem englischen Ulti matum an Dentschland gedroht. Am 3. August billigt das Unterhaus mit Mehrheit das auf 24 Stunden befristete Ultimatum, und damit den Krieg, den England am 4. August an Deutschland erklärt. Der Aufmarsch beginnt Bei Kriegsausbruch steht das Feldheer der Mittel mächte — Gcneralstabschef Graf Moltke und Conrad von Hötzendorf — in Stärke von 3,8 Millionen gegen 5,7 Mil lionen Soldaten der Entente bereit. Durch eine schnelle Mobilmachung schreiben die Mittel mächte vorerst dem Gegner das Gesetz des Handelns vor. Unter den Generalobersten von Kluck, von Bülow und von Hausen rücken entsprechend dem Schlieffenschen Plan die 1. bis 3. Armee in Belgien ein, die 4. Armee unter Prinz Albrecht von Württemberg in Luxemburg und die 5. Armee (Kronprinz Wilhelm) stößt gegen Verdun vor, während die 6. (Kronprinz Ruprecht) und 7. Armee (Gene raloberst von Heeringen) im Elsaß aufmarschieren. Im Osten steht von dem deutschen Heer die 8. Armee (von Prittwitz und Gaffron) in Ostpreußen. Oesterreich-Ungarn wirft den Hauptteil seines Feld heeres gegen Rußland, das ebenfalls vier Armeen (Ober- Links: Deutsche Infanterie auf dein Vormarsch im August 1914. Vor allein die Korps der im Westen aufmarschierten Armeen unter Kluck und Bülow hatten in den ersten Wo chen ungeheure Marschlei stungen zu vollbringen. In glühender Sonne legten sie Strecken zurück, die in der fricdensmäßigen Aus bildung kaum für möglich gehalten worden waren. Und nicht selten entwickel ten sie sich nach solchen Ge waltmärschen zum sieg reichen Gefecht. RechtS: Der deutsche Kom mandant vor der Zitadelle der eroberten Festung Lüttich. «tüvainnmt Scherr M kommandierender Großfürst Nikolai Nikolajewitsch) in Galizien aufmarschieren läßt, und zwei gegen Ostpreußen, die „russische Dampfwalze", in Bewegung setzt. Frankreich versammelt seine Hauptstreitkräfte — Oberkommandieren der General Joffre — in der befestigten Linie Belfort- Verdun. Die 1. und 2. Armee sollen zwischen den Vogesen und Metz durchstoßen, während es mit der 3., 4. und 5. Armee dem aus Metz heraus erwarteten deutschen Angriff entgegentreten will. Die linke Flanke glaubt der Kriegs- plan durch das englische Expeditionskorps unter French und seine Reservearmeen ausreichend gesichert. Die ersten Kämpfe „Allgemeine Kriegsbereitschaft!" Der Befehl durcheilt am 31. Juli den Draht. In den Kasernen setzt eine sieber hafte Arbeit ein, um jeden Mann für den Ernstfall bereit- zumachen. Am Nachmittag des 1. August verbreitet der Draht jenes für den Ernstfall vorgesehene Stichwort: Allgemeine Mobilmachung! Während die mobilisierten Männer zu den Fahnen strömen, während die Eisenbahntransporte in kurzer Folge an die Grenzen eilen, während eine gewaltige Kriegsmaschinerie erst anläuft, stößt unter General von Emmich ein Sonderdetachement von sechs Friedensbriga den gegen Lüttich vor und nimmt die starke Festung im Handstreich. Die Sicherungsabteilungen der 8. Armee stehen am 2. August mit den Russen im Kampf. Bei Eichenried an der Strecke Jarotschin—Wreschen stoßen russische Patrouil len gegen eine Eisenbahnbrücke vor. Der Angriff wird ab- gewtesen. Zwei Musketiere sind die ersten Verwundeten des Weltkrieges. Am 4. August fallen die ersten Schüsse! an der Westfront beim Vormarsch auf die Festung Lüttich. Es starben für ihr Vaterland Der Jäger Paul Grun auS Maifritzdorf bei Kamenz. Am Morgen des 2. August reitet er mit einer Patrouille des Regiments Jäger zu Pferde 11 von Kölpnitz-Radlau nach Staro-Krzepice über die schlesisch-russische Grenze. Beim Dorfe Staro-Krzepice wird die Patrouille von Kosaken beschossen. Der Jäger Grun ist getroffen, er stürzt vom Pferd. Der erste Gefallene der Ostfront. Der Leutnant Mayer aus Magdeburg sprengt am Morgen des gleichen Tages mit einer Patrouille des Regiments Jäger zu Pferde 5 von Mülhausen (Elsaß) aus über die französische Grenze. Bei dem Dorf Joncherey stößt die Patrouille auf eine Abteilung französischer In fanterie. Leutnant Mayer kommandiert: „Durch!" Sieben deutsche Reiter galoppieren in die Franzosen hinein. Dann werden sie beschossen. Der Leutnant, tödlich ge troffen, stürzt vom Pferde, und als der Gefreite ihm helfen will, winkt er: „Weiterreiten!" Der erste Gefallens der Westfront. Am Mittag des 5. August steht der Hilfskreuzer „Kö nigin Luise" in der Themsemündung. Sein Auftrag lautet: Die Themse mit Minen verseuchen. Noch ehe er den Auf trag ausführen kann, sieht er sich von einer englischen Zerstörerflottille unter Führung des Kreuzers „Amphion" gestellt. Zwei Boote jagen das Schiff, die anderen umfassen es. Trotzdem läßt der Kommandant die Sperre legen. Dann überschüttet ein Hagel von Granaten den Hilfs kreuzer. Nach einer Stunde ist das Schiff kampfunfähig, 4 Offiziere und 73 Mann sind gefallen, die überlebende Besatzung wird von den Engländern ausgenommen. Am nächsten Morgen fährt der Kreuzer „Amphion" auf die Sperre und fliegt in die Luft. Sie sind die ersten Gefallenen des deutschen Heeres, sie eröffneten den stummen Neigen der zwei Millionen deutschen Helden, die ihr Leben gaben für die Größe des Vaterlandes. Kurt Winkler.