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sehen Sprache so viel Stolz und Würde des Menschen ausgedrückt". Außerdem fand — in der 2. Szene - ein Landschaftsgedicht des altgriechischen Lyrikers Alkman (um 625 v. u.Z.) als Reiselied der Okeaniden Aufnahme, das sich organisch mit der gepflegten Sprache des übrigen verbindet. Das ganze Werk gliedert sich, Aischylos fol gend, in fünf Szenen, die durchkomponiert sind, wenngleich sie durchaus geschlossene Formen wie Arioso, Arie, Duett, Lied, Kanon und wohlgegliederte Perioden erkennen las sen. Wagner-Regenys Tonsprache weist im „Prometheus" einen viel größeren Reichtum an Mitteln auf als die seiner vorausgegange nen Opern, auch das Monumentale der Hal tung verdichtete sich - dem Stoff entsprechend — zur geballten Kraft. Einige stilistische Wurzeln treten deutlich her vor. Da ist an erster Stelle die von Brecht/ Weill herüberführende Linie des Songele ments zu nennen, das selbst in die musikali sche Gestaltung der in ihrem Charakter so andersgearteten „Prometheus“-Musik einge strömt ist (z. B. in die Vertonung des Goethe- Gedichts), wie denn überhaupt manches De tail des der Ästhetik des episch-oratorischen Theaters verpflichteten Werkes in die Nähe des Lehrstückes gerät; denken wir an die Sen tenz der Chorführerin „Klug handelt wahrlich nur der, der mächtigem Zwange sich fügt." Selbst Walzerfloskeln sowie ein altfranzösi sches, bretonisches Kirchenlied begegnen. Da neben könnten Strawinskys Rhythmik, aber auch Miihaud und Honegger mit ihrer viel- schichtig-vergeistigten Klangwelt sowie Orffs Klavier- und Schlagzeugbehandlung gewisse Anregungen für diese Musik gegeben haben, deren Fundament getragen wird von einer ti tanisch sich aufbäumenden Zwölftonreihe, die in ihrer Originalgestalt mit unmittelbar an schließendem Krebs das Werk einleitet, im musikalischen Verlauf wiederkehrt und das Stück — wiederum im Krebs — beschließt. Ein Kreis schließt sich: Am Anfang wie am Ende des Werkes steht dieses Symbol für die un überwindbare Kraft und Unvergänglichkeit des Humanitätsträgers Prometheus, den keine noch so sichtbare Gewalt auszulöschen ver mag. An der Zwölftonreihe ist das Ganze gewisser maßen aufgehängt, ohne daß sie grundsätz lich form- und substanzbestimmend wäre. Denn der „Prometheus“ ist keine Zwölfton komposition, wenn auch die musikalische Sprache sichtlich im Begriff ist, sich der Dode- kaphonie zu nähern, die von Wagner-Regeny dann in seiner nächsten und letzten Oper, dem „Bergwerk zu Falun“ (nach Hugo von Hofmannsthal; 1958/60), zur Kompositions methode erhoben werden sollte. Die Reihe hat die Aufgabe, in die Heroenwelt des Stückes einzuführen, diese und das Titanentum des Prometheus zu symbolisieren. Die aus der Linearität erwachsende Harmo nik der Komposition ist durchweg atonikal, dissonanzenreich, auch polytonal, von herbem Zuschnitt mit Vorliebe für Sekundreibungen, andererseits — in den Chören vornehmlich ungemein flexibel, zart. Dabei werden — uH das ist für Wagner-Regeny ganz bezeichnend — Dreiklänge und Kadenzwendungen im tra ditionellen Sinne durchaus nicht verschmäht. Die Klangereignisse der einzelnen Szenen, deren jede ihr thematisches Material hat, ent wickeln sich zumeist sehr frei aus vorgegebe nen Keimen. Ein objektivierender Unterton ist bei allem geistig-gefühlsmäßigen Erfassen der Situation, der Leidenschaftlichkeit der immer zuchtvoll und souverän geformten musikali schen Gebärde nicht zu überhören, der die distanziert-epische Anlage des Stückes unter streicht. Obwohl der „Prometheus" Wagner-Regenys tönereichste Partitur ist, bietet sich doch die Faktur der Musik nirgends dickflüssig dar, ver zichtet sie auf das laute Pathos. Stets ist der Satz transparent gearbeitet. Spröde Linien, hämmernde Ostinati des Orchesters, komplexe Rhythmen, die gliedernde Impulse schaffen, ermöglichen die „Besinnung auf das Wesent liche" des Stückinhaltes, dessen Träger die Singstimmen sind. Die von dem Gedanken der Humanität erfüllte Tonsprache, die Wahrhaf tigkeit ihres künstlerischen Ausdrucks läßt a^ legentlich die eigentümliche Schwere <■! Grundkonzeption vergessen. Dabei hat sicn der Komponist in diesem für seinen Spätstil typischen Werk die ursprüngliche Naivität im Einsatz song- und walzerhafter Melodik und Rhythmen, einfacher liedmäßiger Formulie rungen bewahrt, so daß der „Prometheus" or ganisch ,im Gefüge des Wagner-Regenyschen Bühnenschaffens steht. Prof. Dr. habil. Dieter Härtwig Prometheus — Die Handlung 1. Szene. Die Schergen des Zeus, die Dämo nen der Macht und der Gewalt, bringen den gefangenen Prometheus herbei. Sie zwingen den Schmiedegott Hephaistos, der ihnen mit Hammer und Ketten gefolgt ist, den Befehl des zürnenden Zeus zu erfüllen und Prome theus, der den Göttern das Feuer stahl und es den Menschen brachte, wodurch er sich den Zorn des Göttervaters zuzog, zu ewiger Pein für seinen Frevel an einen Felsen am Saum der Erde zu schmieden. Widerstrebend nur folgt Hephaistos, der Prometheus verwandt- •diaftlich verbunden, dem verhaßten Gebot, |Wmer wieder von den Schergen des unver söhnlichen Zeus angetrieben zu seinem grau samen Werk. Die Dämonen und Hephaistos verlassen die Felsenöde, und Prometheus bleibt allein zurück in seiner Qual. Seine Gedanken weilen bei der Unausweichlichkeit seines Ge schicks, der Härte der Strafe, die er für seine Liebe zu den Menschen empfing. Aus den Lüften ertönt zarter Gesang der herannahen den Okeaniden, der Töchter des Okeanos und der Meeresgöttin Thetis, der „Meerstrom- Mädchen“. 2. Szene. Auf einem geflügelten Wagen schweben die Okeaniden durch die Luft heran und beklagen Prometheus und die Maßlosig keit der Zeusschen Gewaltherrschaft, die erst dann ein Ende nehmen wird, wenn ein Mäch tigerer auftritt. Prometheus, im Besitz eines Geheimnisses, das Zeus stürzen kann, will ihm trotzen „Stirn gegen Stirn“, bis dieser selbst seine Fesseln lösen kommt. Den Okea niden schildert er die Gründe, die zu seiner Bestrafung führten: der Beistand, den er dem Menschengeschlecht erwies, das von Zeus der Vernichtung preisgegeben war, das Geschenk Hk Feuers, des Lichts, das er den Menschen Hw ihrem Heile machte und zu seiner Qual. Die Meerestöchter, von Mitgefühl bewegt, wollen auf hartem Boden, nicht weit von dem Dulder entfernt, erwarten, was ihm noch be- schieden ist. 3. Szene. Auf einem geflügelten Roß durch die Luft reitend, erscheint Okeanos, um Prome theus von seinem Trotz abzuraten. Er soll sei nen Sinn wandeln, sich der Macht beugen, da mit ihm Zeus seine Strafe erlasse und ihm neue Gunst gewähre. Prometheus aber will nicht, daß sich auch Okeanos, um ihm zu helfen, in sein Unglück verstricke. Er wird sein Schicksal tragen bis zum Ende, im Bewußtsein des Rechts, trotzig, denn „leichtsinnige Dummheit wäre es, mit solchem Gegner auf ein versöhn liches Gespräch sich einzulassen". Okeanos verläßt Prometheus. Voller Mitleid beklagen die zurückbleibenden Töchter des Okeanos das Geschick des Gequälten. 4. Szene. Prometheus berichtet den Okeaniden von seinen schöpferischen Wohltaten, die er Zeus zum Trotz den Menschen erwiesen, in dem er sie „mächtig des Verstandes und be wußt gemacht": „Alles lebensnotwendige Wissen ward den Sterblichen durch mich zu teil!” Vergeblich beschwören des Meerstroms Töchter Prometheus, die Menschen nicht allzu hoch zu achten, da sie ihm nicht beistehen in seinem Leiden und die Ordnung des Zeus nicht überschreiten. Die Unterhaltung mit den Meermädchen wird jäh unterbrochen durch das plötzliche Erscheinen der Io, die, entstellt im Gesicht, verunstaltet durch Rindergehörn, zer stochen von Insekten, wild herbeigestürmt kommt. Das Mädchen, das Zeus mit seiner Liebe verfolgt und das deswegen von der eifersüchtigen Hera in unruhevoller rastloser Flucht über die Erde getrieben wird, ist wahn sinnig — ein Opfer göttlicher Ungerechtigkeit, des Ehekrieges zwischen Zeus und Hera. Die von dem bösen Blick des hundertäugigen Argos Gehetzte, die dennoch nicht des Mitgefühls für den an den Felsen geschmiedeten Titanen entbehrt, in ihm den schuldlos Schicksalsge schlagenen sieht, bittet Prometheus, ihr zu sagen, wohin die Folter sie noch treibt, was dieser endlich ein Ende bereiten kann, was sie in Zukunft noch leiden soll. Doch zuvor be gehren die Okeaniden aus ihrem Munde zu hören, wie ihr Unrecht geschah. Io berichtet ihre seltsam-phantastischen Abenteuer. Des Nachts hörte sie Stimmen, die sagten, daß Zeus ihr, der Hüterin der Keuschheit, in Liebe nahen wolle. Der Vater, König Inachos, dem sie die Verheißung erzählte, trieb die Tochter, eines Spruchs Apolls eingedenk, aus dem Hause fort. Da wurden ihr Gestalt und Sinne verwirrt und „geätzt von stachlichem Getier“, stürmte sie in die Weite. Prometheus gebietet den Klagen der Okeaniden über das Los des Mädchens Einhalt, denn noch immer ist ihren wie seinen Qualen kein Ende gesetzt, ehe nicht Zeus, die Ursache ihrer beider Leiden, gestürzt ist. Das wird möglich sein, so ver kündet er, durch eine Ehe: In einer Stadt an der Mündung des Nils wird ihr Zeus Gestalt und Sinne wiedergeben und sie berühren. Von dem Sohn, den Io gebären wird, stammt