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2. Beiblatt rum Zschopauer Lageblatt im» Anzeiger Nr. IS» Zum sieventen Las Gast in einer Ostseestadl Bon Berndt Die See ist bla« und grün, le nachdem der Himmel sich hebärdet. Blau an Wolkentagen. Grün, wenn der Wind von Osten kommt. Dann sind da Weiße Schaumspitzen, die mit den Wellen unermüdlich an den Strand eilen, sich aufbäumend wie Tiere vor einer Schranke. Der Anblick ist neu und reizvoll: Wasser, das an Land will. Jetzt hat die See auch Stimme. Aber es donnert nicht. Die Wellen verstehen sich nur zu einem leisen Zwiegespräch mit sich selbst. Im Hafen schaukeln die Segelboote, die alten Fischerkähn« schwanken hin und her, behäbig wie sie sind, und die Birken am Strand, die von einer kupfrig grünen Farbe sind, als ständen sie hier seit Anbeginn als die Urväter und »mütter aller weiß- flammendes Birken im Land, sie dehnen sich gemächlich nach hinten, eben wie alte Leute, denen der Wind ein wenig die Glieder frischt. An solchen Tagen mögen die Krieger des Nor dens das Gold der Ostsee gefunden haben, ihre blonden Frauen schmückten sich mit Bernstein. Tatsächlich ist jetzt die Stadt erfüllt vom Geruch deS Wassers, es schmeckt in jedem Winkel nach Fisch und Salz und modrigen Pflanzen. Die See kommt zu einem, sie drängt sich an einen heran, schmeichlerisch wie ein Pelziges Tier. Darin ist viel Verführung. Aber man nimmt mit den Nüstern diese Wildheit ganz in sich auf. Die roten Dächer leuchten pracht voll, als würden sie vlötzlich ihres schönen Alters inne, als kahre heißer Traum in ihre Mauern. Traum von Heldentum md Glück, aber auch von Not und banger Sehnsucht. So kann S sein, daß die Stadt plötzlich eine geschichtliche Erinnerung van Kanonendonner hallt über der sonst stillen Bucht, alt- modische Schlachtschiffe drehen bei und blähen tapfer ihre bun ten Segel, die Götter blicken hin und lächeln, und heilte noch fitzt am Strand ein König oder irgendwer, mit der Faust am Kinn, rm Soldatenrock, die unerhörten Heldentaten jener Zeit beschlafend. Und auch eine Gallionsfigur, ein schaumgeborenes Holz weib, durchaus Göttin, wirkt historisch auf den Beschauer. Man erinnert sich der Tage, da man als Kind über Seeräuber geschichten den wirklichen Ablauf dieser Welt verpaßte und sie mit allem ausstattete, was einem gerecht schien: Freibeuter mit roten Schleifen im Haar, Pistolen am Hüftgelenk, gekaperte Indienfahrer und Blutlachen auf Deck. Rettende Engel. Schöne Frauen. Der Bauch des Schiffes ist daS Theater der Welt, seitdem die Menschen Schiffe bauen. Odysseus. Robin son auf seiner Insel. Das Flaschenteufelchen. Der alte Con rad, der die dicksten Wälzer schrieb, Stevenson und Jack London. Aber an anderen Tagen bläst der Wind aus Westen, bläst und stöhnt und müht sich fort. Die Welt verändert sich. Regen und Sonnenschein. Gute Laune, schlechte Laune. Regen hin, Reacn her, man wird es einmal müde, sich beleuchten zu lasten. Immerhin bleibt den Durchnäßten der Trost, daß es auch audcrswo nicht immer trocken ist. Aber selten ist ein Tag ganz ohne Sonne. Immer wieder.kommen Stunden der Heiterkeit. Haröeweg. Da gibt es Lichigitler über dem buckligen Pflaster der'Straßen! Weiße Wege am Strand und Helle Kleidchen, leuchtende Segel in der Bucht. Grünblanker Wald am Ufer. Feuerquallen unter der knarrenden Brücke. Die Kirche mit ihrem grünen Turm..« Und immer diese roten Dächer... Eigentlich ist die See hier nicht das Wesentliche. Sie kennt nicht Ebbe und Flut. Sie ist ohne Sturm und ohne Kraft. Sie kann sein wie ein Teich mit Schwänen, sanft und mütterlich. Der Mond steht apfelsinenrot über dem Wasser. Musik, Tanz, Zerstreuung? Ja, ein wenig. Aber es ist nicht der Inhalt dieser Tage. Dem Suchenden öffnen sich Räume von unermeß licher Schönheit. Dies, daß die Stadt nach Osten wie in einem Tal liegt, wird den Gast am Abend treiben, sie zu verlasten. Auf der Höhe ist das Licht. Der Gast kennt diese holsteinischen Feldwege, durch deren Sand er watet wie durch eine Schlucht. Haselsträucher und Hecken nehmen ihm die Sicht, er weiß nicht wohin, es läuft hier alles ins Unendliche. So schlägt er sich seitwärts durch die Knicks auf die Weiden hinaus und trinkt den Odem dieses Landes in sich hinein. Reifende Weizenfelder unö duftendes Heu. Ein Storch, der im Tümpel schreitet. Die verfilzten Kronen der Eichen. Zwischen den Äeckern liegen die roten Bauernhäuser, strohgedeckt. Aus den Weiden grast fettes Vieh, wollige Schafe treiben am Knick, ein Bauernwagen knarrt in der Ferne. Einsam zieht der Habicht seine Kreise. Ein Taubenschwarm klatscht hastig vorbei. Und Möwen kreischen. Dies alles ist voll Kraft. Aber am stärksten findet die Eigenart dieser Landschaft Ausdruck in ihren spielenden Pferden. Wie diese edlen, ge sunden, sich selbst gehörenden Tiere auf der jäh ansteigenden Koppel in einen donnernden Trab verfallen können, wie die Hufe spielerisch die Luft klopfen, die glänzenden Leiber sich strecken und bäumen, innehalten und ruhen, sich zueinander wenden und zärtlich sind: das ist die Beständigkeit dieser Land schaft und ihr feinster Zauber. Darin ist ihre Schönheit be schlossen. Und wie die Wege hier ins Endlose schweifen, ohne Geiz und Ziel, so sind auch die Pferde nicht nur Glück der strengen Züchtung, sondern jedes Tier, die Aecker und Gärten, Frucht und Blume, die Bäume und eben auch der Himmel mit seiner barocken Fülle von Wolkenbildungen sind so sehr die Kraft selbst, die Summe ihrer heimlichen Beglückungen, daß kein Ding hier der Aermlichkeit verfällt. Im Anblick der rastenden Pferoe, an einen Eichenstamm gelehnt, wird der Gast das Schauspiel der untergehenden Sonne sich nicht entgehen lasten. Die Farben sind satt und verschwende risch angelegt. Der Westen ist überflammt mit Rot, das eine Skala kostbarster Töne durchläuft, während im Osten ein sanf tes, silberduftiges Blau sich austut und die Bäume leise ihre Blätter regen. Ein Wind rüstet sich zur Fahrt, die rote Kugel gleitet hinab und lange noch wird über der Stadt ein letztes schwaches Leuchten sein, in das schon Regen fällt. Das Meer in -er Straßenbahn Erlebtes von Wol Ich fuhr den Berg hinauf. Zwar war mir die Stadt fremd, aber da ich jetzt schon einige Male den Berg hinauf- gefahren war, sah ich mir die Weinberge gar nicht mehr an, und auch die Leute, die milfuhren, betrachtete ich nicht mehr, denn ich fuhr immer zu der gleichen Zeit, und es waren also immer die gleichen Leute, die von der Arbeit kamen. Es war fünf Uhr nachmittags. Ich blickte auf das Buch hinunter, das ich auf das Ab- legtischchen geworfen hatte. Es lag ein bißchen schief, weil ich mich sehr beeilt hatte, den Sitzplatz zu erwischen, und da hatte ich den Roman, in dem ich jetzt immer lese, weil er so schön ist, rasch auf das Tischchen geschleudert, gleichsam, um den Platz zu belegen. Zum ersten Male fiel mir auf, obwohl ich mich jetzt schon eine Woche mit dem Roman beschäftigte, daß ich den englischen Untertitel, der unter dem deutschen Titel auf dem Umschlag ltand, nicht ganz begriff; das Buch war aus dem Englischen übersetzt. „The Beachcomber" hieß der Untertitel. Ich kann kaum Englisch sprechen und verstehen, aber so viel weiß ich doch, daß beach Strand bedeutet. Ich verglich in Gedanken den englischen Untertitel mit dem deutschen Titel, den ich nicht nennen möchte, damit niemand sagen kann, ich wolle für daS Luch die Trommel schlagen. Der deutsche Titel spricht von jemandem, der irgendwohin geworfen worden ist, wo es ihm, wie seine Natur nun einmal beschaffen ist, nur sehr schlecht «chen, ja, wo es ihm sogar unbedingt an den Kragen gehen kann. Daraus schloß ich, daß „beachcomber" „der auf den Strand Geworfene" bedeuten könnte. Ich berichtete dies alles, was ich mir ausgedacht hatte, Pud zwar genau in der Reihenfolge der Gedanken, meinem Freund, der neben mir saß, mit dem ich mich aber fönst auch kaum noch unterhielt, da wir ja immer zusammen den Berg hinauffuhren. Er nickte und sagte auch irgend etwas, daS meine Meinung bestätigte; ich habe vergessen, was er genau äußerte. Plötzlich sprach uns der Mensch, der uns gegenübersaß, vu. Ich blickte auf und sah einen kleinen Mann, dem die Augen tränten. Immer wieder wischte er sich mit der rechten Hand das Master ans den Augen. Die Augen waren ganz blau, sie waren sehr klein und lagen tief in den Höhlen. Trotz dem waren sie schon. Ich kann nicht sagen, warum sie eigent lich schön waren, aber es war etwas in ihnen, daS anders al» bei anderen Leuten war. Auch die Hand, die immer zu den Augen fuhr, war eine besondere Hand. Zweifellos hatte sie viel gearbeitet und arbeitete Wohl immer noch sehr viel. Er hatte einen braunen Lodenmantel an, sein Anzug, etwas abgenutzt, war aus gutem Stoff, und eine goldene Uhr- kette hing dem Mann über dem Bäuchlein. Die Krempe seine» Hutes bog sich rundherum nach oben. Der Hut war in di« Stirn gezogen, die, wie das Gesicht überhaupt, voller Falte« war. Ich hatte nur gehört, daß der Mann etwa» gesagt hatte, aber wa» eS war, hatte ich nicht verstanden, well ich zu sehr erstaunt war, daß er uns anaeredet batte. gang Weyrauch. Er sagte: „Entschuldigen Sie, bitte, daß ich mich in Ihr Gespräch mische, aber ,beachcomber' heißt nicht ,der-auf-den- Strand-Geworfene', sondern -comb' heißt .der Kamm'. Sie haben Wohl an das französische ,comber' gedacht, was .liegen' bedeutet. Nein, .beachcomber' bedeutet .der, der den Strand abkämmt'. Der Mann, der auf dem Buch abgebildet, ist sicher ein Kapitän. Man sieht es an der Mütze und an den Achsel klappen. Besonders aber sieht man cs an den vier goldenen Streifen auf dem Aermel, sehen Sie, da unten. Der Kapitän entspricht Wohl einem Major beim Heer. Er ist sicher Kapitän von einem Küstenfahrer, von einem Schiff, das die Küsten abkämmt." „Drehen Sie einmal das Buch herum", antwortete ich, „da können Sie eine Küste sehen!" Er drehte das Buch herum. „Palmen", sagte er, „ja, solche Küsten sind oft selbst wie ein Kamm, und fo kann ,che beachcomber' auch .der, der den Kamm abkämmt' hei/.n." „Sie wissen das ja alles sehr genau", erwiderte ich, „waren Sie einmal so irgendwo?" „Viermal", sagte er, und, während bisher seine Hand immer die Augen getrocknet hatte, holte sie jetzt zu einer weiten Bewegung aus, die alles, aber auch wirklich alles, die ganze Welt zu umfassen schien. Mehr sagte er nicht. Ich sagte auch nichts mehr, mein Freund hatte ja überhaupt geschwiegen. Die Handbewegunq blieb gleichsam in der Luft stehen, ob gleich sich der Mann jetzt die Augen wischte. Sie war unver geßlich, sie ist mir unvergeßlich. Sie holte mit einem Schlag, durch ihren eigentümlichen, kräftigen und akzentuierten Schlag, das Meer in die Straßenbahn hinein. Ich hätte gerne ge wußt, was der Mann war oder auch gewesen war. Aber ich fragte ihn nicht. Es ging mich ja nichts an. Vielleicht rührte ich auch irgend etwas auf, woran er sich nicht gerne erinnerte. Vielleicht fürchtete ich mich auch, daß ich enttäuscht werden könnte, wenn ich erfuhr, was er für einen Beruf hatte oder gehabt hatte. Solange er schwieg, konnte ich ihn für einen Kapitän halten, einen Mann, der unter Seeräuber gefallen war, einen Mann, der ein Segel schiff geführt hatte und vierzehn Tage lang nicht vom Fleck gekommen war, weil kein Lüftchen wehte, einen Mann, der auf einer mondweit entfernten Insel einen Schatz vergraben und später vielleicht nicht wiedergefunden hatte, einen Mann, der mit Haifischen und fliegenden Fischen auf du und du ge« standen hatte. Ja, vielleicht kannte er die Haifische und die fliegenden Fische immer noch ganz genau? An der nächsten Station stiegen wir aus. Wir hätten erst viel später auszusteigen brauchen, aber ich wenigstens wollte den Mann jetzt unbedingt zufrieden lasten. Man soll Zau berern nicht in die Hüte gucken! „Das macht ma« so!- ^«keres Geschichtchen von Hermann Ebbinghaus.^ Ob eS wkcklich so viel schöner war „m unserer Zell" — ich möchte eS nicht ohne weiteres behaupten! Aber daß eS geruh samer und gemütlicher zuaing, das ist doch jedem klar. f Da war zum Beispiel die Geschichte, wie wir Kinder vor dem Schaufenster des Bäckermeisters Wasberger das Markstück verloren hatten, jawohl, ein ganzes Markstück! Ein Vermögen! Spät abends war noch Besuch zu den Eltern gekommen, und da hatte der Vater uns Kinder mit ein paar großen Krügen und seiner blanken Mark ausgeschickt, in der Wirtschaft an der nächsten Ecke Bier zu holen. So viel Bier! Damit hätten wir eine ganze Kompanie Soldaten tränken können, so viel war da mals das Markstück wert! Aber trotz der Wichtigkeit des Er eignisses und des großen Vertrauens, das man in uns gesetzt hatte, trödelten wir unterwegs, wie Kinder das so tun und beim Bäckermeister Wasberg war es dann um uns geschehen. Da fiel das Licht einer Straßenlaterne schnurstracks ins Schau fenster und beleuchtete verlockend Torten und Schokoladen und faure Bonbons. Hingerissen starrten wir auf die Herrlichkeiten, berieten eifrig hin und her, was wir mit unserer Mark davon alles kaufen könnten, wenn wir gedurft hätten und wenn der Laden offen wäre, und dabei spielten wir mit dem Geldstück in der Hand, bis es auf einmal zu Boden fiel, durch das Keller- gitter rollte, in die Tiefe stürzte und ganz unten unerreichbar vor Bäckermeister Wasbergs Kellerfenster liegenblieb. So! Jetzt war die Katastrophe da! Nach Hause gehen konnten wir natürlich nicht. Aber jetzt hier an der Türglocke läuten? Mitten in der Nacht? Den Bäckermeister Wecken, der schon fest schlief, weil er um drei Uhr morgens wieder auf stehen mußte, seine frischen Semmeln zu backen? Nein, das ging selbstverständlich schon gar nicht! Ratlos standen wir herum und waren dem Weinen nahe. Da hörten wir Plötzlich Schritte durch die Gaste kommen. Der Assessor Diestl, der von seinem Abcndtrunk heunginq, der eleganteste Mann im ganzen Städtchen, der für uns Kinder sonst keinen Blick übrig hatte. Aber diesmal mußte er Wohl unsere Verzweiflung gespürt haben. Er blieb stehen, schwang sein Spazierstöckchen hin und her und wollte wissen, was uns zu gestoßen sei. „Da unten liegt's? Und ihr könnt's ganz deutlich sehen? Nichts leichter als das!" rief er energisch, als er den Tatbestand erfahren hatte. Und mit dem ganzen Eifer eines großen Schul buben machte er sich ans Werk. „Schaut! So muß man das an fangen! Da nimmt man ganz einfach aus der Goste ein bißchen Schlamm, klebt ihn recht fest unten an den Spazierstock, schiebt den Spazierstock vorsichtig durch das Gitter hinunter aus das Markstück zu, so, und schon..." Und dann kam überraschend ein lauter Fluch, denn der Spazierstock war dem Assessor heimtückisch entglitten, und nun lag er friedlich da unten neben unserem Markstück. Eine Weile schien der Assessor ebenso ratlos zu sein wie wir selber, dann aber raffte er seinen männlichen Geist zusammen und wurde wieder ganz Energie: „Hat einer von euch einen Draht bei sich?" Ja, das hatten wir. Was haben Buben nicht bei sich? Einer von uns — ich glaube der Hans war's — kramte ihn aus der Tasche und überreichte ihn dem kühnen Bezwinger der schwierigen Lage. Lang genug war er ja Wohl, der Draht, aber entschieden zu weich, ein allzu biegsamer, nachgiebiger Kupferdraht. Jedesmal, wenn der Assessor seinen listigen Haken da unten dem Spazier stockgriff näherte, bog sich der Draht geschmeidig nach der anderen Seite, und der Stock entschlüpfte... Mit roten Köpfen lagen wir alle auf dem Bauch um das Kellergitter des Bäcker meisters Wasberger herum. Der Assessor hatte seine Hosen hoch gezogen und machte keine Ausnahme. Ja, ein Paar Herren von seinem Stammtisch hatten sich noch eingefunden und an der Sache Anteil genommen. Sie fischten begeistert mit, und wir waren gerade dabei, den Haken aufzngebcn und es mit einer Drahtschlinge zu versuchen, als hinter uns eine strenge Stimme ertönte. Der Schutzmann auf seinem Dienstgang! Mit grollen den und entschiedenen Worten sprach er uns sein Befremden darüber aus, daß wir uns hier in der Nacht am Kcllergitter eines fremden Hauses zu schaffen machten und dazu noch in verkehrsstörender Weise quer über dem ganzen Gehsteig auf den Bäuchen lägen. Er forderte von uns eine augenblickliche Er klärung. Das Protokollbuch und einen frisch angeseuchteten Bleistift hielt er bedrohlich in den Händen. Aber das änderte sich schnell, als er von unserem Unglück hörte. Er ließ sich den Draht reichen, er betrachtete ihn fach männisch unter der Laterne. „Meine Herren!" sprach er — und damit mußte er Wohl den Assessor und seine Stammtisch freunde meinen — „meine Herren! Der Draht muß mindestens doppelt genommen werden, wenn Sie etwas erreichen wollen." , Es ist eine so gemütliche Geschichte, man könnte noch lange daran herumerzählen. Ich will schnell zu Ende kommen: als der Oberbürgermeister vorbei kam — auch er war beim Abend schoppen gewesen — sah er zu seinem Erstaunen nicht nur die meisten Honoratioren des Städtchens, sondern auch den dienst habenden Revierschuhmann auf dem Bauch vor dem Kellergitter des Bäckermeisters Wasberger auf der Siraße liegen und mit einem Draht nach etwas angeln. Und es ist schade, daß in diesem Augenblick die Frau Bäckermeisterin ans Fenster kam, weil sie von unserem Lärm endlich wach geworden war, und uns Spazierstock und Mark hcranfholcn ließ. Denn wer weiß, viel- leicht hätte sich sonst auch noch der Herr Oberbürgermeister zu, uns gelegt! Der Mime droht... Wenn der Dichter eines Dramas gleichzeitig als Schau spieler auftritt, ist der Durchfall des Stückes doppelt schmerzlich für ihn. Ein solches Mißgeschick widerfuhr einst dem viel umkämpften Frank Wedekind. Seine Vorstellungen waren lange Zeit hindurch recht mäßig besucht. Eines Tages kam noch hinzu, vaß die geringe Zahl der anwesenden Hörer gar lebhaften Unwillen äußerte, gegen den Inhalt des Werkes wie auch gegen die Art der Aufführung. Immer stärker wurde das Zischen. Da riß Wedekind die Geoulo. Er trat vor den Vor hang und drohte in den dunkeln Raum hinunter: „Meine Herrschaften, seien Sie vorsichtig! Wir oben auf der Bühil» sind in der Ueberzahl..."