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war. Da das Leben unter dem strengen Dienst zwang des Berliner Hofes ihn aber auf die Dauer immer weniger befriedigte, bemühte er sich verschiedentlich um eine andere Stellung. Doch erst 1768 gelang ihm der Wechsel: Er übernahm das Amt seines Patenonkels Georg Philipp Telemann als Stadtkirchenmusikdirektor und Kantor in Hamburg, das durch dessen Tod frei geworden war. Als einflußreiche, hochge achtete Persönlichkeit wirkte er hier bis zu sei nem Tode im Jahre 1788. Sein Ruhm als fort schrittlicher Komponist und Klavierpädagoge war unter seinen Zeitgenossen so groß, daß daneben das Andenken an seinen genialen Vater verblaßte. Carl Philipp Emanuel Bach, aus dessen Feder u. a. zahlreiche Sinfonien, Konzerte, Sonaten, Lieder und geistliche Wer ke vorliegen, muß als einer der wichtigsten Mittler zwischen Spätbarock, Empfindsamkeit und Klassik angesehen werden. Seine musi kalische Sprache besitzt bereits jenen neuen Subjektivismus des Ausdrucks, der so kenn zeichnend und entscheidend für den neuen Kompositionsstil war. Von den Wiener Klassi kern, deren Schaffen er stark beeinflußte, wur de er als „Vater" bezeichnet. Das Magnificat für Soli, Chor und Orchester D-Dur, Wq 215, ein aus neun Sätzen bestehender Lobgesang der Maria, entstand im Jahre 1749, also wäh rend Carl Philipp Emanuel Bachs Berliner Schaffensperiode und zu Lebzeiten seines Va ters. Es handelt sich um eines der bedeutend sten Werke des Komponisten. Das handschrift lich überlieferte Stück, das erst 1829 — also vierzig Jahre nach dem Tode des Autors — erstmalig im Druck erschien, steht mit seinen festlichen Chorsätzen und Arien formal noch in den Traditionen des „Barock". Doch weist die lyrische Stimmung der Arien, aber auch die stellenweise auftretende zweithemige Bau weise („Quia fecit") auf die Übergangsposi tion des Komponisten auf dem Wege zur Klas sik hin. Dr. Hans-Günter Ottenberg schreibt in seiner Biographie Carl Philipp Emanuel Bachs (Leip zig 1982) über das Werk: „über den Entste hungsanlaß ist gerätselt worden. Vielleicht schrieb es Bach in der Hoffnung, den Titel ei nes Hofkapellmeisters der Prinzessin Anna Amalia von Preußen zu erhalten. Selbst kom positorisch tätig, verfügte diese über eine um fangreiche Musikaliensammlung. Als eine eif rige Verfechterin der .gelehrten Schreibart' verehrte sie die Musik Johann Sebastian Bachs, schätzte aber auch Händel, Hasse, Carl Heinrich und Johann Gottlieb Graun und Carl Philipp Emanuel Bach. Denkbar wäre auch, daß Bach das Magnificat als .Prüfungsstück' für eine mögliche spätere Bewerbung um das Thomaskantorat in Leipzig vorsah. Zu einer Aufführung dieser Komposition scheint es schon recht früh — nämlich 1750 — in der Mes sestadt gekommen zu sein. Carl von Winterfeld, der Verfasser der Ab handlung ,Der evangelische Kirchengesang' (1843—1847) bezeichnet das Magnificat als .ei ne Mustersammlung mannichfaltiger Satzfor men', und tatsächlich stellt dieses groß ange legte Chorwerk eine Verquickung von überlie ferter Formenwelt und neuen, in Richtung auf die Wiener Klassik weisenden Zügen dar.Jfl^ Nun kommt in der Vertonung des liturgischer Magnificattextes ohnehin ein stärkeres tradi tionelles gattungsspezifisches Element zum Tragen. Nicht nur, daß den einzelnen Sätzen jeweils ein bestimmter Affektausdruck imma nent ist, ihnen sind teilweise auch gleiche Ge staltungstechniken zugeordnet. Das ,Sicut erat in principio' wird sowohl im Magnificat D- Dur, BWV 243, von Johann Sebastian Bach wie beim Sohn als Fuge behandelt. Beiden Werken liegt die Haupttonart D-Dur zugrun de, eine gebräuchliche Praxis, um in den Eck- und in einzelnen Binnensätzen die naturtönig geführten D-Trompeten zum Einsatz bringen zu können, aber auch ein gezieltes Mittel, den Affekt der Freude und Verherrlichung, den ,Ton des Triumphes' zu treffen. Die Ähnlichkeit der instrumentalen Einleitungsabschnitte in bei den Vertonungen reicht bis in die komposito rische Struktur hinein: bewegte Sechzehntel passagen in den Streichern und Holzbläsern, Schwerpunktmarkierungen und Dreiklangsbre chungen durch Trompeten und Pauken. Aber schon mit dem ersten Choreinsatz ändert sich das Bild auffällig: Johann Sebastian Bach baut ein kunstvolles polyphones Stimmenc^ flecht auf, während der Sohn weitaus ho^B phonere Wirkungen eines im ganzen einfa cheren Duktus beabsichtigt und erzielt. Auch in der Führung der Chorstimmen zeigt sich Carl Philipp Emanuel Bach weniger .instru mental'. Unterschiedliche musikgeschichtliche Positionen und Musikideale manifestieren sich hier, überwiegt bei Johann Sebastian Bach das polyphone Element und damit der Anteil der Chöre, die wiederum einen dramatische ren Ton bedingen, so sind im Magnificat des Sohnes Oberstimmenzentrizität und Kantabi- lität die tragenden Säulen. Das Schwergewicht liegt auf der Ausgestal tung der Solonummern, wodurch die kontra punktisch-imitatorische Arbeit weitgehend zu rücktritt. Jedoch sind einige Chorfugen unmiß verständlich dem Vorbild Johann Sebastian Bachs verpflichtet. Die Kopfmotive des ,Fecit potentiam’ und .Deposuit potentes' erweisen sich als fast notengetreue übernahmen aus Teilen des väterlichen Magnificats. Die Nähe zur italienischen Oper ist mehr als einmal in Gestalt der verschiedenen Arientypen deutlich. Je nach Charakter der textlichen Vorlage wählt Carl Philipp Emanuel Bach einen empfindsa men, liedhaften, triumphierenden Ausdruck. Da finden wir den an Vorhaltsbildungen, engen Intervallfortschreitungen mit bevorzug ter Sekundmotivik und dynamischen Abstu- •jen reichen Satz ,Quia respexit'. Im kunst- en Wechselspiel zwischen Sopran und me ¬ lodieführenden ersten und zweiten Violinen gelingt Bach eine beseelte, die kleinsten Sinngebungen des Textes nachzeichnende Ge sangsszene. Den Gegenpol hierzu bildet die nachfolgende Tenorarie ,Quia fecit': aufstei gende Dreiklangsschritte, ein knapp formu lierter, energischer Skalenanlauf zum Spitzen ton d 2 und eine die Tonart bekräftigende Wendung markieren den Anfang. Der nach vorn drängende Impetus dieses thematischen Gebildes ist dem ganzen Stück eigen und klas sifiziert es als zum Typus der Siegesarie ge hörig. Mehrfach nehmen wir Anklänge etwa an spätere Vokalwerke von Mozart wahr, und nicht nur dort, wo sie durch eine ähnliche Me lodiegestalt assoziiert werden." Carl Philipp Emanuel Bach: Magnificat Chor: Magnificat anima mea Dominum, et exultavit Spiritus meus in Deo salutari meo. Sopran: Quia respexit humilitatem ancillae suae; ecce enim ex hoc beatam me dicent omnes generationes Tenor: Quia fecit mihi magna, qui potens est, et sanctum nomen eius. Ottr: ^Bisericordia eius a pro- genie in progenies timentibus eum. Baß: Fecit potentiam in brachio suo, dispersit superbos mente cordis sui. Alt und Tenor: Deposuit potentes de sede, et exaltavit humiles. Esurientes implevit bonis, et divites dimisit inanes. Meine Seele erhebet den Herrn und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands. Denn er hat angesehen die Niedrigkeit seiner Magd; siehe von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währet immer für und für bei denen, die ihn fürchten. Er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllet er mit Gütern und läßt die Reichen leer.