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MGopauer Gonntagsvßatt Beilage zum ÄsGopauer Lagevlatt ««ö Anzeiger Sonnabend, den 25. Februar Nr. 8 1939 Land! nimmt nun etwas Im Mv m L/L man -i> v0NköLK-Kkl.ttk^cNV^ ov»m Vkkläb 0L>^» Peter liegt dem Lauf der Weser " Hl Gegen neun Uhr ist Dr. Arno Hellmann In Boun ringetroffen. Dann Ist er mit der Straßenbahn weiter« gefahren. An der Endstelle erwartet ihn Herbolzheimer. Herbolzheimer ein Mann von gnt fünfundsechzig Jahren, siebt gestrafft und frisch aus wie ein Lord. Er hätte in jedem Weltstadthotel Kredit, trotzdem er nur eiu Diener ist. Er ist seit mehr als zwanzig Jahren beim Geheimrat Hellmann. Zwanzig Jahr« . . , -IS binden. Dr. Sellmann, der Neffe des Geheimrats, fleht neben mehr südlichen Kurs. Er . „ , entgegen. Sie sehen, wie sich der Fluß gabelt in Werra und Fulda, inmitten der spitzgiebligen Häuser des verträumten Städtchens Hannoversch-Mllnden. Da, wo die Eder sich mit der Fulda vereinigt, begegnet ihnen ein Segelflugzeug. Es gehört zu der großen Scgelfliegergemeinschaft, die auf der Wasserkuppe iHv Standquartier hat. Ganz nah gleiten die beiden Vögel aneinander vorüber, der eine stumm, geheimnisvoll gleitend im Aufwind, dröhnend und donnernd der andre, silbergraue. Die Piloten winken einander zu. Gleich sind sie auch schon Hunderte von Metern aneinander vorüber. Da . . . die Edertalsperre, und weiter westwärts in Stauch und Dunst ... das Industriegebiet, Deutschlands pochendes Herz. Babett genießt diesen Flug wie einen Rausch. Eie hat nicht einen Augenblick Angst gefühlt. Peter sitzt ja hinter ihr. Sie kann sein gutes, ruhiges Gesicht sehen, wenn sie sich umwendet. Hinter den Gläsern, der Brille lachen seine Augen. Babett fühlt sich in seiner Nähe geborgen. Und ohne, daß cs einem der beiden Mädchen möglich ist. ins Gespräch einzugrcifen, verkündet Ottokar zum swetten Male, was er weiß. Hildegard ist beaierig, recht viel von Babett zu hören, Im stillen hofft sie sogar, daß schon irgendeine Ent- stielbttiw gefallen sei... dennoch weiß sie, daß daS Un- ö'"» ist, doß. dqS-la noch MV nicht sein kann. Aber 5. Fortsetzung. Ter aufmerksame Kellner legt ihr einen ganzen Stoß bunter Hefte vor, sie ist zu dieser Stunde der einzige East. Gedankenlos beginnt sie zu blättern. „Ein Lag ans dem Gnte des Herrn ZD? Hm, das Gutshaus, die Ställe, wogende Weizenfelder, da schreitet cm Inspektor über Land . . . ein Obstgarten . ., sogar ein Wald gehört zum Gute des Herrn LI. Sie blättert um. Natürlich, da ist auch die Fr. u des Herrn LA. abge bildet. Mitten zwischen jungem Geflügel steht sie und ... es ist zum Lachen, die Dame hat hohe Absätze unter ihren Schühchen ... du lieber Gott! Die hat sie ver gessen auszuziehen, als der Photograph diese Szene ausbaute. Sie würde das überhaupt ganz anders machen! Nie nur eiue einzige Sorte Geflügel, wie'S hier abgebildet ist, nein, Onkel. Vaters Bruder, hat auch stets drei, vier Sorten nebeneinander gezüchtet... Ach, Ottilie, wohin verirrst du dich! Lächelnd legt sie das Heft beiseite. Ein Stück Land.., ja, das ist ihr stiller Traum, es wird wohl ewig ein Traum bleiben. Der Kellner hat den Radioapparat angestellt, er will ihr wahrscheinlich eine besondere Aufmerksamkeit er weisen. Sie kriegt es nicht überS Herz, Ihn zu ent täuschen. So tönen Neklamesprüche durch den leeren Naum, einfältig und doch klug auf ihre Weise, ab wechselnd mit törichten Schlagern von Lenz und Liebe. Ihr ist'S gleich. Es geht sie nichts an. Draußen fährt ein Wagen vor. Ein Schauspieler kommt wahrscheinlich zur Probe. Ein langgestreckter, roter Wagen. Nanu ... den keunt sie doch?! Das ist doch ...? Natürlich! DaS ist Babetts Wagen! Der Hurru! Babett ist zurück! Mit einem Satz ist sie auf. „Babett! Hallo, Babett!" Da klettert ein Mann aus dem meorigen Einstieg. Nicht Babett. Einen Augenblick steht Ottilie fassungslos. Ein Dieb? Der Fremde hat sich auf ihren Ruf hin herumgedreht. Den Mann hat sie schon einmal gesehen. Jetzt geht ein Strahlen über das Gesicht des Fremden, als er sie sieht, daun stürzt er auf sie zu. „Sind Sie Fräulein Ottilie oder Fräulein Hilde- gard?" „Ja ... wie kommen Sie denn zu der Frage? Ich bin Ottilie . . .1" „Hallol Hab' ich mir gedacht! Großartig. Ich bin Ottokar Krann. Habe Ihnen einen Haufen Grüße von Fräulein Babett zu überbriugen. Fein, was?" Mit ansteckendem Lachen hält er ihr die Hand hin, und nach wenigen Minuten sitzen sie beide vor ihren Kaffeetassen, und Ottokar erzählt... erzählt. Von seiner Ne se. Von Babett. Von Peter Vogel. Von seinen Hbstbäumen. Von seinem großartigen Plan ... „Herr liche Idee! Müssen Sie selbst sagen, Fräulein Ottilie, nicht wahr?!" .. . Ottilie kann die Fülle gar nicht auf einmal verdauen. Sie denkt immer noch darüber nach, wo sie ibn schon einmal gesehen hat. Inzwischen hat Ottokar seine Darlegungen beendet nnö macht ein Gesicht wie ein Junge, der auf eine gute Lensur wartet. „Also sagen Sie schon „Ja", Fräulein Ottilie! Schlagen Sie ei»! Die andre junge Dame werden wir dann einfach überstimmen, entführen oder sonst irgend wie bewußtlos machen!" Ottokar streckt ihr ausfordernd, werbend die Hand über den Tisch hin. Sic weiß gar nicht, was er gesagt hat. „Sie müssen mich entschuldigen, Herr . . . Herr. . „Krann. Ottokar Krann. . .!" „Herr Krau» . . ich habe eben gar nicht recht hin- zehört . . . ich bin eiu wenig durcheinander heut morgen . . .!" „O ivie schade!" bedauert Ottokar. „Also hören Sie jn, ich will ^huen meinen Plan . . ." In diesem Augenblick gehi drüben am BtthuenauS- zang die Lür und Hildegard tritt heraus. „Da kommt meine Freundin auf die üb hier warte!" ruft Ottilie und springt aus, Aber Hildegard hat den „Hurru" vor der Tür schon gesehen und kommt ge« rademvegs herüber iu die Konditorei. „Babett . . .? Ja, wo steckt sie denn?" „Wahrscheinlich ist sie gerade im Begriff, Im Rhein- land zu landen, gnädiges Fräulein. Gestatten: Ottokar Krann!" während sie hier sitzen, entscheidet sich nun dort sechs- hundert Kilometer weiter westwärts, vielleicht ihr Lcbcnsschicksal. Inzwischen ist Ottokar schon bet seinen Plänen ange- laugt. „Kommen Sie mit nach Wernigerode! Es ist ein Paradies mit wenig Kosten!^ schließt er schwungvoll. Hildegard überlegt nicht lange. Es mutz herrlich seim jetzt nicht in Berlin sitzen zn müssen. Sie vermag sich nichts Erlösenderes zn denken, als mit all ihrer Un ruhe in die Berge flüchten zu können. „Ich bin einverstanden!" gibt sie bald zur Antwort. „Mich hält das Theater nicht. Alles ist in Ordnung, ycute abend ist Erstaufführung, das Stück läuft dann fast vier Wochen ... ich bin Kei. Aber, Otti, du kannst ja nicht! Du mußt ja in die Schule! Ihr habt -och noch keine Ferien!" fügt sie erschrocken hinzu. „Schade, da geht'S doch nicht! Aber Otti, was hast du denn? Was ist denn los mit dir? Ist dir nicht wohl?" ,,O doch." Ottilie zieht die Brauen schmerzhaft zusammen. „Wir können fahren. Ich brauche Nicht mehr in bis Schule." „Nicht mehr in die Schule? Ja, wie denn .,.?" „Ich bin entlassen. Abgebaut.^ Es ist eine Weile still. Ottokar senkt den Blick. ES tut ihm tn der Seele weh, wie sie das sagt: abgebaut. Sie klagt nicht, aber in diesem einen Wort liegt der Schmerz eines verwundeten Menschenherzens. „Ach so .. .1" sagt Hildegard leise. ' Sie reicht der Freundin die Hand über den Tisch. „Laß nur. Madel, wir zwei halten zusammen! Du wirst bald etwas Neues gefunden haben. Nur nicht unterkriegeü lassen! Für uns zwei langt's noch immer! Und weißt du was? Nun fahren wir erst recht! Gerads weil es uns das Schicksal so schwer machen will. Herr Krann, Sie sind wie der rettende Engel zu uns gekommen! Wir nehmen Ihren Vorschlag an! Komm, Otti! In drei Stnnden haben wir Berlin hinter uns und damit anch allen Aerger, alle Sorge, alles Trübe! Einverstanden?" Ottilie nickt der Freundin tapfer zu. Aber Ottokar sicht doch, daß es in ihren Augenwinkeln verdächtig blinkt. Gott, wie sich das Mädel zusammcnreißen kann! Man könnte sie so einfach in die Arme nehmen, bis sie wieder lacht! Wie damals in Bremerhaven. Er hilft ihr sehr zart und fürsorglich in den Wagen. Und trotz aller Sorge mutz Hildegard lächeln, als sie es steht. Schau, schau . ..! denkt sie. Drei Stunden später rollen sie westwärts^ * . * „Da kommt der Harz heran!" Peter brüllt es nach vorn, und Babett nickt ihm zu. Verstanden hat sie seine Worte nicht, aber sie weiß, was er meint. Dunkel und massig steigen die Harzberge unter ihnen auf, unvermittelt und ohne Uebergang, als hätte ein Riese seine Bausteine hier vor Urzeiten im Ueberdrutz des Spieles liegen gelassen. Mitten tn der Ebene. Es st diesiges Wetter, man kann nicht weit sehen, man ahnt die Landschaft mehr, als daß man sie erkennt. Böen durchschtttteln den Rumps der Maschine, Peter mutz tn größere Höhe gehen, um ihnen nach Möglich keit auszuweichen. Mit einem Male verschwindet as ruhig ziehende Bild der Landschaft vollständig. EL wird grau und bleiern um sie her. Gleich darauf prasselt der Regen nieder, scharf und peitschend trifft er so daß die Haut schmerzt. Aber Peter reißt die Heinkel schnell nach oben, und da geschieht etwas Wunderbares, etwas, das Babett zn einem Hellen Fubclschrci hinreibt: die Sonne leuchtet plötzlich aus. Mit einem Ma'e fliegen sic in strahlen dem Schein, über ihnen dehnt üch ein unwahrstheinlich blauer Himmel, unter ihnen brütet ein quirlender, grauer Brei die Regenwolken Sie sind jetzt mehr als zwe'tauscnd Meter hoch. „Da ... der Brocken!" Gleichfalls über den Wolken ivie sie selbst, leuchten die Häuser des BrockenhotclS sonnbcschienen zu ihnen auf. Babett winkt nach unten. Es erscheint alles so nah: die fläche Kuppe dcS Berges, die Häuser daraus, dis Wanderer, die dem eilenden Vogel zuwinken und ihm sehnsüchtig nachschauen. Aber eilig entschwindet das ihr, ach, so bekannte Bild. Jenseits des Gebirges klart das Wetter ans. Diese Berge trennen Sonne und Regen voneinander. Man müßte die Schulkinder einfach ins Flugzeug setzen, denkt sie. DaS wäre Geographie. Mit einem Blick würden sie es erkennen und nie vergessen: Das Angesicht der Erde. Sie überfliegen -aS silberne Band der Weser. Der Fluß leuchtet zu ihnen herauf im Hellen Glanz der Sonne. DaS ist schön, -lese silberne Ader im grünen Petermann, der Dackel, ist allerdings andrer Met« nung. Er hat sich ganz nach nnten verzogen. Unters Babetts Füßen kauert er. Von Zeit zu Zett fühlt sie, wie es ihn armstvoll durchschüttelt. Armer Kerl! . . , In tausend Windungen führt sie die Sieg zum Rhein« Es ist gar nicht zu verfehlen. Peter braucht kaum au- die Karte zu blicken. Der Rhein! Ein mächtige- Silberband, schraffiert von den Orna« menten der windgetriebenen kurzen Wellen, bald Heller, bald trüber scheinend,' bald zerschnitten vom ausblitzen« den Kielwasser eines Dampfers, bald durchfurcht voll! -er Spur langer Schleppzüge. Grün und schwarz, von Licht und Schatten gezeichnet, rahmen die Höhen de? Siebengebirges den Fluß. Und da liegt Bonn ...! Ja, man ist fast am Ziel! Peter geht in weiter Kurve hinab, und es sieht aus, als wenn die Landschaft langsam zu ihnen herauf« fchmebe. Den Strom selber überfliegen sie schon in ge« ringer Höhe. Aufmerksam vergleicht Peter jetzt Karts und Landschaft. Das Dorf...? Ja, das stimmt. Dort hinter den Obstgärten muß Haus Rheinfelden stehen! „Da ist's!" schreit er nach vorn, und Babett nickt. Sis vergleicht das Photo, daS ihr Hildegard besorgt hat, ja . .. -as muß es sein. „Stimmt!" brüllt sie nach hinten. Peter stellt den Motor ab. Es ist unheimlich still mit einem Male, nur der Luftzug des rasenden Sturzes heult tn den Spanndrähten. , l „Achtung! Feststen! Lenken Ele an den Köters* Der Propeller klickt nur noch leis» Die Heinkel setzt zum Gleitflug an, sie läßt die Nass äst senkrecht nach unten hängen. Es saust uud pfeift m Leitwerk, in den Spanndrähten. Die unheimliche Be« chleunigung staut Babett den Atem. Die Erde ... dis öerge ... der Strom ... die Felder ... sie schrauben ich scheinbar taumelnd heran ... in wahnwitziger Ge« chwindigkeit... Herrgott, bas ist die rasende Hölle!..« Jetzt der Garten die Bäume, es wird alles so riesen« groß ... da ... -er Motor bellt auf... Peter reißt -iS Maschine kurz in die Höhe ... schaltet wieder aus, nun die letzte Kurve ... Stille, unheimlich ... Babett schließt die Augen . . . dann Stöße, hart, knatternd, eine scharfs Schwenkung, es ist, als reiße eine Niesenfanst den Äppa« rat herum . . . dann ist es still, ganz still. . . Sic sind mitten, im Garten des Herrn GehclmratS Hellmann gelandkt? Es war das Meisterstück cineg Piloten, mitten auf einem Rasenstück, ans dem Wäsche zum Bleichen liegt. Sie leben alle drei. Der Tackel an erster Stelle. Er bellt wie irrsinnig. „Hallo, Babett!" hört sie Peter rufen. „Toll, waö? Wird einen schönen Stunk wegen der Wäsche geben!" Sie erinnert sich ihres Auftrags . . Ich soll ja in Ohnmacht fallen! Sie braucht diese Komödie nicht mehr zu Wielen. Es wird Wirklichkeit. Es wird ihr dunkel vor den Augen, uud st- denkt nichts mehr.