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ÄfGopauer Gonntas«iv!la«t Veilage »um ZsGopauer Tageblatt und Anzeiger Nr. 14 Sonnabend, den 8. April 1939 vknbk!:u-»!ri.ui^cuusr 0EK Vkkl^l. 0L^»/V>k!Lirk,Wik0^ N. Fortsetzung. „Even darum bitte ich Sie ja: Vassen Sie mich gehen!" „Ich lasse Sie nicht, ehe Sie mir n' '' ''geben. Warum weinen Sie?" „Ich weine nicht." „Lügnerin! Du weinst." „Ja. Ich weine." „Warum?" „Es ist so aussichtslos. Alles ist w auo.ilhwtos." Was?" ^Bcru'f. Leben. Alles." „Beruf? Gibt es für eine Iran einen herrlicheren Beruf, als Frau zu sein und Mutter? Warum greisst du nicht zu?" „Es hat mich niemand gefragt." „Wieso? Seit einer Viertelstunde warte ich auf Ant wort." „Antwort?" „Nun ja. ob du mich heiraten willst!" Da ist es. Da steht es groß und gewaltig vor ihr. Was sie geahnt, gefühlt, ersehnt hat... nun ist es da. Ihr ist, als ergreife sie ein Strudel, dem man sich nicht emgegenstemmen kann, der gewaltig ist über die Maßen, beseligend, süß, ein Rausch, ein köstliches Ver sinken, namenlos. Sie schließt die Augen. Fremd klingt ihre Stimme, ganz zart und süß, eine andere Ottilie. „Du hast mich ja. . . noch gar nicht gefragt!" „Oh . . . hab' ich -aS nicht? Mir war immer so. Also jag schon, willst du? Ja oder nein?" Da sieht sie ihn an, groß und offen, forscht noch ein mal m seinem Gesicht und findet kein Falsch darin, findet nur das gleiche Hoffen und Bangen, das auch sie erfüllt. Sie senkt den Kopf. „Ja. Ich will." Und als er sie küßt, ganz zart und vorsichtig, als ge- traue er sich noch nicht recht an sein Glück zu glauben, da zieht sie ihn fest in ihre Arme und fühlt sein Herz schlagen und denkt: „ES schlägt einen guten Takt!" * . * In HauS Rheinfelden fließen die Tage ruhig und gleichmäßig. Man spürt kaum, wie sie zerrinnen. Babctt, die sich so viele Dinge überlegt hat, die sie von hier aus angreifen wollte, wird tn den gleichmäßigen Zug der friedlichen Tage eingespannt, ohne daß sie es merkt. Ich werde faul! denkt sie wohl manchmal mit Be- sorgnis, aber dann fällt es ein, daß sie ja nichts versäumt, rein gar nichts. Sie hat den Freundinnen geschrieben, daß sie hier- bleibt auf unbestimmte Zeit. Hildegard hat ihr schon aus Stuttgart geantwortet. In acht Tagen wird sie heiraten und Frau Dr. Hellmann heißen. Ottilie ist auf irgendein Gut gegangen als Sekretärin. Der Kreis hat sich zerstreut. Das Leben steht nicht still. Drei gute Freundinnen waren sie gewesen. Aber das Leben ist zwischen sie getreten und hat sie auseinander geblasen. Die eine heiratet, die andre arbeitet... gute, tapfre Ottilie! . . , und die dritte? Sie selbst? Sucht Abenteuer? Babett blickt lange in den Himmel und kann sich keine rechte Antwort geben. Immer drängt sich ein zorniges ! Männergcsicht zwischen ihre Gedanken, sagt ihr harte, sehr deutliche Worte, und dies Gesicht trägt Peters I Züge. „Hat es dich doch getroffen, Babctt?" Sie sagt nein, schüttelt in wildem Trotz den Kopf, aber in der verstecktesten Kammer ihres Herzens, da antwortet cs: Ja! «Schade, daß man dir nicht eins hinter die Ohren > geven kann..." i Sic hört das noch immer, ob sie will oder nicht. Abends, wenn sie im Bett liegt und nichts sich regt als die gewaltigen Ahornbäume und die breite Linde im Garten, dann muß sie au Peter denken. Tagsüber aber ist sie des Hauses Mittelpunkt. Ter Herr Geheimrat hat sich verändert, seit sie im Hause ist. Herbolzheimer» der Alte, Getreue, kann das am besten beurteilen. Der Herr Geheimrat spielt mit Petermann, der Herr Geheimrat hat drei neue Anzüge in Auftrag gegeben, der Herr Geheimrat hat den Wunsch geäußert, „mal eine andre Krawatte umzulegcu". Und Herbolzheimer weiß: wenn ei» Man» seinen Binder beginnt mit Sorgfalt zu wählen, so hat er einen Grund. Sonst nämlich ist cs gleichgültig, zwei Wochen das gleiche Scheusal nm den Hals zu winden. ES gibt nur eine Erklärung. Der gute Herbolzheimer seufzt im stillen und denkt: Fünfunofünfzig und fünf« undzwanzig ...? Aber zunächst macht er sich keine Kopf schmerzen darüber, sondern ist ganz einfach froh, daß sein Herr beginnt, aus seinem langen, langen Schlaf auszuwachen. — Heute wird ganz früh gedeckt. Es Ist ein Ausflug verabredet. Der Geheimrat will seinem Gast den Rhein zeigen. „Wir werden ihn zwiefach sehn, den Vater der Ströme, einmal vom Wagen ans und einmal vom Schiff. Aber ach, wir sehen ihn oft genug, uud immer wieder zeigt er ein andres Gesicht!" Babctt freut sich auj diese Fahrt. Am frühen Klagen si^ in oer Haue, reise ¬ fertig. Da wartet der Geheimrat auch schon auf sie. Er ist strahlender Laune, hat sich einen neuen, lockeren, weichen Anzug angezogeu uud sicht verjüngt aus, wie sie es kaum für möglich hielt. „Grütz Got:, Fräulein Babett! Auch schon heraus? Und wie Sie wieder anssehen! Wie der leibhaftige Frühling! Ach, Jugend ist doch ein herrliches Besitztum." „Leider wird es mit jedem Tag geringer!" entgegnet sie lachend und reicht ihm die Hano. Er neigt sich dar über und antwortet mit der Sicherheit -es Mannes von Welt: „Bei Ihnen bestätigt sich die Regel durch die Ausnahme. Drei Wochen sind Sie auf Nheiufeldeu... drei Monate sind Sie jünger geworden!" Babctt wird rot. Sie ist's nicht gewöhnt, Schmeiche leien entgegenzunehmen, aber sie kann sich nicht helfen, es tut ihr gut, sie freut sich darüber. Der Geheimrat versteht es, ihr Nettes zu sagens Er ist nicht mehr der Geheimrat der ersten Tage, nein, ihr ist zumute, als sei er ihr Vater, ihr geliebter Vater, der ihr in diesen Tagen neu ersteht, so, wie sie ihn sich immer ersehnte: Schön, fröhlich, ein ganz klein wenig verliebt in seine Tochter und ganz für sie da, ganz allein für sie. So läßt sie sich jetzt treiben, läßt sich umspülen von der sommerlichen Gelassenheit, schwimmt mit ausge breiteten Armen in dem Strom des Umsorgtseins, deS Behagens, der Geborgenheit, des Wohlstandes. „Wo bleibt Herr Czuka? Kommt er nicht mit? Gestern war er doch voller Begeisterung und schwärmte in den höchsten Tönen?" Ein Schatten fliegt über des Geheimrats Gesicht. „Herr Czuka? ... Er wird sich nicht aus dem Bett finden. Wie das halt so ist bet Künstlern. Er liebt den Wein am Abend so sehr, daß er am Morgen die Sonne nicht findet. Legen Sie so großen Wert auf seine Be gleitung?" „Oh . .. durchaus nicht! Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ist es mir sogar ganz lieb, wenn er nicht mit von der Partie ist!" gesteht sie lächelnd. „Er ist ein wenig sprunghaft und unbeherrscht. Ich habe immer das Ge fühl, als explodiere er im nächsten Augenblick." Der Geheimrat blickte sie erschrocken an. „Ich will -och nicht hoffen, -atz er sich in irgendeiner Wei e unehrerbietig gezeigt hat?!" „Aber nein!" wehrt sie kopfschüttelnd ab. „Im Gegen teil. Er ist der zuvorkommendste, liebenswürdigste junge Mann, den ich kenne. Ich sagte das nur so heraus, obwohl es nur ein dummes unbestimmtes Gefühl ist. Bitte vergessen Sie es . . .! Er ist ein sehr tüchtiger Künstler und ein ausgezeichneter Kenner!" „Er hat einige Semester Kunstgeschichte studiert," be endet der Geheimrat dieses Gespräch und fährt daun mit einem Blick nach der Tür fort: „Aber nun lassen Sie unS aufbrechenl Sehen Sie, da steht Herbolzheimer bereits mit dem Mundvorrat! Ist der Wagen da?" „Jawohl, Herr Geheimrat, er wartet draußen." „Na, dann auf und davon! Herbolzheimer, hüten Sie »us das Haus brav!" Babett meist Petermann. Der hat bereits unter dem Tisch gelauert. Er riecht, wenn cs ausgeht, ist daun unter keiner Bedingung aus -er Nähe seiner Herrin zn vertreiben Mit mörderischem Gemäss, tn Svrung und Satz hetzt er voran, dem Ausgang zu, wo der Wagen wartet. ES ist ein MtetSwaaen aus dein Ort, ein großer, starker Viersitzer, offen, hell und blinkend wie -er sonnige Morgen. Mit einem Satz ist Petermann auf dem her- untergelasscnen Verdeck. „Das ist sein Plätzchen auch im Hurry! So heißt mein Wagen daheim nämlsch!" Aufmerksam versorgt sie der Geheimrat mit Kissen und einer Decke trotz ihres Widerspruches. „Es ist kühl am Morgen und der stete Fahrwind frißt Wärme. Ich möchte nicht, daß Sie tn die Erinnerung an diesen Tag auch einen Schnupfen aufnehmen müssen." In scharfer Fahrt gewinnt der Wagen die Dorfstrabe, rollt über den Marktplatz, Babett liest „Zum Alten Kur- kölnischen Hof" und denkt im Vorüberbuschen: Hier hat Peter gewohnt! dann aber sind sie auf der Landstraße, und der Rhein grüßt sie, blinkend in -er Sonne, Deutsch. lan-S schönster Strmn. Die Straße rollt unter ihnen, Babett ist zumute wie an einem glücklichen Festtag. Auf dem Rhein aber ist Werktag. Gewaltige Schlepper mühen sich, lange Reihen beladener Kähne stromauf zu ziehen. Fauchend schlagen ihre Schaufelräder das dunkle Wasser, so daß es hell aufblitzt im Schein der Sonne und eine lange silbern« Spur hinterläßt. „Hier ziehen Deutschlands Güter stromauf und strom ab!" meint der Geheimrat, „der Rhein war nicht nur vor zweitausend Jahren die gewaltige Heerstraße der Völker, er ist es jetzt noch! Er ist Deutschlands silbernes Band, das Nor- uud Süd miteinander verbindet. Sehen Sie die schwarzen Schlepper dort? Sie gehören einer großen Gesellschaft, Sie finden tn Rubrort lange Reihen dieser Schiffe. Ich war vor einigen Jahren zum letzten Male dort, damals, als das große Wirtschaftssterben in Deutschland begann. Es war erschütternd zu sehen! Ein weiter, stiller Schiffsfriedhofl Denken Sie . . l Hunderte voll Schiffen ohne Beschäftigung, Tausende von Tonnen ohne Ladung, Millionen Arme ohne Ar beit . . Gott sei gelobt! Es ist heut ein andres Bild!" Nachdenklich sieht Babett ihren Nachbarn an. „Ich glaubte, Sie haben sich gar nicht um Fragen unserer Zeit gekümmert, Herr Geheimrat!? Und nun merke ich. daß Sie doch ganz gut Bescheid wißen!" Ein bitterer Zug legt sich um den Mund des Mannes. „Sie verwechseln meine Betriebe, mein Einzelschicksal, mit dem meines Vaterlandes. Ich wäre ein Narr, wenn Ich die Augen vor dem verschlösse, was in Deutschland geschieht oder unterbleibt. Aber waS meine Betriebe betrifft ... ach Gott, sprechen wir nicht mehr davon!" Er schneidet -aS Gespräch mit einer kurzen Hand- bewegung ab, und Babett fühlt, -aß sie hier an Ling« gerührt hat, von Lenen der Geheimrat nicht gern spricht. Damm schweigt sie, aber ihren Gedanken kann sie nicht so plötzlich gebieten. WaS treibt diesen Mann. Liesen klugen, feinsinnigen Mann von seiner Arbeit- Warum gibt er seinen Werken, seinen großen Betrieben so wenig Raum in seinem Leben? Warum steht er nicht selbst an ihrer Spitze? Warum verhindert er es, daß Ler einzige Verwandte diese Stelle einnimmt, diesen Führerplatz, zu dem er durch Können und Geburt vor« bestimmt ist?! Weshalb führt dieser seltsame Stadtrat scheinbar unumschränktes Regiment? Das läßt sie nicht zur Ruhe kommen. Sie findet keine vernünftige Erklärung dafür. Scheu vor der Arbeit.. .? Nein, ganz ausgeschlossen. Im Gegenteil, von seinem Wesen strahlt soviel Kraft, soviel Enemie aus, Laß es immer verwunderlicher scheint, weshalb er sich zurück zieht. Inzwischen hat sie Ler Wagen bis Andernach gebracht. Als die ersten Hauser auftaüchen, verständigt Ler Ge heimrat den Fahrer über LaS nächste Fahrziel: Maria Laach. „Es sind nur wenige Kilometer," begründet er feinen Entschluß, „aber Sie werden mir dankbar sein, Fräulein Babett, wenn wir eine Stunde in der Abgeschiedenheit dieses Klosters verbringen. Es gehört zu meinen schönen Erlebnissen: Mein erster Besuch bet Len Mön chen tn -er Einsamkeit der Eifel." „Ich kenne die Eifel gar nicht," bemerkt Babett, „ich weiß nur noch so dunkel etwas von erloschenen Vul kanen, von Maaren und von Clara Biebig." „Sie hat die Menschen jener Landschaft unvergleich lich geschildert." ? „Ehrli^ gesagt... ich fürchte mtch vor der Eintönig« Der Geheimrat schüttelt lachend den Kopf. „Schelten Sie mir meine Eifel nicht! Schauen Sie i doch nm sich! Sind diese herrlichen Wälder, auf die wir jetzt zusahren, eintönig?" In Wahrheit, Babctt mutz cS gestehen, dieser herrliche Buchenwald könnte auch in der Mark wachsen. Dunkel, grün, dämmernd nimmt sie das dichte Laubdach auf. Der Fahrer, ein stiller, zuverlässiger Manu, drosselt den Wagen, fährt ganz langsam. Vielleicht spürt er cs auch, daß man hier eigentlich anSsteigen und zu Fuß gehen müßte. Vielleicht erwacht auch in ihm die Urahnenfurcht, die unsre Altvordercn schweigen hieß, wenn sie zur Thingstätte durch den heiligen Hain schritten, ans daß die Wohnung der Götter, das Reich der Alben und Zwerge, die geheimnisvolle Hütte der Ouellnixe nuge« stört blieben. Immer muß Babctt nach oben schauen, wie daS himm lische Blau gebrochen Lurch das wcitschattende Blätter dach lugt, ein zartes sommerliches Farbenspiel, Am Rande des Laachcr Sees steht die Abtei. Die Mönche haben gut gewählt, als sic diese Stelle zum Bau ihres Klosters bestimmten. Hier stört nichts thre An dacht als daS Rauschen der Bäume und der harte Schrei -es Sperbers. „Ein Jahrtausend D vergangen, seit man den Grund stein legte zu dieser Abtei. Sehen Sie sich diesen Borhof an! Er ist ein seltenes Stück romantischer Baukunst!^ Ganz still schauen sie. Ernst und dunkel blickt daS araue Gemäuer auf sie hinab. Die Wogen der Zeit sind fast fpurloS darüber hlimeschritten, der Wandel der Ge stirne blieb bier unbemerkt.