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PROGRAMM ZUR EINFÜHRUNG Tschaikowski-Zyklus DRESDNER PHILHARMONIE Dirigent EDUARD SEROW Solistin ULRIKE GOTTLEBE, Klavier Peter Tschaikowski (1840-1893) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 G-Dui op. 44 Allegro brillante e molto vivace Andante non troppo Allegro con fnoco PAUSE Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 Andante - Allegro con anima Andante cantabile con alcuna licenza Valse: Allegro moderato Finale: Andante maestoso - Allegro vivace Peter Tschaikowski, Zweites Klavierkonzert G-Dnr op. 44 Allzu leicht wird über der ungebrochenen Popularität des Klavierkonzertes b-Moll (Nr. 1) vergessen, daß zwei weitere Werke dieser Gattung aus Tschaikowskis Feder existieren, außerdem noch eine Konzertfantasie, die es verdienen, häufiger zu erklingen. Zumindest das G-Dur-Konzert darf als ein Meisterwerk gelten, dessen innere Geschlossenheit und gedankliche Tiefe von nicht wenigen Kennern sogar über das b-Moll-Werk gestellt werden. Vom Oktober 1879 bis zum Mai 1880 hat der Komponist daran gearbeitet - in Moskau, Paris, Rom, Petersburg und wieder in Moskau. Tschaikowski schrieb von der „recht mühsamen Arbeit“, keil er spieltechnische Wiederholungen vom ersten Konzert vermeiden wollte, von solcherart Zweifeln geplagt, aber doch auch aus einer insgesamt glücklichen Schaffenshaltung heraus (zur gleichen Zeit entstand das „Capriccio italien“), schrieb Tschaikowski sein Zweites Klavierkonzert. Das energische, kraftgeladene Flauptthema des ersten Satzes (Allegro brillante e molto vivace) zieht den Hörer sogleich ins Geschehen, das vordergründig eher rhapsodischen Charakter zu tragen scheint, aber bei genauerem Studium ein geradezu streng logisches Gestalten ver rät. An Virtuosität wird nicht gespart, mitunter wirken die bravourösen Ab schnitte fast überladen. Sehr melodiös das Seitenthema in Es-Dur, zuerst vom Solisten vorgestellt. In der Durchführung wechseln die Elemente des Seitenthemas mit solchen des Hauptgedankens ab, alles kunstvoll verwoben oder aufeinander prallend. Eine lange Kadenz des Klaviers führt zum Sieg des ersten Themas. Pausenlos schließt sich der Mittelsatz (Andante non troppo), ein Notturno, an. Die Besonderheit im Klangbild ist das solistische Zusammenwirken von Violine (zuerst cinsetzend), gefolgt vom Violoncello als kantables Zwiegespräch, dem sich letztlich das Klavier hinzugesellt mit seinem sehr poetischen Gesang. Durch den geradezu kammermusikalischen Tonfall ersteht eine zauberhafte Nachtstimmung, vermischt mit leiser Melancholie. In die Helle des Tages holt uns das Finale (Allegro con fuoco) zurück, dessen tänzerischer Schwung, seine rhythmische Hart näckigkeit und ein unüberhörbarer Volkshumor die Hörer zu fesseln vermag. Hier nun hat der Solist akrobatische Leistungen zu vollbringen. In schier unbesiegbarer (Lebensfreude stürmt der Satz dahin. - Die Uraufführung fand am 25. Mai 1882 % Moskau statt, den Solopart spielte Sergej Tanejcw. Die Kritik war zurückhal tend (man schrieb tadelnd von einer „Sinfonie mit obligatem Klavier“ und be mängelte im zweiten Satz die solistische Einbeziehung von Violine und Violon cello). Gerade das Notturno aber hielt der Komponist für besonders gelungen. Donnerstag!Freitag, 1./2. März 1990 Neues Gewandhaus ■ Großer Saal ■ 20.00 Uhr Fünfte Sinfonie e-Moll op. 64 Im Frühjahr 1888 war Tschaikowski von seiner großen und erfolgreichen Konzert reise aus Westeuropa ziemlich erschöpft in die Heimat zurückgekehrt. Nur zögernd ging er in Frolowskoje, seinem Landsitz in der Nähe von Klin, an die Komposi tion seiner Fünften Sinfonie, „um nicht nur anderen, sondern auch mir selbst zu beweisen, daß mein Liedeben noch nicht ausgesungen ist“. Über ein Jahrzehnt war inzwischen vergangen, als die „Vierte“ beendet worden war. Die Besinnung ZUR EINFÜHRUNG gerade auf dieses Werk ließ neue Skrupel in ihm wachsen: „Sollte ich mich gänz lich ausgeschrieben haben? leb habe weder Einfälle noch Lust. Und trotzdem hege ich die Hoffnung, daß ich so nach und nach schon Themen für meine Sinfonie zu sammenkratzen werde.“ Dann aber, von Mitte Mai bis Anfang Juli 1888, entwarf er die Skizze, und schon am 14. August erfährt Frau von Meck, Tschaikowskis Gönnerin, daß die Sinfonie beendet sei. Eine Art Schattensrausch hatte ihn über fallen, so daß er mitunter an zwei Orchesterwerken arbeitete - an der „Fünften“ und an der Sinfonischen Dichtung „Hamlet“. So mancher Wesenszug des tragi schen Grüblers hat auch in die neue Sinfonie Einzug gefunden. In ihrer inhaltlichen Problematik ist die Fünfte Sinfonie zugleich mit der „Vic^^ ten“ verwandt. Über beiden Werken steht als Leitgedanke die Auseinandersetzung mit dem „Fatum“, dem menschenfeindlichen Schicksal. Doch noch konsequenter, noch deutlicher als bisher kommt diese Grundidee in der neuen Sinfonie zum Tragen. „Vollständige Beugung vor dem Schicksal oder, was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung“ - diesen fatalistischen Gedanken findet man in Tschaikowskis Notizheft. Er bezieht sich nicht nur auf die Andante-Ein leitung des ersten Satzes (Andante - Allegro con anima), er ist auch der musika lisch zu verstehende Leitgedanke der ganzen Sinfonie, denn sein charakteristisches Rhythmus-Motiv durchzieht alle Sätze des Werkes, verbindet sic mottohaft mit einander, flammt jäh auf als Mahnung und bleibt dabei in seiner Grundgcstalt unverändert, geradezu starr. Düster und drohend stimmen die Klarinetten in tiefer Lage dieses Motto an. Daraus erwächst der nachfolgende Allegrosatz. Er hält fest an der düsteren, konfliktgeladenen Stimmung. Besonders im leidenschaft lich erregten Durchführungsteil kommt cs zu dramatischen Zuspitzungen, ohne daß dabei eine grundsätzliche Entscheidung getroffen oder auch nur eingeleitet wird. Im Gegenteil: der Satz verlischt gleichsam im Nichts. In das schwärmerische Andante des zweiten Satzes mit seinem berühmten Hornthema bricht der Leit gedanke zweimal drohend herein, und selbst im Genrebild des eleganten Walzers (Allegro moderato) erscheint der „Schicksalsgedanke“ in der dunkel getönten kurzen Coda, die Welt aristokratischen Glanzes in ihrer Brüchigkeit entlarvcncL Das Finale (Andante maestoso - Allegro vivace) aber bringt die Wende. D;^ Leitthema verwandelt sich allmählich in einen sieghaften Hymnus. Russische Tanz rhythmen weisen dem Hörer den Weg: Lebenskraft, Mut und Bejahung des Le bens findet Tschaikowski in der Musik seines Volkes. Sein Bekenntnis, daß er „im besten Sinne des Wortes durch und durch Russe“ sei, findet hier künstlerische Bestätigung. In mächtiger Steigerung und unbeschreiblichem Jubel schließt die Sinfonie. Und dennoch: so geradlinig oder gar problemlos sind die Gedankenwege in die sem Werk nicht zu sehen. Wie kommt es, daß der Komponist nur kurze Zeit nach der Petersburger Uraufführung (5. November 1888) schreiben konnte: „Nach jeder Aufführung meiner neuen Sinfonie empfinde ich immer stärker, daß dieses Werk mir mißlungen ist. Die Sinfonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, überhaupt unsympathisch!“ Sind es Tschaikowskis ständige Selbstzweifel, ZUR EINFÜHRUNG drückt sich vielleicht darin auch das prinzipielle Unbehagen an der sinfonischen Idee aus, die nicht mehr das sein konnte, was ein Beethoven einst darunter ver stand? Dr. sc. Johannes Forner Peter Tschaikowski, Fotografie 1874 GEWANDHAUS-NACHRICHTEN Konzerte für Leipzig Nach der Aufführung der 8. Sinfonie von Anton Bruckner am letzten Montag durch das RIAS-Jugendorchester und Studenten der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ folgt bereits am 9. März das nächste ,Konzert für Leipzig“. Das Gewandhausorchester spielt unter der Leitung von Kurt Masur Michail Glinkas Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmilla“, die sinfonische Dichtung „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ von Richard Strauss und das berühmte b-Moll Klavierkonzert von Peter Tschaikowski. Als Solistin hat die russische Pianistin Tatjana Nikolajewa für dieses Konzert zugesagt, was den Reiz des Abends für viele Konzertfreunde noch vergrößern^ dürfte. Man darf sich auf diese neuerliche Begegnung mit der Künstlerin freuen, die ja als 1. Preisträgerin des ersten Bachwettbewerbes im Jahre 1950 in die Musik annalen der Stadt Leipzig eingegangen ist. Berühmte Gäste Die weltbekannte amerikanische Schauspielerin Jane Fonda weilte am 12. Februar zu einem Privatbesuch im Gewandhaus. „Ich wollte unbedingt Kurt Masur treffen und mit dem Maestro über das Geschehen der letzten Wochen in Ihrer Stadt spre chen“, sagte Jane Fonda in einem Gespräch. „Wissen Sie, die Welt spricht über Leipzig und über Kurt Masur ... Er hat mir und meiner Begleitung viel Zeit ge widmet und hat uns dieses ,unglaubliche“ Gewandhaus gezeigt. Ich hoffe bald wiederzukommen.“ Am Tag nach dem Besuch von Jane Fonda gastierte im Rahmen der „Internatio nalen Orchesterwochen“ die Tschechische Philharmonie unter der Leitung von Vaclav Neumann mit Gustav Mahlers 5. Sinfonie im Gewandhaus. Publikums reaktion und Kritik würdigten diese großartige Aufführung entsprechend. Auch Vaclav Neumann, der ja vor über 20 Jahren mit seinem spektakulären Rücktritt vom Amt des Gewandhauskapellmeisters eine politische Entscheidung getroffen hatte, äußerte sich zur Rolle Kurt Masurs im revolutionären Verände rungsprozeß in unserem Land: „Die Musik und die Musiker müssen sich in be-j stimmten Situationen auch politisch verhalten. So spielen die Künstler bei den' tiefgreifenden Veränderungen in unseren beiden Ländern eine wichtige Rolle. Daß wir in Prag nun mit Vaclav Havel einen Dichter als Präsident haben, ist ein be sonderer Glücksfall.“ Orchesterreisen In diesem Jahr stehen für das Gewandhausorchester bedeutende Gastspielreisen im Kalender. Während der Salzburger Osterfcstspiele dirigiert Kurt Masur Bachs „Matthäus- Passion“ und Beethovens „Fidelio“. Zwischen den Salzburger Konzerten reist man dann noch mit der „Matthäus-Passion“ nach Paris. Ebenfalls im April finden die beiden „Konzerte für Leipzig“ in Hannover und der Alten Oper in Frankfurt/M