Volltext Seite (XML)
SMopauer GonntasSvlatt Beilage -um ÄfGopauer Tageblatt «nv Anzeiger Nr 5 Sonnabend, den 4. Februar 1939 2. Fortsetzung. Sie hat Glück, veröde verläßt der letzte Besucher das Sprechzimmer. Ter Iustizrat ist ein hoher Sechziger, sehr gerade, sehr hochgewachscu, Gardcmaß. Im ersten Augenblick kommt sich Bobett ivie ein Schulmädel vor, dos vor ihrem Lehrer steht. Plötzlich erscheiut's ihr ver messen, io einfoch hierherzukommen und eine Erbschaft ciuzuforderu. „Tors ich bitten Platz zu nehmenI" Erschrocken fährt sie zusammen, nickt ein wenig ver legen und versink! in den weichen, tiefen Klubsessel. Ekelhaft, diese heimtückischen Dinger aus viel zu. weichen Kedern und kaltem Leder! Man sitzt beinahe ou der Erde. Der Iustizrat thront onf seinem hoben, harten Arbeitsstuhl ihr gegenüber wie der liebe Gott. „Sie also sind Kränlein Borbora Katharina Will brandt. geboren am 1. August 1009?" „Hier sind meine Answeispapicre, Herr Iustizrat!" Es geht alles sehr schnell, nnd der Iustizrat entpuppt sich dabei als ein sehr liebenswürdiger alter Herr, sehr höflich, sehr klug, kehr nett nnd . . das stellt sic mit heimlichem Bergnügen fest . . . ein ganz klein wenig verliebt in sie. So erledigen sie alles Sachliche schnell und ohne Zwischenfall. Babett bot zu verfügen über ein Grundstück tn Wernigerode mit anliegendem Garten und einer Wiese; dazu kommt eine Summe in barem Gelds. Alles in allem: Sie könnte die Hände tn den Schoß legen nnd von den Erträgnissen dieser Erbschaft bescheiden leben. Ein leises Gefühl der Beklemmung ergreift sie. als sie Überblickt, was ihr das Glück in den Schoß wirft. Wie kommt sie dazu? Mit welchem Recht kann sie von allen diesen Dingen Besitz nehmen? Hat sie gearbeitet dafür? Warum gerade sie, die doch aus eigener Kraft genug zn schaffen weiß, warum nicht irgendein armes Mädel, das täglich zehn Stunden Hinterm Ladentisch stehen muß? Es ist unbegreiflich, verwirrend und bedrückend. „Hot meine Tonte mir das alles ausdrücklich ver mocht?" Der Iustizrat sieht sie ein wenig belustigt an. „Rein . . .!" meint er dann langsam. „Ihre Kran Tonte . . ich Hobe sie gut und lange gekannt . . . hat kein Testament hinterlassen. Sie war eine alte Dame, die von allen Dingen gern sprach, nur von ihrem Tode nicht. Sie warf mich sanft, aber dringend hinaus, als ich bei meinem letzten Besuch ganz vorsichtig auf dos Testament zu sprechen kam. „Ich hoffe noch recht lange zu leben," sagte sie, „und was noch meinem Tode ge schieht, ist nicht mehr meine Sache, sondern die Ihre, lieber Kreund!" dos war vor gut drei Jahren!" Babett ist sehr nachdenklich geworden. Die zwei Jahre ihres Aufenthalts in Wernigerode stehen wieder vor ihr out. Es waren unbeschwerte und glückliche Tage gewesen, tn der bunten Stadt am Harz. Wie oft ist sie die steinerne Nenne htnousgestiegen, um Eckerloch und weiter zum Brocken, dem mächtigen Hüter der Waldberge! Wie frei und gelöst streifte der Blick in die Runde . . . über dos bunte Gewürscl der Horzvvrlandseldcr hin zu deu Tomtürmen Halberstadts, über die Hohen des Achtcrmanns und des Wurmbergs bis weit, weit tu die Ferne, wo Land und Himmel im Dunst ineinandergingcn! In jenen Tagen hat sie ihre ersten schüchternen Bcr- suche mit der Feder gewagt! „Herbsttage aus dem Wernigeröder Schloß" . . . „Gcmitternacht auf dem Brocken" . . . seltsam, sie bekam nichts zurückgeschickt, mau druckte und las ihre Aufsätze gern. So wurde aus dem zufälligen Mitarbeiter bald ein Ncdaktionsmit- glicd. Sie mgte der Tante und dem Harz Lebewohl, sie leriue das Leben der Zeituugsleute kennen . . . und lieben. Die Host, die unerbittlichen Nvtoiionsmaschiuen die ihr Futter auf die Miuute hoben wollen, die geballte Arbeitsleistung der Männer hinter den Schreibtischen und Fernsprechern, die in wenigen Stunden das an Krost frißt, Ivas andere in Togen ousgeben . . ach, dos olles hat sic geliebt. Und dann dos Angebot noch den Staaten! Das erste große Glück! Tie andere Well rnft sie, die Weite, die Ferne! Alle Kollegen beneideten sie, bestaunien sic, gaben ihr Ratschläge, und sic zog selig von dannen übers große Wasser und war erstaunt . . . daß dort auch nur Menschen lebten! Aber einen Borzug haben die vier Jahre drüben ge habt. Sie haben sie hort und zäh gemacht. Die Geftthls- seligkeit der Iungmädchcnjahre schwand schnell, Tat sachen, Logik, Ursachen und Wirkung, eiserner Fleiß, daS sind Generalnenner ihrer Erfolge geworden. Schwär- nierci und Traum, dos ist beiseite geschoben als Ballast, unnützer Ballast der alten Welt, der nur hindert, schwer fällig macht. ÜZd inzwischen starb hier tm Haus am Harz die Tante ^»ÄÄ^ulich still und einsam. Trauer überfällt Babett riwIc? etwas wie Beschämung. daß sie bte alte Krau , allein gelassen hat, die ihr die schwersten ^fohre leicht ge macht und nun noch noch ihrem Tode für sie sorgt. Ach, die Tante war wohl kaum besser als andere Tanten, sie hat das junge Mädchen Badelt, das nirgendwo htnge- höne, wohl in der Hauptsache zu sich genommen, um selbst in ihrer Abgeschiedenheit ein wenig Gesellschaft zu hoben ober dos schmälert nichls an ihren guten Taten. Babett Hot wenig Liebe im Leben erfahren, sie ist bescheiden geworden und dankbar für jeden Sonnen strahl. „Sie brauchen sich keinerlei Gewissensbisse zu machen, Fräulein Willbrandt" meint der Iustizrat nach einer Uingen Pause und tritt zu ihr hinüber. „Es ist wirklich niemand da als Sie. Also greifen Sie in Gottes Ramen zu! Es ist kein Nicsenbesitz, aber es gibt Ihrer Zukunft Festigkeit. Es kann Ihnen nichts geschehen, was auch kommen mag! Sie Haber. Ihre Heimat und . . ." dabei lächelt er schalkhaft hinter seiner großen Hornbrille . . . „vergessen Sie bitte nicht, daß Sie damit eine gute Partie geworden sind! O bitte das ist gar nicht so unwichtig, mein Fräulein!" Run mutz Babett lachen. Tu lieber Gott, da müßte erst einmal ein Mann da sein. Und ein Mann, der für sie bestimmt ist . . ach, den gibt'S nicht. „Das ist ganz . . unwichtig, Herr Instizrat," winkt ste fröhlich ab. „Einen Monn der weiß, daß ich eine gute Partie bin, werde ich nie heiraten!" „Richt so voreilig!" warnt der Iustizrat und droht lächelnd. „Nein — sage ich sehr selten, denn meistens setzt das Leben hinter oaS Nein der Menschen schon ein „Bielleicht" und sehr oft ein „Aber döchl" Ich habe schon sehr kluge Krauen ins Verderben laufen sehen. Glauben Sie einem alten Mann, der ein Leben lang Menschen schicksale tn seinen Händen gehabt hat! Dies Zimmer hat mehr gehört und gesehen, als tch in meinem Kopf behalten Hobe, und in jenen Akte» draußen schlummert die Geschichte vieler menschlicher Komödien, manchmal aber anch Tragödien. — Es ist kaum eine dabei, in der nicht die Liebe eine Rolle spielt, offen oder versteckt. Darum . . " . . sind Ihre Akten das kräftigste Warnungssignal vor dieser Himmclsmocht! Ich werde mich danach rich ten!" lacht Babett. So scheiden sie als gute Freunde. Iustizrat Södcrblvm bleibt auch weiterhin der Ver walter der Besitztümer, er erledigt alles Formelle für sie. Dazu hat ihn Babett ermächtigt In wenigen Tagen steht ihr alles znr Verfügung. Nun ist sie frei. Run kann sie au ihre Aufgabe gehen. „Hallo, Petermann! Hierher!" Fröhlich umspringt sie der braune Dackel. Spätnachmittagssonne umstrahlt Herrin nnd Hund, nnd aus beiden lacht die fröhliche Zuversicht der Jugend, die alles schon halb gewonnen hat, weil sie bedenkenlos wagt. * » * „Ottokar ...!?" „Hm?" „Sag mal, sind doS wirklich Schweineschnitzel?" Mit unbewegter Miene schiebt Peter seinen Teller zurück. „Seitdem du dich tu das Mädchen tn Bremerhaven vergafft hast, kann kein gesunder Mensch mehr genießen, was du zusammenkochst. Miserabler Smutje." Der Gefragte blickt bösartig auf. Er hat bisher welt verloren vor seinem Teller gesessen, an einem Stück gebratenen Fleisches geschnitten nnd gor nicht bemerkt, daß es sich trotz aller Bemühungen nicht schneiden läßt. Nun hält er ein mit seinem fruchtlosen Beginnen und blickt entgeistert den Freund an. „Was hast du gefragt?" Peter Vogel zuckt nicht mit der Wimper nnd steht über die Veranda in den Garten hinaus. „Oh . . . erlaube mir bloß die bescheidene Alnfrage, ob die Bezeichnung Schnitzel für das ... das hier richtig sei" „Ja zum Teufel, natürlich sind das Schweineschnitzel. Warum fragst du so hirnverbrannt?" „Oh . . war nur so eine Vermutung von mir. Sind meine Morschsiiesel eigentlich noch da?" „Was? Marschstiescl? Was hat denn das hier . . .?" „Entschuldige Habe natürlich nichts Böses gedacht, aber im ersten Augenblick war mir's doch, als ob das hier die Sohlen wären. Vielleicht aus Versehen in die das ist 'ne Beleidigung erster Klasse! Das Pfanne geraten. Ist ja schließlich nicht ausgeschlossen, nicht?" Ottokar fährt wie von der Spinne gebissen von feinem nimmst dn zurück oder .. „Oder?" „Dal" In kräftigem Schwung saust das eben besprochene Schnitzel oUrck die Luft. Nm ein schneller Sprung rettet Peter.' Wie ein StciU kracht das Fleisch gegen die höl zerne Veranda. Und nun beginnt eine wilde Jagd! Peter Vogel hüpft flüchtend durch den Garten, auf seinen langen Beinen wie ein rasender Vogel Strauß anzusehen, aber Ottokar hält sich wütend dran . . . oh, er ist zäh und flink.. . und richtig, da hat er den Kreund schon beim Kragen. Ein milder Rtugkamps beginnt, ununterbrochen von einem Hagel sachgerecht angesetzter Boxhiebe. So ist die schönste Prügelei im Gange, als draußen ein Auto hupt. Kurz und energisch, einlaß- bcgehrend. Peter hält zuerst inne. „Stopp . Moment mal, mein Junge! Da blökt ein Auto." „Vor unserer Lür?" „Ra wo denn sonst! Lang mal meine Jacke her. Will doch mal sehen, wer das ist. Inngc, mir schwant etwas." Ottokar sicht seinen Freund betroffen an. Alle Kampffreude, aller kindhafte Ucbermut ist ver flogen. Run sieht man es doch, daß sie keine übermütigen Buben, sondern Männer sind. Langsam geht Peter voran zur Pforte aus geschmiedeten Eisen, die das Grundstück von der Straße absperrt. Da steht doch schon jemand an der Tür! Peter! Eine Dame, Mensch, ich hau ab! Ich hab' kein Hemd au!" Schleunigst verdrückt sich Ottokar nach hinten. Peter denkt: Sollte sie ... Da bellt draußen ein Hund, und nun weiß er Bescheid. Sie ist's. Na, dann also loS. „Hallo! .. bitte ein wenig schneller! Ich steh hier schon eine Ewigkeit!" Babett ist ungeduldig, ste wartet nicht gern, Peter mann auch nicht. Der Hurry ist gelaufen wie der Wind, nun erscheint ihr alles zu langsam. Dieser Mensch, wahrscheinlich der Hausmann, hat eine unglaublich auf reizende Art, gleichgültig und langsam einherzu schleichen. „Bitte ... zu wem wünschen Ste?" „Ich heiße Babett Willbrandt und möchte mein HauS besichtigen!" „Aha! Ra, ich hab's geahnt. Also Sie sind das. Hm, schließlich mußten Sic ja doch irgendwann einmal kom men. Na, dann hilft das nichts, dann werd' ich mal aufschließcn." Babett ist einen Augenblick sassungslos. Hat dieser Mensch alle seine Sinne beisammen? Weiß er nicht, daß sic die Eigentümerin ist? Sie sieht ihn scharf durch das Eisengitter an, wahrend er sich umständlich ans Auf schließen begibt. lind seltsam, im Augenblick weiß sie, daß sie dieses. Gesicht schon irgendwo, irgendwann einmal gesehen hat, Diese hohe, ernsthafte Stirn, das zurückgelegte Haar, der scharfe, bestimmte Schnitt des Gesichts — und jetzt, da er ie beim Oesfnen ansteht — jetzt kommt ihr auch der spö 'isch-schalkhafte Blick wieder ins Bewußtsein. Wenn sic f. h nur erinnern könnte, wo sie diesem Manu schon einmal begegnet ist?! Aber es fällt ihr nicht ein, und ärgerlich schilt sie sich, gerade jetzt daran denken zn müssen. Nun, auf alle Fälle, diesem reichlich anmaßenden jungen Mann wird sie zeigen, wer hier zu befehlen hat. „Was tun Sie eigentlich hier im Hause?" Das klingt sehr knapp, ganz Dame, ganz Herrin. Ohol denkt Peter nnd zieht die rechte Augenbraue hoch. Das tut er immer, wenn er sich wundert. DaS appetitliche Persönliche hält mich für den Hauswartl Auch gut! Lassen wir ihr noch ein Weilchen daS Ver gnügen! „Ich? . . Ich schließe hier eben mal aus, ivie Sitz seheu. Muß ja auch sein, nicht?" Das klingt jo gleichgültig, jo nebcnbeigcjagt, als wenn er dem Nachbarn bestätigt, daß das Wetter Henie schön sei Babeti steigt es heiß aus. Dieser unverschämte große Lümmel ist der erste, de« hinansfliegt! nimmt sic sich vor. „Höflichkeit ist wohl nicht Ihre Stärke, junger; Mann?" Er geht gelaßen neben ihr her. „Oh . . wenn man mich höflich anrcdet, gebe tch eigentlich recht manierliche Antworten!" Babett weiß nichts zn erwidern, Die Antwort sitzt. Man kann nichts dagegen sagen. Sie Hai den kürzeren gezogen. In ihre Wut mischt sich elu leises Erstaunen. De« junge Mann scheint doch nicht so ganz harmlos zu jein, wie sic zuerst auuahm. Eiu schneller Seitenblick ver, rät ihr, daß er sie mit einem ganz feinen Lächeln be trachtet, so, als sage ein großer, gutmütiger Imme spöttisch zu einem garstigen kleinen Mädchen: „Ach dn lüttjen kleinen Wiesenpteper!" Sie kann sich nicht helfen, ste kann ihm nicht ernsthaft böse fein. Ein Flegel... aber nicht unsympathisch. „Zeiaen Sie «fr DaS SauS!" und nach elmr Weil«