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ungeheure Spannung der Einleitung und ihrer Wiederkehr zwischen Exposition und Reprise — eine Durchführung gibt es nicht —, die ins Riesenhafte aufgerichtete Thematik, die ge ballte Wucht der Unisoni, die unerbittliche Schärfe der Gegensätze, die freie rezitativi- sche Behandlung des zweiten Themas, die ko lossale Coda-Stretta, der heroisch befreiende Schluß — alles Züge, die wir so gern Beetho vens Personalstil zuzuschreiben pflegen — fin den sich hier zu imponierender künstlerischer Geschlossenheit vereinigt und üben eine tiefe Wirkung aus. Das triumphale Strettamotiv hat Beethoven sogar wörtlich an gleicher Stelle in den „Leonore"-Ouvertüren Nr. 2 und 3 über nommen. Die mächtige gedrungene Instrumen tation, die vor allerheftigster Klangentfaltung nicht zurückweicht (vier Posaunen!) muß in Beethoven ebenfalls einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen haben. Noch in der „Eroica" hat er Posaunen nicht zu verwenden gewagt. Im Finale der „Fünften" finden wir sie — zum ersten Mal in der deutschen Sinfonie — eingeführt. Charles-Simon Catel, 1773 in Laigle geboren und 1830 in Paris verstorben, kam jung nach Paris, wo u. a. Gossec sein Lehrer wurde. 1795 wurde er Professor für Harmonielehre am Con- servatoire und mit der Ausarbeitung eines Lehrbuches „Traite d’harmonie" beauftragt, das 1802 erschien. 1810 wurde er neben Gos sec, Mehul und Cherubini Inspektor des Con- servatoire, trat aber 1814 zurück. Er kompo nierte mehrere Opern, einige Kammermusik werke sowie heroische Hymnen und Märsche für die Revolutionsfeste. Mit der Aufführung der Semiramis-Ouvertüre von Catel, die ne ben anderen Meisterwerken der französischen Revolutionsmusik 1970 von der Dresdner Phil harmonie unter Kurt Masur für die Schallplatte eingespielt wurde, gedenken wir des 200. Jah restages der Französischen Revolution, die mit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 begann. Im Jahre 1839 schrieb RobertSchumann seiner Braut Clara Wieck über die geplante Komposition eines Klavierkonzertes, das er ihr zugedacht hatte: „Es wird ein Mittelding zwi schen Sinfonie, Konzert und großer Sonate; ich muß auf etwas anderes sinnen." Das Kla vierkonzert a-Moll o p. 5 4 ent stammt den Jahren 1841 und 1845. Nachdem der Komponist 1841 in Leipzig den ersten Satz des Konzertes als selbständige „Konzertphan tasie für Klavier und Orchester“ vollendet hatte, entstanden erst vier Jahre später die beiden anderen Sätze des Werkes, und zwar in Dresden, wo die Schumanns von 1844 bis 1850 lebten. Im Mai und im Juli des Jahres 1845 wurden der zweite und der dritte Satz komponiert. Die Uraufführung des Konzertes fand am 4. Dezember 1845 mit Clara Schu mann als Solistin statt. Dirigent war Ferdi nand Hiller, Widmungsträger des Werkes, Di rigent der „Liedertafel" und Begründer eines „Konzertinstitutes in Dresden", zu dem er mehrere Orchester (Stadtmusikkorps, aus dem später die Philharmonie hervorwuchs, Koo^ munalgardenkorps und freie Musiker) einem großen Klangkörper vereinigt hatte. Trotz bedeutender Solisten, wie eben Clara Schumann, Joseph Joachim u. a., ging das Unternehmen jedoch nach zwei Konzert wintern, 1847, wieder ein. Schumanns Kla vierkonzert wurde kurz nach der Dresdner Premiere auch im Leipziger Gewandhaus, hier unter der Leitung Felix Mendelssohn Barthol dys aufgeführt. Der große Erfolg, den das Werk von Anfang an hatte, ist ihm stets treu geblieben. Tat sächlich stellt das a-Moll-Klavierkonzert — Schumanns einziges großes Konzert für dieses Instrument — nicht nur eines der genialsten und auch der bekanntesten Werke des Mei sters dar, sondern gehört zu den schönsten und bedeutendsten Schöpfungen der Gattung überhaupt. Das Klavier steht bei Schumann, dem Klavierkomponisten von stärkster Eigen art, mit neuen, kühnen Klangkombinationen und Wendungen zwar unbedingt im Mittel punkt des Geschehens, ist dabei aber ganz in den Dienst der Kompositionsidee gestellt und verzichtet — trotz schwierigster Aufgaben für den Solisten — vollkommen auf jede ßerliche Virtuosität und leere technische lanz. Gleichzeitig jedoch gelingt Schumann rn seinem Klavierkonzert — im Gegensatz zu Chopin, dem einzigen Meister der Zeit, der ihm in der Gestaltung des Klavierparts sei ner beiden Konzerte kongenial ist — auch ei ne großartige Verschmelzung von Klavier- und Orchesterklang, die Schaffung einer Einheit zwischen solistischem und sinfonischem Ele ment. „Tenor des Werkes ist die Sehnsucht und das Glück zweier liebender Menschen, von Schu mann selbst in seinem Kampf um Clara er lebt und nun, künstlerisch umgesetzt, allge mein gültig gestaltet. Das den ersten Satz bestimmende Hauptthema prägt in abgewan delter Form auch die Themen der übrigen Sätze. Es ist der Melodie der Florestan-Arie aus Beethovens .Fidelio' (Beginn des 2. Ak tes) eng verwandt und verdeutlicht dadurch noch mehr, wie die diese Oper beherrschen den Themen der Gattentreue und des Frei heitskampfes — für Schumann der Kampf ge gen alles Philisterhafte, wie er sich im Pro gramm seiner Davidsbündler manifestierte — auch sein entschiedenes Anliegen waren" (R. Bormann). Drängende Leidenschaft und Sehnsucht be stimmen den Charakter des ersten Satzes (Al legro affettuoso). Nach einer kraftvoll-ener- |Kchen Einleitung durch das Klavier ertönt Alterst in den Bläsern, dann vom Solisten wie derholt, das schwärmerische Hauptthema, das in seinen Motiven als Leitgedanke des Wer kes in allen Sätzen wiederkehrt. Darauf ent wickeln sich in reizvollem Wechsel zwischen Orchester und Solisten nacheinander eine Reihe der verschiedenartigsten Bilder und Stimmungen, wobei das Hauptthema mit sei nen einzelnen Teilen, dem hier kein eigent liches zweites Thema entgegengestellt wird, in wechselnder Beleuchtung, der Phantasie breitesten Spielraum gebend, den Verlauf des Satzes beherrscht. Die Reprise hat ihren Ab schluß und Höhepunkt in der breit angeleg ten, verinnerlichten Kadenz des Soloinstru mentes. Kraftvoll vorwärtsstürmend wird der Satz danach abgeschlossen. Völlig entgegengesetzt erscheint der kurze zweite Satz (Intermezzo — Andantino graziö se), der durch die überaus poetische, graziöse Wiedergabe ruhiger, gelöster Empfindungen gekennzeichnet wird. In feinem Dialogisieren zwischen Klavier und Orchester über ein The ma, das dem Hauptthema des ersten Satzes entstammt, entfaltet sich ein anmutiges, sub- s Spiel. Der kantable Mittelteil des Inter- zzos bringt ein ausdrucks- und gefühlvol les Thema, das zuerst von den Celli vorge tragen wird, während sich das Klavier in zar ten Arabesken ergeht. Auch das schwungvol le, frische Hauptthema des Schlußrondos (Al legro vivace) wurde aus dem Hauptthema des ersten Satzes gewonnen, und zwar dies mal durch eine rhythmische Verschiebung. Das sprühende, fast tänzerisch anmutende Finale nimmt einen leidenschaftlich bewegten, farbi gen Verlauf und endet auch nach einer im wesentlichen vom Soloinstrument getragenen Schlußsteigerung in lebensbejahender, freu dig-weltzugewandter Haltung. Richard Strauss mied in seiner frühen Schaffensperiode zunächst die Opernkom position, mit der er sich später Weltgeltung verschaffte, und widmete sich mit großer Hin gabe — in der Nachfolge Franz Liszts, doch in kurzer Zeit über diesen hinauswachsend — der sinfonischen Dichtung, wofür er bald einen Orchesterappparat forderte, der das Wagner- sche Instrumentarium weit übertraf. Strauss’ sinfonischen Dichtungen liegen stets kon krete Programme zugrunde: „Aus Italien", „Don Juan", „Macbeth", „Tod und Verklä rung“, „Till Eulenspiegel", „Also sprach Za rathustra", „Don Quixote“, „Ein Heldenle ben“, „Sinfonia domestica“, „Eine Alpen sinfonie". Innerhalb dieser an sich höchst un gleichwertigen Werkreihe gehörte die Ton dichtung „Ein Heldenleben“ op. 40, 1898 abgeschlossen und im folgenden Jahre unter der Leitung des Komponisten in Frank- furt/Main uraufgeführt, eigentlich nie zu den populärsten Werken. Diese großangelegte, sechsteilige sinfonische Dichtung, die eine tönende Auseinanderset zung des Menschen und Künstlers Richard Strauss mit dem Leben, mit seiner Umwelt zum Inhalt hat, gleichsam ein von stärkstem Selbstbewußtsein zeugendes Selbstbildnis in Tönen darstellt, gab durch ihr Programm, durch dessen Gestaltung (und durch den in der Tat in diesem Zusammenhang etwas un glücklich gewählten Titel) mancherlei Anlaß zu Mißverständnissen und Angriffen. Heute erscheint uns die Neigung zum überlauten. Pathetischen, zur Übersteigerung, die aus dieser Partitur spricht, als besonders bezeich nend für die Zeit ihrer Entstehung, können wir das Werk vor allem als ein ungemein charakteristisches Zeitdokument der Jahrhun dertwende und ihrer Kunstideale betrachten, wenngleich das subjektiv-gesteigerte Selbst gefühl des „Heldenleben" natürlich auch auf schlußreich für gewisse Seiten der Persönlich keit des Komponisten selbst, für sein kraftvoll stolzes, temperamentvolles und sich seines Wertes wohl bewußtes Künstlertum ist. „Sein künstlerisches Wollen suchte nach der strahlenden, pompösen Klangkulisse einer tatenübermütigen Epoche, in deren Mittel punkt er den schaffenden Künstler, verkörpert durch sein eigenes Ich, rückte“ (Ernst Krause), übrigens distanzierte sich Strauss später selbst durchaus etwas von dieser Komposition („Ich mag’s gar nicht so besonders", äußerte er einmal), wie er auch die Überschriften der einzelnen Sätze nachträglich aus der Partitur