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l« 0-r. .Srwtß, Herr Thurandt, war»« nicht«' Hein« k»nt da« «la« auf eine» Zug leer und stellte «S mit eine« Seufzer der Erleichterung zurück. »Wie geht's unserm Fräulein? Sie sah gar nicht gut auö vorhin!" fragte der Alte besorgt. »ES geht ihr nicht gut, fürchte ich!' Heino hatte sein Gleichgewicht wiedergefunden. »Besorgen Sie uns nachher doch bitte eine Taxe! Daß Sie hier keinen eigenen Wagen habe», das verstehe ich nicht!" „Der Herr Professor wollte ja von den Dingern nichts wissen! Aber vielleicht schasst Fräulein Etta einen an, wenn Sie ihr gut zureden!" Er zwinkerte Heino schmun zelnd zu und schlurfte hinaus. Reiser war noch einmal in den .Adler" zurück- gegangcn, um seinen vergessenen Stock zu holen. Auf seinem Weg durch das Lokel sah er am Büfett einen Mann stehen, den man für einen „Ritter von der trau- rigen Gestalt" als Modell hätte benutzen können. Der Anwalt stockte plötzlich; den Mann kannte er doch, auch wenn er sein Gesicht nicht erkennen konnte! Er muhte ihn gesehen haben, und zwar erst kürzlich. Schnell trat er gleichfalls an die Theke; er ließ sich einen Likör geben und versuchte, dem andern ins Gesicht zu sehen. Richtig, das war doch der Zeuge Fabeck, der heute vormittag ganz nebenbei so verdrehte Sachen vor- gcbracht hatte! Allerdings hatte er sich sehr verändert seitdem; sein vorher graublafscs Gesicht war glühend rot, die vorhin niedergeschlagenen Augen irrten funkelnd im Raum umher, und sein heute morgen glatt gebürstetes spärliches Haar strnd jetzt als wilder Schopf in die Höhe. „Morgen können wir's nicht mehr, darum laßt uns heute leben!" sagte er mühsam mit schwerer Zunge. „Noch ein Glas Nordhäuser, bitte!" „Holla, Herr Fabcck!" Der Anwalt schlug dem Be nommenen auf die Schulter; der starrte ihn erschrocken an. „Kommen Sie nicht mit in die Verhandlung? Es wird allmählich Zeit!" Aber Fabeck schüttelte energisch den Kopf; zugleich hob er sein Glas. „Prost, Doktor, Sie sind mir sympathisch! Sie werden den Heßdorf schon freikriegen! Aber mitkommen tu ich darum doch nicht!" - „Sic werden schon kommen müssen, Herr Fabeck, da Sic ja Zeuge sind", sagte der Anwalt belustigt. »Ist mir ganz egal", stammelte Fabeck, »sie kommt ja auch nicht, und nach ihr muß ich mich ja richten! Sie bestimmt, und ich gehorche!" „Fräulein Doktor Gcrbrandt meinen Sie? Die kommt bestimmt, verlassen Sie sich drauf." Fabcck schüttelte aufs neue den Kopf, die Bewegung schien ihm Spaß zu machen, denn er hörte gar nicht mehr auf, ihn zu schütteln. „Sie wird sich hüten, Doktor! Und wissen Sic, warum?" Er näherte seinen Mund dem Gesicht des Anwalts; ein scharfer Alkoholdunst schlug dem ent gegen, so daß er unwillkürlich zurückwich. „Weil sie sonst ins Zuchthaus kommt!" raunte er vernehmlich. „Und ich ebenfalls! Aber mich werden sie nicht kriegen, ich rücke schon rechtzeitig aus. Und dabei brauche ich gar nicht mal über die Grenze, hahaha!" Der Anwalt sah sich erschrocken um; diese Reden... hoffentlich hatte sie niemand gehört! Rasch rief er dem Kellner zu, daß er für die Zeche des Herrn Fabcck auf- komme, dann faßte er den Betrunkenen energisch unter den Arm, führte ihn hinaus und verstaute ihn in seinem Wagen. „Wo wohnen Sie, Herr Fabeck, ich werde Sie nach Hause bringen." Fabeck starrte den Anwalt einen Augenblick verständ nislos an, dann brach er -in ein glucksendes Gelächter aus. „In der Stromstraße wohne ich, Doktor, Strom- strahe! Hübsch nah' am Wasser! Ich hab' es gar nicht k>ett... gar »ich« wett über die Grenze, hähal Warn« soll man nicht auch mal Wasser saufen?" Reiser erkannte, do' c: ven Mann in diesem Zustand nicht sich selbst Überla,,.u konnte. Er fuhr also zu seiner eigenen Wohnung am Kröppelstor; hier brachte er den Schwankenden mit vieler Mühe die Treppe hinauf und rief nach seiner Wirtin. Die verwitwete Frau Postsekretür Holtznagel hielt es zwar für eine starte Zumutung, paß sie helfen sollte, einen Betrunkenen zu Bett zu bringen — so etwas war bei ihrem seligen Mann niemals vor gekommen, Gott sei Dank! —, aber schließlich siegte doch ihr mütterliches Gefühl, als sie den Mann, der aufgehört hatte zu lärmen, so schwach und apathisch daliegen sah! Endlich lag er im Bett, er stöhnte, murmelte noch ein paar unverständliche Worte, plötzlich verkündete ein lautes Schnarchen, daß er eingeschlafen war. „Das schöne Bett!" meinte Frau Holtznagel be- dauernd. „Heute frisch bezogen! Und wo wollen Sie denn schlafen, Herr Doktor?" „Ich werde schon auf dem Sofa ein Plätzchen finden, das ist halb so wichtig! Aber jetzt kochen Sie mir bitte rasch einen starken Kaffee, ich muß nachher gleich aufs Gericht!" Frau Holtznagel schlurfte hinaus; der Anwalt zog seinen Nock aus, ging in sein Sprechzimmer hinüber und streckte sich hier auf dem Sofa aus. Da schien ja irgend eine Schweinerei passiert zu sein mit der Gerbrandtl Etwas Wahres mußte schon an den wirren Reden sein, die der Mann geführt hatte. Jedenfalls, was auch vor gefallen sein mochte: dieser haltlose Mensch tonnte immer nur das Werkzeug der energiegeladenen Gerbrandt ge wesen sein! Er würde sich seiner annehmen, er würde ihn schon herauspauken, soweit es möglich war — auch wenn kaum anzunchmen war, daß dieser Ritter von der traurigen Gestalt ihm ein annehmbares Honorar würde zahlen können. Frau Holtznagel erschien mit dem duftenden Kaffee. „Sie gehen fort, Herr Doktor? Und mich wollen Sie mit dem Menschen da allein lassen?" „Das will ich allerdings, werte Frau, und ich möchte Ihnen sogar noch ganz besonders ans Herz legen, gut ans ihn aufzupasscn! Sobald er aufwacht, kümmern Sie sich um ihn, bringen Sie ihm auch eine Tasse von diesem ausgezeichneten Kaffee" — Frau Holtznagel lächelte ge schmeichelt —, „vor allem geben Sie acht, daß er nicht etwa fortgeht!" „Ich werde ihm seine Hosen wegnehmen!" erklärte Frau Holtznagel, „das habe ich bei meinem Seligen auch immer gemacht, wenn ich nicht wollte, daß er abends noch mal ausging!' „Ausgezeichnet, Frau Holtznagel! Dieses Mittel sollten Sie sich patentieren lassen! Also auf Wiedersehn!' Doktor Reiser sah auf der Straße mit Schrecken, daß die Normaluhr an der Ecke schon auf dreiviertel vier Uhr siand. Da hatte er sich mit diesem Menschen solange auf- gehalten, daß er tatsächlich seinen Mandanten vor der Verhandlung nicht mehr aufsuchen konnte. Zu dumm! Hoffentlich hatte der Heino wenigstens Erfolg gehabt, so daß das Fräulein Tomary nicht erschien! Zwar würde sie aus den Zeitungsberichten doch alles erfahren, aber die Hauptsache war, daß Heßdorf sie jetzt nicht auf der Zeugenbank sitzen sah. Er mußte den Freispruch für den Arzt bekommen; das wäre doch lächerlich, wenn es ihm nicht gelingen sollte! Es schlug gerade vier Uhr, als sein Wagen vor dem Gerichtsgebäude hielt. In höchster Eile lief Reiser in das Anwaltszimmer und zog seine Robe an. Er kam eben recht, als Doktor Lademann die Verhandlung neu eröffnete. .Hastig begrüßte er seinen Mandanten und setzte sich auf seinen Platz. Heßdorf hatte kaum einen Blick für ihn; sein Auge hing wie gebannt an der Zeugenbank. Reiser folgte der Richtung seines Blickes und zuckte zusammen. Natürlich! ZchnMaz Sieh, wie sich dir Nächt« hell«» Und die Sonne höher Keigtl Alles Eis springt von den Qurtteu, Weil das Licht sich näher neigt. Und die Gottheit schaut hernieder Mit des Himmels Sternenchor Auf da« Erdenrund, das wieder Eine Dunkelheit verlor. Küche Kamossa. da saß Fräulein Elka Tomary! Allerdings hatte sie den Schleier vor dem Gesicht, aber es war offensichtlich, daß Heßdorf sie anstarrte. Und neben ihr saß Heino Thurandt so selbstverständlich, als wäre überhaupt nichts anderes möglich, als daß sie hier war! Nun war die Situation völlig verfahren, man würde sicher wieder nicht weite» konlmen. Die Tribüne war heute nachmittag viel weniger stark besetzt als sonst. Anscheinend hatte das herrliche Wetter doch mehr gelockt, als diese Verhandlung, von der man im Augenblick doch keine sensationelle Wendung er wartete. Die Arztdamcn waren nicht erschienen; nur die Unentwegten aus dem Arbeiterviertel füllten oben die vorderen Bänke. „Wir fahren in der Beweisaufnahme fort", ließ sich Doktor Lademanns sonore Stimme vernehmen; er schien sehr abgespannt, und seine Augen hinter der großen Hornbrille zwinkerten fortwährend. „Der Zeuge Grothus, bitte!" Der Gutsbesitzer erschien mit dröhnendem Schritt und stellte sich selbstbewußt vor dem Richtertisch auf. Un gezwungen nickte er zu Heßdorf hinüber; man merkte ihm deutlich an, daß er ihm am liebsten ein kräftiges Begrüßungswort zugerufen hätte, aber er unterdrückte es noch rechtzeitig. Den Eid sprach er mit schallender Stimme und ohne Stocken; er machte entschieden einen guten Eindruck. Seinen Bericht über die Mission, die er im Jahre 1930 für Heßdorf übernommen hatte, gestaltete er womöglich noch anschaulicher und drastischer als während des Mittagessens; die Gestalt des Professors als die eines weltfremden wunderlichen Egoisten war wohl noch nie vorher mit solcher Deutlichkeit geschildert worden wie von diesem Zeugen. „Hatten Sie den Eindruck, daß zwischen Tomary und Heßdorf eine Feindschaft bestand?" fragte Staatsanwalt Freund. „Eigentlich nicht!" erklärte GrothuS. „Ich war oft mit Heßdorf damals zusammen, aber er hat überhaupt niemals über den Professor gesprochen, außer eben im Zusammenhang mit dem Vertrag. Und da hatte an scheinend seine Mutter die Sache aufs Tapet gebracht. Aber auch da hat er sich nicht abfällig über Tomary ge äußert." (Fortsetzung folgt). Mel«e Ausschalt-Rütsel. rLasgenwald <3) FürwIH <3s Knochen (4) Böhmen (2) Diele lA Sense lA Umwelt (4) Mäuse (8) Herder lV Lerch« (S) Erfindung <S) Reißleine (4 Denkaufgabe (8) Vers (8) Mußtest (S) Abschluß (6) Von den hier genannten Wörtern sind so viele Buch taben zu entnehmen wie in den Klammern angegeben ind, um einen Zweizeiler von Otto Prvmber Herzu tellen. (h ist gleich «in Buchstabe!) WWW Ter WM -es Lucas Wendelin Einc Ncujahrsgcschichle von Tony I. Schweig. Nicht nur ein Schöberlein war er, der Lucas Wendclin, ein sorgsam notierendes und mit flotten Schnörkeln begabtes Schrcibcrleiu, geübt in allen Graden der Verbeugung und un fehlbar im eiligen Summieren, o nein, er war mehr, als der Magistrat und der Sold ihm abverlangtcn, er hatte, in einem Schränkchen zu Haus, einen hohen Stoß Notenblätter, vom Bauernwalzcr bis zum Grabchoral, und im samtenen Futteral lag eine blanke Trompete, und fein Weib Sophie verwaltete mit Sorgfalt einen weichen Lappen, damit der Hochglanz golden auf- blitzie, so Herr Wendelin, nach dem Dienst, sie ansetzle an seinen Mund. Wie weit Wendelin sein Instrument beherrschte und die Kunst verstand, die Tonreihcn in freundlich klarem Fluß in den Feierabend seiner und seines Weibes Seele zu leiten, das steht hier nicht mr Rede, wenn auch belegt ist, Laß er, so es das Wetter erlaubte, das Erkerfenster offnen ließ, als hätten noch andere als er und sein Weib Anspruch auf musische Erbauung, und daß darob kein Bürger des Städtchens je Klage anbrachte. Im Gegenteil stand er, eben dank seiner lauten Kunst, in hohem Ansehen bei allen, die um seine Liebhaberei wußten. Mit einem Male aber, noch vor dem WeihnachlSfest des Jahres 1763, blieb die Abendmusik ans, die bisher im Hause Wendelins so pünktlich geboten worden war, und kurz darauf erhielt der Nat des Städtchens einen Brief aus Breslau, worin der Amtmann die Anweisung gab, dem Weibe eines gewissen Lucas Wendelin, des Magistratsschreibers des dortigen Rates, alle ärztliche Hilfe zuteil werden zu lassen, deren sie, nach vor liegendem Bericht, Wohl dringend bedürfe. Weiter wurde der Behörde zur Pflicht gemacht, den offenen oder geheimen An schuldigungen entgegenzutreten, die im Umlauf waren über die Zucht des prcußifchen Militärs, und zwar mit dem Ziele, daß der Frevel des Grenadiers RolganS, über den man bereits zu Gericht sitze, niemals dem gesamten Heere ongeheftet werden dürfe, das in Zucht und Treue diene und jedes Vergehen, io einer aus seinen Reihen sich zuschulden kommen lasse, streng ahnde. Der Vorfall aber, der diesem Erlaß zugrunde lag, hatte sich In der Stube des Schreibers Wendelin zugetragen. Die Füße in tvollene Decken gehüllt, saß Frau Sophie, zu später Nach- mittagSstunde, am Fenster, um das letzte Licht des TageS zu nützen, und strickte emsig an einem Kinderhäubchen, als etn Uniformierter cintrat und den Natsschreiber zu sprechen ver- langte in Quartierangelegenheilen. Frau Sophie konnte nur bedauern, sie selbst erwarte ihn seit einer halben Stunde, sagte sie, und die Abendsuppe fange schon an, dick zu werden. Der Grenadier bat, der Dringlichkeit wegen, Herrn Wendelin hier erwarten zu dürfen. Das Weib gestaltete ihm solches, bot ihm den Sessel an und ging, da es ihr unschicklich schien, in dämmri ger Stube mit einem fremden Soldaten zu sitzen, nach der Küche, um die Lampe herzurichten. Als sie wieder einlrat, stand der Soldat am Fenster und hielt das unfertige Häubchen, und als die Frau, nichts Arges ahnend, darüber lächelte, stand er plötz lich dicht hinter ihr, nahm ihr, wobei er üoer ihre Hand griff, die Lampe ab und stellte sie auf den Tisch. Sie entzog sich, mit jähem Widerwillen, seiner Nähe, sie roch, daß er getrunken halte, aber sie schwieg, machte sich am Ofen zu schaffen und wünschte nichts sehnlicher, als daß ihr Mann heimlommen möchte. Auch der Grenadier schwieg, aber er schritt mit schnaufen dem Atem durch die Stube, als sänne er aus einen neuen An griff, und plötzlich fiel ihm di« Trompete auf. Er hob sie aus den» Futteral, aber ohne Andacht, eher mit verächtlicher Ge bärde, und als Frau Sophie, um das Instrument oejorgt, ihm unmißverständlich klar machte, daß die Trompete in keine andere Hand als in die ihres Gemahls gehöre, da lachte er aus seiner Trunkenheit heraus, prieS sich als den besten Trompeter des Regiments, der sogar bei Lemhen geblasen und sich damit wohl das Recht erworben habe, leinen Mund dahin zu sehen, worauf ihn ein armseliges Schreiverlein drücken dürfe. Es gab einen grellen Ton, aber da entriß ihm schon Frau Sophie die Trom pete und hielt sie schützend hinter ihren Rücken. Doch lag sie nun in der Fessel seiner Arme und mußte hören, daß es ihm gar recht sei, wenn ihm nun statt eines metallenen Mundstücks ein lebendiger Mund geboten würde. Sie schlug ihm mit der Trompete quer übers Gesicht und flüchtete, da er sie not gedrungen sreiließ, durch die Tür, der Grenadier hinterher, aber auf der Stiege, die steil hinunterführte anS Haustor, verfehlt« sie eine Stufe und stürzte und schlug auf. So fand Lucas Wendelin sein Weib, ohnmächtig lag sie. aber die Trompete hielt sie noch im Arm. Der Stadtmedicu«, den Wendelin herbeiholen ließ, konnte nicht- Bestimmtes auS» iagcn über Art und Grad der Verletzung, nur soviel wußte er. daß das Kind, dem sie entgegengehofft halten, nun nimmer z» erwarten wäre. DaS war geschehen, als die letzten Reste der Besatzung, di» noch in dem schlesischen Städtchen gelegen, sich zuruckzogen r» ihre Garnisonen und die Bürger sich anschickten, di« erste Weih ¬ nacht des Friedens nach "einem siebenjährigen Kriege festlich zu begehen. Im Hause Wendelin war viel, Leid in diesen Feiertagen, die Krank« klagte über Schmerzen,'wenn sie be, Sinnen war, und wenn sie fieberte, unterhielt sie sich mit dem Tode, als säße er an ihrem Bette. Wendelin, auf so grausame Weise aus dem Gleichmaß seines Lebens geworfen, wußte weder seinem Weibe noch sich selbst einen Trost, und hockte, hilflos wie ein Kind, am Fenster, hinter dem die stillen Flocken vom Himmel unermüdlich niederglitten. Die Trompete lag all die Zeit über im Futteral. Wenn sie ihm früher als ein kostbares Werkzeug gegolten hatte, um die Seele zu Feier und Tröstung zu führen, so fluchte er nun ihrer als eines blechernen Gerätes, an dem ihm Glück und Hoffnung zuschanden geworden waren, und als man, am letzten Tage des Jahres, bei ihm anfragte, ob er, wie all die Jahre bisher, wohl noch bereit und imstande wäre, einen Choral zu blasen vom Turm der Kirche, so das alte Jahr hinüberwechsle ins neue, da schüttelte er, der sonst so ergebene Schreiber Wendelin, energisch den Kopf, und das sollte heißen, niemand könne ihm zumuten, daß er jemals wieder ein Lied blase auf dem geschändeten Instrument. „Nein", sagte er. Aber als er über Mittag heimkam, da trug Sophie ein Lächeln im Gesicht, das erste Lächeln seit jenem schlimmen Tage, und sie fuhr mit dem Lappen über die Trompete, die, mit trahlendem Glanze, auf der Bettdecke lag, und da er, noch chwankend zwischen Schreck und Glück, nicht wußte, sollte er >ie Trompete wegstoßcn oder nicht, da smste sie ihm, daß die Frau Nachbarin thr, auf ausdrücklichem Wunsch, das Instru ment herüberaereicht habe. Es sei ja keine Anstrengung, daS Metall zu polieren, und alle Schmach, die ihm angehaftet, sei nun davon abgewischt. „Morgen treten wir in ein neues Jahr", sagte sie, „und du wirst blasen vom Turm, und Gott wird dir zuhörcn, und...", sie sah ihm leuchtenden Blickes in die Augen, „und so alt sind wir noch nicht, als daß wir nimmer hoffen dürften auf em Kind." So kam es, daß der Schreiber Wendelin, mit steifen Hän den, doch noch am Turmfenster daraus wartet«, daß das alte Jahr aus dem Räderwerk der Turmuhr vollends ausgestoßen werde, und als der zwölfte Schlag im Gemäuer verhallt war, da setzte er die Trompete an, und er blieS den Choral und schickte ihn durch die geweihte Nacht hinunter an das Fenster, hmtrr dem sein Weib lag, lauschend und lächelnd und betend, und hin auf an die Sterne. Druck und Verlag: Wochenblatt flir Zlchopau und Umgegend: Richard Voigtländer in Zschopau. Schriftlettung: Margarete Voigtländer in Zschopau.