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aufnahme dieser Gedanken an. Im August 1866 war die Komposition beendet. Ausge spart blieb noch der 5. Satz, der erst im Mai 1868 entstand, nochmals die Erinnerung an die Mutter aufgreifend. Nach Teilaufführungen in Wien und Bremen erfolgte die erste Gesamt aufführung am 18. Februar 1869 im Leipziger Gewandhaus unter Carl Reinecke. Im Jahre 1875 schrieb der scharfzüngige Wiener Kritiker und Brahms-Verehrer Eduard Hanslick nach einer umjubelten Aufführung des Deutschen Requiems: „. . . Man darf es heute ruhig aussprechen, daß seit Bachs h-Moll-Messe und Beethovens Missa solemnis nichts geschrieben worden, was auf diesem Gebiete sich neben Brahms’ .Deutsches Requiem' zu stellen vermag. Ja, unserem Herzen steht letzteres noch näher, schon deshalb, weil es jedes konfessionelle Kleid, jede kirchliche Konvenienz abstreift, statt des lateinischen Ritualtextes deutsche Bibelworte wählt, und zwar so wählt, daß die eigenste Natur der Musik und damit zugleich das Gemüt des Hörers in intimere Mitwir kung gezogen wird. Der Glücklichste, der nie einen Verlust erfahren, wird das .Deut sche Requiem' mit jener inneren Seligkeit genießen, welche nur die Schönheit ge währt. Wer hingegen ein teures Wesen be trauert, der vermesse sich nicht, bei den überwältigend rührenden Klängen der Sopran- Arie trockenen Auges zu bleiben. Aber er wird erfahren, wie verklärend und stärkend der reinste Trost aus dieser Musik fließt. Brahms soll das .Requiem', selbst in tiefster Gemüts bewegung, nach dem Tode seiner zärtlich ge liebten Mutter geschrieben haben. Ein schöne res Denkmal hat kein Sohn seiner Mutter ge setzt — und sich selbst.“ Die brausende Gewalt etwa der Dies-irae-Se- quenz im Verdischen Requiem ist in der Aus drucksskala des Deutschen Requiems nicht enthalten. Brahms setzt milde, zuversichtliche Trost- und Erlösungsgedanken in Töne, ohne daß andererseits großartige Chorbewegun gen und mächtige Klangballungen fehlten. Der 1. Satz ist in dunklen Farben gehalten. Ohne Violinen geben die geteilten Bratschen und Celli den gefühlstiefen, wehmütigen Unter grund der Begleitung. Das Thema der kurzen Orchestereinleitung ist der späteren Chorstelle „Sie gehen hin und weinen" entnommen. Der Chor selbst beginnt mit einem zum Teil un begleiteten, verhaltenen Trauergesang, der bei den von einem Oboenmotiv vorbereiteten Worten „denn sie sollen getröstet werden" stärkeren Nachdruck erhält. Der Mittelteil stimmt ein schmerzliches Seufzer-Motiv an, verstärkt es und führt sodann zur Wiederho lung der Seligpreisung des Beginns weiter, die mit zarten, aufwärtstragenden Harfenak korden verklingt. Der 2. Satz ist der ausge prägteste des Werkes. Ein sich sarabanden artig im 3 /<-Takt bewegender, schwermütiger Orchestermarsch beginnt. In ihn hinein singt der Chor eine archaisch-düstere Unisono-Me lodie von der Vergänglichkeit alles Lebenden. Das Marschthema schwillt zu bedrohlicher Größe an, bis es dem trostvoll bewegten Chorsatz „So seid nun geduldig, lieben Brü der" weicht. Ein leiser Hornton ruft dann den Zug der Toten wieder auf. Der zweite Teil du. Satzes ist von Zuversicht und Erlösungshof^P getragen. Wuchtig und bekenntnishaft steht der Satz „Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit“ wie ein Pfeiler, der die Brücke schlägt zur folgenden vierstimmigen Fuge, die in kontrapunktischer Bewegung „Freude und Wonne" besingt. Von schmerzlichen Akzenten geprägt ist der Wechselgesang zwischen Ba riton und Chor im 3. Satz. Die bange Frage „Wes soll ich mich trösten?" zieht sich in wei ter Spannung hin bis zur Chor-Fuge „Der Ge rechten Seelen sind in Gottes Hand“, die sich über einem Orgelpunkt webt, ein wogendes Melodiengeflecht über einem einzigen, aus gehaltenen Ton (D) im Baß der tiefen Instru mente und der Pauken: suchendes Irren als Gegenpol zu ruhevoller Sicherheit. In zarten Farben gehalten ist der 4. Satz „Wie lieblich sind deine Wohnungen", nur bei dem Fugato „die loben dich immerdar“ zu jubelndem Aus druck erhoben. Das schwebende Sopransolo bestimmt den zärtlich-trostvollen Ton des 5. Satzes. In gewaltigem architektonischem Bau wölbt sich der 6. Satz. Schlicht beginnt der Chor. Verhalten noch setzt der Bariton ein „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis". Stc^ nend flüsternd wiederholt der Chor die heißung, bis eine abrupte Steigerung zu einem gewaltigen Chorsatz führt, der den Sieg über Tod und Hölle besingt. Im großen Preisge sang in Gestalt einer kunstvollen Doppelfuge findet dieser Satz seinen Höhepunkt. Inhalt lich und musikalisch führt der 7. Satz zum Aus gangspunkt des Requiems zurück. Dem Ge sang für die Trauernden im ersten entspricht die Seligpreisung der Toten im letzten Satz. In ruhig fließender Bewegung der Chorstim men, mit mild verklärtem Ausdruck endet das Deutsche Requiem, wiederum mit den zarten Tönen der Harfe gleichsam verlöschend. JOHANNES BRAHMS: EIN DEUTSCHES REQUIEM I CHOR Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Gaben. CHOR Denn alles Fleisch es ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen. Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen. So seid nun geduldig, lieben Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn. Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er empfange den Morgenregen und Abendregen. So seid geduldig. Denn alles Fleisch es ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen. Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen. Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit. Die Erlöseten des Herrn werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen; 5|uide, ewige Freude über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird weg müssen. BARITON-SOLO UND CHOR Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß. Siehe, meiner Tage sind einer Hand breit vor dir. und mein Leben ist wie nichts vor dir. Ach, wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben. Sie gehen daher wie ein Schemen und machen ihnen viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird. Nun Herr, wes soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich. Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an. IV CHOR Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth I Meine Seele verlanget und sehnet sich nach den Vorhöfen des Herrn; Mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, die loben dich immerdar! V SOPRAN-SOLO UND CHOR Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Sehet mich an: Ich habe eine kleine Zeit Mühe und Arbeit gehabt und habe großen Trost gefunden. VI BARITON-SOLO UND CHOR Denn wir haben hie keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir. Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbige plötzlich in einem Augenblick zu der Zeit der letzten Posaune.