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8. ZYKLUS- KONZERT RICHARD STRAUSS Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 17. Juni 1989, 19.30 Uhr Sonntag, den 18. Juni 1989, 19.30 Uhr Klavier Metamorphosen für 23 Solostreicher Dirigent: Solist: Sprecher: Jörg-Peter Weigle Hans Franzen, Schweiz, Baß Horst Drinda, Berlin Christoph Hohmann, Dresden Rudolf Dunckel Richard Strauss 1864-1949 Johannes Brahms 1833—1897 Klavier Vier ernste Gesänge für Baß und op. 121 lastrumentntinn ■ Günter Raphael (1903-1960) Denn es gehet den Menschen wie dem Vieh Ich wandte mich und sähe an alle, die Unrecht leiden unter der Sonne O Tod, wie bitter bist du Wenn ich mit Menschen- und mit Engels zungen redete PAUSE Bernd Alois Zimmermann 1918-1970 „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" — Ekklesiastische Aktion für zwei Sprecher, Baß und Orchester Erstaufführung ZUR EINFÜHRUNG Das sinfonische Altersgedicht der Meta morphosen für 23 Solostreicher (ursprünglich „Studie für Streicher, 23stim- mig" genannt) hat in Form und Ausdruck kein Gegenstück in Richard Strauss’ CEu- vre. Obwohl es aus einer bestimmten ge schichtlichen Situation, dem letzten Stadium des zweiten Weltkriegs, entstanden ist, darf es doch nicht den Dokumenten reiner Pro grammusik zugerechnet werden. Der Schmerz güber den Verlust unwiederbringbarer Kultur- Hlrte, deutscher Städte, Baudenkmäler und nieater findet in dieser altersweisen Partitur eine vergeistigte Aussage, Klage und Ankla ge in einem. Daher der elegische Ton und der verhaltene, wenn auch keineswegs resignie rende Schluß. Wie zur Bekräftigung des Mo tivs seiner Trauer („Trauer um München" hat te der greise Meister bereits eine frühe Skizze überschrieben) sah er in den Wochen des letz ten Kriegswinters 1944/45, da er die kunst volle Partitur vollendete, die letzten zwei welt berühmten Stätten seines Wirkens in Trüm mer sinken: die Staatsopern von Dresden und Wien. Jene beiden Häuser, die dem Achtzig jährigen noch die Freude festlicher Geburts tagsaufführungen bereitet, waren ausgelöscht, wie schon vorher die gleichfalls mit seinem Werk eng verbundenen Häuser in Berlin und München. Welcher Aufschrei eines verwunde ten Herzens im Brief an den Wiener Mitautor Joseph Gregor vom 12. April 1945: „Ich bin in verzweifelter Stimmung! Das Goethehaus, der Welt größtes Heiligtum, zerstört! Mein schö nes Dresden-Weimar-München, alles dahin!" In verhältnismäßig kurzer Schaffenszeit hat Strauss das Werk am 12. April 1945 abge- ^ftlossen. Das Zitat aus dem Trauermarsch der „Eroica", das wenige Takte vor Schluß des nahezu halb stündigen Werkes in Celli und Kontrabässen aufklingt (Strauss notierte dazu die Worte „In memoriam“), ist das Motto der Komposition. Strauss hat später dazu erklärt, daß sich ihm das wörtliche Beethoven-Zitat quasi unbewußt bei der Arbeit eingestellt habe. In der Tat ge hört es zu den Wundern dieser „Metamorpho sen", wie hier ein Großer in eigenem schöp ferischen Nachdenken, in der Geistessphäre des „Tristan", letztlich den Namen Beethoven beschwört. Formal sind die „Metamorphosen" eines der „modernsten" Werke von Strauss, bedienen sie sich doch jener epischen Struk tur der freien Variation, wie sie die langsa men Sätze Mahlers und manches Werk Schön bergs durchzieht. Organisch wachsend, ent stehen Aufbau und thematische Entwicklung dreier Gruppen, die von einer knappen Ein leitung und weit ausgesponnenen, reprisen artigen Coda umschlossen sind, nicht isoliert voneinander. Im Gegenteil: das einmal neu gewonnene Material greift ins nächste über, wirkt in ihm weiter, bleibt so, mehr oder we niger verwandelt, immer gegenwärtig. Eine klangsinnlich blutwarme, hochempfindliche „melodische Polyphonie" feiert in dem Strei chersatz wahre Triumphe. Aus dem satten Samt der Klänge lugen die erlesenen Kaden zen, die betörenden harmonischen Rückungen der „Ariadne" hervor. Die Absicht, die Mitwelt erst nach dem Tode mit dem als „Nachlaß" bezeichneten kostba ren Werk bekanntzumachen, wurde aufgege ben. Strauss überließ Januar 1946 die Urauf führung dem Züricher Collegium Musicum un ter Paul Sacher, auf dessen Anregung dieses neben den letzten Orchesterliedern wertvoll ste Alterszeugnis entstand. Am Ende des Liedschaffens von Johannes Brahms stehen die Vier ernsten Ge sänge op. 12 1, die eigentlich nicht mehr als Lieder bezeichnet werden können. Wie das Deutsche Requiem beruhen sie auf der gro ßen Schütz-Tradition; es sind „Kleine geistli che Konzerte" auf Texte aus der Bibel, die für Brahms noch das Hauptbuch darstellte, auf Gesang und Klavier reduziert. Es ist wohl kein Zufall, daß etwa zur gleichen Zeit Hugo Wolf seine ernsten „Michelangelo-Lieder" schuf, Gustav Mahler bald darauf die „Kin dertotenlieder", alles Gesänge über den Sinn des Lebens und Sterbens, aus großem Zwei fel an der Gegenwart geboren, dennoch nicht ohne Hoffnung auf den Sieg des Menschli chen im Menschen, auf sein lebendiges Fort wirken. Hanns Eisler hat in unserer Zeit in seinen „Sieben ernsten Gesängen" diese Tra dition weitergeführt und eine Antwort zu ge ben versucht. Mit Recht wurde vermutet, daß Brahms' letz tes Gesangsopus seiner geliebten Freundin Elisabeth von Herzogenberg nachgesungen ist, die 1892 gestorben war. Auf jeden Fall wa ren sie schon vor dem Tode Clara Schumanns entworfen, der dann den äußeren Rahmen