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gedanke den an großen dramatischen Steige rungen, Kämpfen und Auseinandersetzungen ungemein reichen Satz, der in unerbittlicher Härte endet. Liedhaft-schlicht ist das folgende lyrische An- dantino mit seinem ausdrucksvollen volks liedartigen Hauptthema. „Das ist jenes me lancholische Gefühl, das sich des Abends ein stellt, wenn man allein dasitzt, von der Arbeit ermüdet. Ein ganzer Schwarm von Erinnerun gen taucht auf. Das Leben hat einen er schöpft. Wie schön ist es, auszuruhen und zu rückzublicken. Vieles kommt einem ins Ge dächtnis zurück. Es gab freudige Augenblicke, in denen das junge Blut überschäumte und das Leben einen befriedigte. Es gab auch schwere Augenblicke, unersetzliche Verluste. All das liegt schon irgendwie in der Ferne. Traurig und doch süß ist es, in die Vergan genheit hinabzutauchen .. ." „Der dritte Satz drückt keine bestimmten Empfindungen aus. Es sind allerlei Bilder, die einem durch den Sinn schweben, wenn man ein Gläschen Wein getrunken hat und leicht berauscht ist. Es ist einem weder heiter noch traurig ums Herz. Man denkt an nichts, gibt die Vorstellungskraft frei. Da taucht plötzlich das vergessene Bild eines betrunkenen Bäuer leins und ein Gassenhauer auf . . . dann zieht irgendwo in der Ferne Militär vorüber. Es sind abgerissene Bildfetzen, wie sie uns beim Ein schlafen durch den Sinn huschen" (Tschai kowski). Dieser Scherzo-Satz besticht vor al lem durch seine wirkungsvolle, aparte Instru ¬ mentierung. Während im ersten Teil, Pizzikato ostinato, nur Streicher eingesetzt werden, kommen im zweiten Teil ausschließlich Holz bläser, im dritten Teil nur Blechbläser zur An wendung, und „am Schluß plaudern alle drei Gruppen nacheinander in kurzen Phrasen". Variationen über das russische Volkslied „Auf dem Feld die Birke stand" enthält das stür misch einsetzende Finale. Die Düsternis des ersten Satzes wird hier schließlich in ein fest lich glänzendes Dur umgewandelt, obwohl auch das Schicksalsmotiv der Einleitung wie der aufklingt. Lassen wir noch einmal die Deutung des Komponisten sprechen: „Wenn du in dir selbst keine Gründe zur Freude fin dest, dann schau auf die anderen Menschen. Geh unter das Volk, sieh, wie es sich zu gnügen versteht, wie es sich schrankenlos Gefühlen der Freude hingibt . . . Ein Volksfest findet statt. Doch kaum hast du dich selbst vergessen in der Betrachtung fremder Freu den, als das Fatum, das unentrinnbare Schick sal, aufs neue erscheint. Aber die anderen kümmern sich nicht um dich. O, wie fröhlich sie sind! Wie sind sie glücklich, weil alle ihre Gefühle unbefangen und einfach sind! Und du willst immer noch behaupten, daß alles in der Welt düster und traurig ist? Es gibt noch so viele einfache und schlichte Freude, und — du kannst leben I" Tschaikowski dirigierte übrigens am 20. Fe bruar 1889 im 5. Philharmonischen Konzert die Dresdner Erstaufführung seiner 4. Sinfonie, die nach seinen Worten „Sensation erregt hat". VORANKÜNDIGUNG: Mittwoch, den 25. Oktober 1989, 19.30 Uhr (Freiverkauf) Dienstag, den 31. Oktober 1989, 19.30 Uhr (AK/J) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 2. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Festkonzert 40 Jahre DDR / 20 Jahre Kulturpalast Dirigent: Jörg-Peter Weigle Solisten: Venceslava Hrubä-Freiberger, Sopran, CSSR/Leipzig Bettina Denner, Alt, Leipzig Dieter Schwartner, Tenor, Leipzig Hermann Christian Polster, Baß, Leipzig Chöre: Philharmonischer Chor Dresden Philharmonischer Kinderchor Dresden Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9 Gemeinsam mit unseren Konzertfreunden wollen wir uns ERINNERN AN JOHANNES WINKLER, der am 19. Juni dieses Jahres mit seiner Frau durch einen tragischen Unfall ums Leben kam. Im Opernhaus Leipzig, seinem Wirkungsort seit vier Jahren, hatte er Ver dis „Nabucco" dirigiert und war auf dem Weg nach Essen, wo er Matthus’ „Graf Mirabeau" für die Uraufführung vorberei ten sollte, zu einer der zahlreichen Gast verpflichtungen also, die sich in den letzten Jahren dicht und dichter drängten. J^^AIs er 1976 26jährig bei der Dresdner Phil- ^^harmonie sein erstes Engagement antrat, ausgebildet beim Dresdner Kreuzchor, an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber" Dresden (Dirigieren bei Rudolf Neuhaus) und am Leningrader Konserva torium, hatten ihn drei Menschen wesent lich geprägt: sein Vater, der ihm den Weg zur Musik gewiesen hat, Rudolf Mauers berger, der hochverehrte behutsame Lenker und Betreuer seiner Sängerknabenjahre, und der bewunderte Musiker und Lehrer Arvid Jansons, dessen Dirigier-Handschrift er nie verleugnen konnte und wollte. Drei Serenaden in Pillnitz waren zunächst der Auftakt, den ersten „Einsatz" gab Johannes Winkler den Philharmonikern im 1. Außer ordentlichen Konzert der Spielzeit 1976/77 mit Siegfried Kurz’ „Aufenthalt auf Erden", Klavierkonzerten von Skrjabin und Tschai kowski. Bis zu seinem Abschiedskonzert am 2./3. April 1983 (Bach, Matthus, Mozart) stand er in den Dresdner Konzertreihen un seres Orchesters 53mal am Dirigentenpult, brachte hier sechs Uraufführungen heraus (Jürgen Knauer, Georg Katzer, Karl-Rudi ^^Griesbach, zweimal Wilfried Krätzschmar, I^^Jörg Herchet), dirigierte Sinfonien von Si belius, Dvorak, Brahms, Mendelssohn, Haydn, Beethoven, Tschaikowski, Bruckner, Honegger, die Enigma-Variationen von Ed ward Elgar, „Die Planeten" von Gustav Hojlst, die Sinfonia come un grande la- mento von Udo Zimmermann . . . und im mer wieder Mozart. „Mozart, der oft Un terschätzte, der .Sonnige', .Verspielte', stellt einem Musiker so viele schwierige Aufga ben, daß man nicht oft genug bei ihm in die Schule gehen kann", begründete Jo hannes Winkler seine Hinwendung und forderte gerade bei ihm den Musikern das Letzte ab. Zwischen 1977 und 1986 be gleitete er die Philharmoniker auf zwölf Gastspielreisen fast durch ganz Europa, leitete sie bei acht Schallplatteneinspie lungen und bei Sonderkonzerten in vielen Städten unseres Landes. Als seine letzte Schallplatte ist im Frühjahr 1989 ein Sängerporträt der Sopranistin Venceslava Hruba-Freiberger mit dem Ge wandhausorchester Leipzig erschienen. In seinen sieben „philharmonischen" Jahren war Johannes Winkler auch den Mitglie dern des Besucherrates und des Jugend klubs ein aufgeschlossener und anregender Gesprächspartner. In Foyergesprächen und anderen Begegnungen mit unseren Besu chern gab er sein reiches Wissen um Mu sik und Musiker, deren künstlerisches, hi storisches und philosophisches Umfeld in geistvoll-charmanter, bildhafter und oft humorvoller Art weiter. Auch während seiner Amtszeit in Schwerin und Leipzig hat es ihn immer wieder nach Dresden zurückgezogen. Hier hatte er sei ne geistige und künstlerische Heimat. Häu fig war er Gast bei unserem Orchester und zuletzt mehrfach auch bei der Staatsoper Dresden, wo er sich mit dem Dirigat der „Meistersinger" einen Lebenstraum erfül len konnte. In einem Porträt des Dirigen ten ist zu lesen: „Johannes Winkler gehört keineswegs zu den ,kam-sah-und-siegte- Typen', die mit blendender Erscheinung und verzückter Miene vor das Orchester treten. Mit kleinen Schritten läuft er zum Podium, gibt sparsam die Einsätze und hebt die großen Gesten für die wirklichen Höhepunkte seines Vortrags auf. Er möch te das Werk zur Geltung bringen, weniger sich selbst. Den feinsten Regungen der Musik versucht er nachzuspüren und hinter der Genauigkeit der Interpretation nicht die Dynamik und Ursprünglichkeit verkümmern zu lassen." — — — So wird uns Johannes Winkler im Ge dächtnis bleiben. sg