Volltext Seite (XML)
Der Abend Joseph von Eichendorff Der Morgen Wann der Hahn kräht auf dem Dache, Putzt der Mond die Lampe aus, Und die Stern' ziehn von der Wache, Gott behüte Land und Haus! Fliegt der erste Morgenstrahl Durch das stille Nebeltal, Rauscht erwachend Wald und Hügel: Wer da fliegen kann, nimmt Flügel! Und sein Hütlein in die Luft Wirft der Mensch vor Lust und ruft: Hat Gesang doch auch noch Schwingen, Nun, so will ich fröhlich singen! Hinaus, o Mensch, weit in die Welt, Bangt dir das Herz in krankem Mut; Nichts ist so trüb in Nacht gestellt, Der Morgen leicht macht's wieder gut. Mittagsruh Uber Bergen, Fluß und Talen, Stiller Lust und tiefen Qualen Webet heimlich, schillert, Strahlen! Sinnend ruht des Tags Gewühle In der dunkelblauen Schwüle, Und die ewigen Gefühle, Was dir selber unbewußt, Treten heimlich, groß und leise Aus der Wirrung fester Gleise, Aus der unbewachten Brust In die stillen, weiten Kreise. Schweigt der Menschen laute Lust: Rauscht die Erde wie in Träumen Wunderbar mit allen Bäumen, Was dem Herzen kaum bewußt, Alte Zeiten, linde Trauer, Und es schweifen leise Schauer Wetterleuchtend durch die Brust. Die Nacht Wie schön, hier zu verträumen Die Nacht im stillen Wald, Wenn in den dunklen Bäumen das alte Märchen hallt. Die Berg' im Mondesschimmer Wie in Gedanken stehn, Und durch verworrne Trümmer Die Quellen klagend gehn. Denn müd ging auf den Matten die Schönheit nun zur Ruh, Es deckt mit kühlen Schatten Die Nacht das Liebchen zu. Das ist das irre Klagen In stiller Waldespracht, Die Nachtigallen schlagen Von ihr die ganze Nacht. Die Stern' gehn auf und nieder - Wann kommst du, Morgenwind, Und hebst die Schatten wieder Von dem verträumten Kind? Schon rührt sich's in den Bäumen, die Lerche weckt sie bald - So will ich treu verträumen Die Nacht im stillen Wald.