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Don Juan Den Zauberkreis, den unermeßlich weiten, Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten Möcht’ ich durchziehn im Sturme des Genusses, Am Mund der letzten sterben eines Kusses. O Freund, durch alle Räume möcht’ ich fliegen. Wo eine Schönheit blüht, hinknien vor jede Und, wär’s auch nur für Augenblicke, siegen. Ich fliehe Überdruß und Lustermattung, Erhalte frisch im Dienste mich des Schönen, Die einzl’e kränkend schwärm’ ich für die Gattung. Der Odem einer Frau, heut’ Frühlingsduft, Drückt morgen mich vielleicht wie Kerkerluft. Wenn wechselnd ich mit meiner Liebe wandre Im weiten Kreis der schönen Frauen, Ist meine Lieb’ an jeder eine andre; Nicht aus Ruinen will ich Tempel bauen. Ja! Leidenschaft ist immer nur die neue; Sie läßt sich nicht von der zu jener bringen, Sie kann nur sterben hier, dort neu entspringen, Und kennt sie sich, so weiß sie nichts von Reue. Wie jede Schönheit einzig in der Welt, So ist es auch die Lieb’, der sie gefällt. Hinaus und fort nach immer neuen Siegen, So lang der Jugend Feuerpulse fliegen! Es war ein schöner Sturm, der mich getrieben, Er hat vertobt und Stille ist geblieben. Scheintot ist alles Wünschen, alles Hoffen; Vielleicht ein Blitz aus Höh’n, die ich verachtet, Hat tödlich meine Lebenskraft getroffen, Und plötzlich ward die Welt mir wüst, umnachtet; Vielleicht auch nicht; — der Brennstoff ist verzehrt, Und kalt und dunkel ward es auf dem Herd. Nikolaus Lenau Anton Bruckner: 4. Sinfonie Es-Dur Anton Bruckner begann — mit der ihm eigenen Genauigkeit hat er es notiert — die Komposition seiner 4. Sinfonie am 2. Januar 1874, am 22. November des gleichen Jahres „um halb neun Uhr abends“ war sie vollendet. Da es in den nächsten Jahren zu keiner Auffüh rung kam, versuchte Bruckner eine „bessere“ Fassung herzustellen (1878), die das Scherzo durch ein neues, das sogenannte „Jagd- Scherzo“ ersetzte. Bei einer nochmaligen Durchsicht für den Druck formte er auch das Finale völlig neu, das dann zusammen mit den drei ersten Sätzen der zweiten Fassung als „Endfassung“ im No vember 1889 veröffentlicht wurde. In der jetzt fast überall ge spielten Original-(=Erst-)Fassung wurden diese Eingriffe wieder beseitigt. Es ist zeitgeschichtlich interessant, daß die Wiener Phil harmoniker, als sie das Werk in einer Neuheitenprobe spielten, er klärten: „Nur der 1. Satz ist aufführbar, das übrige — verrückt.“ Es dauerte auch lange, bis sich Hans Richter im Februar 1881 zur Uraufführung entschloß. Auch die zweite Aufführung leitete Rich ter — am 22. Januar 1888! Unter den Sinfonien Bruckners nimmt die Vierte durch zwei Um stände eine Sonderstellung ein. Als einzige erhielt sie vom Kompo nisten eine Überschrift, und als einzige (vielleicht wegen der Über schrift?) konnte sie eine größere Popularität erringen. Für den 1. Satz soll er einem Freund gegenüber sogar ein „Programm“ an gegeben haben: „Mittelalterliche Stadt — Morgendämmerung — von den Stadttürmen ertönen Morgenweckrufe — die Tore öffnen sich — auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie — der Zauber des Waldes umfängt sie — Waldesrauschen — Vogelsang — und so entwickelt sich das romantische Bild.“ In Erweiterung der klassischen Sinfonieform mit Haupt- und Nebenthema wird bei Bruckner die Zahl der Themen in den Ecksätzen meist auf drei er weitert; so ist es auch hier der Fall. |Im 1. Satz (Allegro molto moderato) erklingt das Hauptthema ge teilt, der erste Teil in langen Werten in den Hörnern, der zweite Teil in einer Aufwärtsbewegung. Dieses Thema durchläuft eine Entwicklung, bis das zweite Gesangsthema in den Streichern (1. Vio linen und Bratschen) aufgenommen wird, auch dieses Thema ist zweigeteilt. Das dritte Thema schließlich ist eine Spiegelung der zweiten Hälfte des Anfangsthemas. In der Durchführung, in der dieses Themenmaterial kunstvoll verarbeitet wird, tritt noch ein neues Element, ein Choralthema (im Sinne der Bachschen Choräle) hinzu, das aber in die Verarbeitung nicht einbezogen wird. Die Reprise bringt keine wörtliche, sondern eine sinngemäße Themen-