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ersehnten Rompreis erhielt, zeitweilig sogar Erfolge als Komponist und Musikschriftsteller errang, wurde er schließlich Bibliothekar (!) am Con- servatoire, doch nie Professor für Komposition! Dabei kann Berlioz’ Ein fluß auf die Nachwelt nur unterschätzt werden. Als seine „Symphonie fantastique“ 1830 zum ersten Male in Paris erklang, existierte mit einem Schlag die erste, zugleich aber vollgültige romantische Programmsinfonie. Gleichzeitig war eine Epoche farbenprächtiger, in allen klanglichen Nuan cen funkelnder - Orchestermusik eingeleitet worden. Berlioz war ein Genie der Partitur, ein Magier des Orchesters — er war der erste, der die Klang farbe als kompositorische Dimension entdeckte und damit auf Liszt, Wag ner, Tschaikowski, Rimski-Korssakow, Richard Strauss, ja Igor Strawinski und viele andere wirkte. Richard Strauss war es auch, der Berlioz’ epoche machende Instrumentationslehre vom Jahre 1844 neu bearbeitete und er gänzte. Berlioz’ Werke — 4 Sinfonien („Symphonie fantastique“ 1830, „Harold in Italien“ 1834, „Romeo und Julia“ 1839, mit Soli und Chören, die „Trauer und Triumph-Sinfonie“, 1840), Opern („Benvenuto Cellini“ 1838, „Die Tro janer“, 1859, „Beatrice und Benedict“, 1862) sowie eine Reihe von Kan taten und Chorwerken sind vor allem von Gluck und Beethoven angeregt. Aber auch Lesueur, der große Musiker der franzöischen Revolution und Lehrer des Komponisten am Pariser Conservatoire, übte nicht nur mit seiner politischen Haltung Einfluß auf Berlioz aus, sondern auch mit seiner Theorie, daß die Musik zu einer tatsächlichen oder gedachten Hand lung in Beziehung stehen soll. Berlioz bearbeitete die Marseillaise für großes Orchester und Chor und schrieb seine „Trauer- und Triumph- Sinfonie“ für die Gefallenen der Juli-Revolution von 1830. Weltanschau lich stand der Komponist dem St.-Simonismus nahe. „Fausts Verdam mung“, eine dramatische Legende in vier Teilen, ist eines der bedeutend sten Werke von Hector Berlioz und wurde 184G auf einer Konzerttournee durch Mitteleuropa beendet. Über die Entstehung schrieb er in seinen „Memoiren“: „Während dieser Reise durch Österreich, Ungarn, Böhmen und Schlesien begann ich mit der Komposition meiner Legende Eaust, über deren Plan ich schon seit langer Zeit nachgrübelte. Sobald ich mich entschlossen hatte, damit ans Werk zu gehen, mußte ich es auch auf mich nehmen, fast den ganzen Text dazu selbst zu schreiben; die Bruch stücke aus der französischen Übertragung des Goetheschen ,Faust 1 von Gerard de Nerval, die ich schon zwanzig Jahre vorher in Musik gesetzt hatte und mit einigen Änderungen in meine neue Partitur aufzunehmen gedachte und zwei oder drei andere Szenen, die Monsieur Gandonniere vor meiner Abreise von Paris nach meiner Abgabe geschrieben hatte, bildeten zusammen nicht einmal den sechsten Teil des Werkes“. Gegen den Vorwurf, Goethes „Faust“ verballhornt zu haben, hat sich Berlioz energisch gewehrt und die Eigenständigkeit seiner Schöpfung verteidigt. Zentrales Thema ist — wie so oft bei Berlioz — das Thema der Isolierung des denkenden und fühlenden Menschen — oder, was für ihn dasselbe ist, des Künstlers inmitten einer grausamen Umwelt. Georg Knepler schrieb: „Das Werk . .. läßt Faust unerlöst in einer dämonischen Höllen fahrt enden. Der ,Legende“ erste Szene ist überschrieben: Ebene in Ungarn. Angesichts der Tänze und Lieder des ungarischen Volkes fühlt sich Ber lioz’ Faust einsam. ,Um ihre Lust muß ich Armer sie neiden“ ruft er aus. Und sein ,Herz bleibt kalt, selbst dem Ruhme verschlossen“, auch dann, als ,Kriegerscharen“ zu den Klängen des revolutionären Räköczi-Marsches an ihm vorbeiziehen. — Berlioz hat sich selbst zu der Frage geäußert, warum er diese wichtige Szene nach Ungarn verlegt hat und gemeint, er habe es getan, um den Räköczi-Marsch verwenden zu können. Berlioz hat ihn gehört, als ei’ im Winter 1845/1846 in Budapest war, und es kann ihm nicht entgangen sein, daß gerade dieser Marsch eine sammelnde Rolle in der sozialen und nationalen Bewegung spielte, von der Ungarn damals erfaßt war. Berlioz berichtet, welch erschütternden Eindruck das Stück auf einen revolutionären Ungarn ausübte, der es in seinem Werk hörte. So hat also Berlioz in der Gegenüberstellung des einsamen Faust und des revolutionären Volkes das Problem des abseits stehen den Intellektuellen getroffen, der zugrunde geht, weil er den Weg zum Volk nicht findet. Er hat damit auch an seine eigene Problematik gerührt.“ Die Bedeutung dieses Themas für uns heute liegt auf der Hand. Das Werk ist in vier’ Teile gegliedert, die miteinander und untereinander wirkungsvoll nach dem Kontrastprinzip verbunden sind. Der erste Teil, in einer Ebene Ungarns, zeigt den einsamen Faust, wie er den Frühlings beginn erlebt. Der Tanz der Schäfer und das vorüberziehende Heer (Räköczi-Marsch) berühren ihn aber nicht; im zweiten Teil finden, wir Faust in Norddeutschland, wohin er „freudlos zurückgekehrt ist“ und durch die Osterhymne vom Selbstmord abgehalten wird. Mephisto tritt als „Geist des Lebens, der dir Trost bringt“ auf und führt ihn nach Leipzig in Auerbachs Keller (Trinkerchor, Branders Lied „Es war eine Ratt’ im Kellernest“; Parodistische Fuge, akademisch-kontrapunktische Musik philisterei verhöhnend, über „Amen“, und Lied des Mephisto „Es war einmal ein König, der hatt’ einen großen Floh“). Urplötzlich wechselt die Szene: Gebüsch und Auen am Ufer der Elbe. Mephisto gaukelt dem träu menden Faust ein „entzückendes Geländ’“ und das Bild von Margarethe vor (Chor der Sylphen und Gnomen). Erwacht will Faust sogleich zu ihr geführt werden. Mephisto verspricht es ihm: „Dieser Schatz, Glücklicher, ist dein! Dort kommt ein lust’ger Schwarm von Studenten und Kriegern, der an ihrem Häuschen wohl vorbeizieht.“ Mit einem Soldaten- und Stu dentenchor, die erst einzeln, dann zusammen erklingen, endet der zweite Teil. Der dritte spielt in Margarethes Zimmer und beginnt mit einer Liebesarie Fausts. Margarethe wird musikalisch durch das Lied „Es war ein König in Thule“ charakterisiert. Mephisto beschwört der „Flackerflammen irre Geister“, um „dieses Kind zu betören, daß es der Sünd’ verfällt“ (Tanz der