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ZUR E1~NFÜH RU N- G Zu seiner achten Sinfonie hat Anton Bruckner Äußerungen getan, die man nicht gering achten darf. So knapp, fast hiiflos gestammelt sie sind, geben sie doch wertvolle Fingerzeige zum Verständnis des Werkes, über den ersten Satz sagte er: ,,lm ersten SatzistderTrompeten- undCornisatzausdem Rhyth mus des Themas: die Todesverkündigung, die immer sporadisch stärker, endlich sehr stark auftritt, am Schluß: die Ergebung". Damit ist im großen der Bogen angegeben, der sich über diesen Satz spannt von dem stockenden Beginn des Hauptthemas in den tiefen Streichern bis zur Coda, von deren Schluß Bruckner ein andermal sagte, man höre die Totenuhr klopfen — es ist der bei ihm einzig dastehende Piano schluß eines ersten Satzes. Die Dreifaltigkeit der Themen ist hi€r auf die Spitze getrieben. Das erste Thema besteht in sich aus drei Teilen, die, obwohl innerlich zusammengehörend, das Material für einen . Sonatensatz abgeben würden. Nach diesem ver schwenderischen Reichtum tun sich im zweiten Thema neue Wunder auf. Im satten Ton der Strei cher steigt, harmonisch reich grundiert, eine Melodie aufwärts, durch den ,, Bruckner-Rhythmus" (zwei Viertel plus Triole) deutlich markiert und später in Umkehrung in den Bässen erscheinend. Das dritte Thema bekommt seinen monumentalen Cha rakter (abwärtsjagende Gänge und das gleichzeitig niederstürzende Intervall der Sept) erst nach einem kurzen Anlauf aus dem Piano zweier ineinander ge führter Motive. Die Exposition endet mit einer gewaltigen Steigerung nach Es-dur, das sich sieg haft in schmetternden Dreiklangsfanfaren in den Blechbläsern behauptet. Doch nur für ganz kurze Zeit. Schon der Anhang, der späteren Coda ent-, sprechend, erinnert an das erste Thema und damit an die bange Stimmung der Todesahnung, die sich dann in der Durchführung verdichtet. Jenes Thema erscheint zerstückt, vergrößert und in dissonanten Spannungen. Das zweite Thema erscheint in Um kehrung, dann treibt die Durchführung auf ihren Höhepunkt zu, der damit gegeben ist, daß über das vergrößerte Hauptthema das vergrößerte und um gekehrte Gesangsthema im Fortissimo des ganzen Orchesters getürmt wird, eine Stelle, die an Groß artigkeit kaum ihresgleichen in der ganzen sinfo nischen Literatur hat. Es ist jene Stelle, die sehr stark — ohne an eine Abhängigkeit denken zu lassen — an die Stelle im „Parsifal“ erinnert: „Du weißt, wo du mich wieder finden kannst“ (2. Akt, Takt-1522). In der Tat war es, wie sich durch die Biographie beweisen läßt, eine „ParsifaT'-Zeit für Bruckner, als er an der achten Sinfonie arbeitete. Jener Vorgang wiederholt sich zweimal, dann wird mit der Endfigur des ersten Themas, das als Ganzes in seinem Rhythmus in der Fanfare zweier Trom peten erscheint, zur Reprise übergeleitet. Der An sicht des bekannten Bruckner-Biographen Max Auer, als habe Bruckno4||fcr auf die Reprise verzichtet, kann nicht beigepflichtet werden. Sie tritt deutlich mit Thema I in der Oboe ein, nachdem sie durch ein viertaktiges Duett einer Flöte mit den ersten Vio linen vorbereitet worden war. Es folgen das zweite und das dritte Thema, das sich in einen ungebär digen Verzweiflungs-Ausbruch, durchdröhnt von einer Fanfare der Hörner und Trompeten im Rhyth mus des Hauptthemas, hineinsteigert. Ein Pauken wirbel leitet die Coda ein, in dem sich noch einmal das Hauptthema, von schmerzlichen Dissonanzen durchsetzt, zum Wort meldet. Dann klingt der Satz mit dem „Klopfen der Totenuhr" aus — jene oft gebrauchte Schlußfigur des ersten Themas wandert aus der ersten in die zweite Violine und schließlich in die Bratsche, um still zu verlöschen. -Das Thema des Scherzos hat Bruckner als das des „deutschen Michels“ bezeichnet. Als er an dem Satz arbeitete, ging er einmal von der Straße in die Wohnung zurück, da er vergessen habe, „den deut schen Michel zuzudecken". Zwei Seiten des deutschen Menschen mag Brückner in diesem Satz aufdecken. Im Hauptteil mit seinen eckigen, wie starrsinnig immer wiederkehrenden Thema seinen zu Eigensinn, Rechthaberei, Fanatismus, aber auch zur Gründlich keit und Ausdauer neigenden Charakter. Vom Trio, das merkwürdigerweise nicht wie sonst den behag lichen Ländlerton anschlägt, sondern fast wie die Vorausnahme eines langsamen Satzes ist, hat der Meister gesagt: „Michel liegt behaglich ausgestreckt auf einem Berg und träumt in das Land“. Damit wäre also das Eichendorffische, das Verträumt- Romantische, das Künstlerisch-Schöpferische im deutschen Menschen gemeint. Eine Deutung nach des Komponisten Anleitung, die viel für sich hat, deren man aber nicht bedarf, wenn man die herrliche Musik hört. Erst recht erscheint uns heute, ange sichts der in die tiefsten Geheimnisse hineinlotenden Gedanken des langsamen Satzes, die Bemerkung Bruckners als ganz unverbindlich: „Da hab’ ich zu tief in ein Mädchenauge geblickt". Vielleicht hat ein •solches Erlebnis den äußeren Anstoß gegeben; das Wunder dieses Satzes, der ein großer Gesang in drei Strophen ist (wobei die zweite und dritte Strophe Variationen der ersten sind) und seinen harfenum- rauschten Höhepunkt in der dritten Strophe finde!, ist damit keineswegs erklärt. Den äußeren Anlaß nur bezeichnet Bruckner auch mit der Anmerkung zum Finale: „Unser Kaiser bekam damals den Besuch des Zaren in Olmütz: daher Streicher: Ritt der Kosaken; Blech: Militärmusik; Trompeten: Fanfaren, wie sich die Majestäten begegnen". Diese Worte und alle Worte der Erklärung sind hilflos gegenüber der Macht dieser Musik, gegenüber der mysteriösen Meisterschaft, die es fertigbringt, am Schluß des Satzes die Hauptthemen aller vier Sätze ineinander- klingen zu lassen zum unfaßbaren tönenden Kosmos. Dr. Karl Laux.