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ZUR EINFÜHRUNG Mit der Suite aus der Oper „Der goldene Hahn“ lernen wir das hervorragende Mitglied des „Mächtigen Häufleins“ Nikolai Rimski-Ko rssakow nicht nur als den Meister musi kalischer Genremalerei kennen, sondern auch als einen Musiker, der - ähnlich wie Tschaikowski, was dessen Vierte Sinfonie beweist - den politischen Verhältnissen seiner Zeit offen und kri tisch gegenüberstand. In den Revolutionstagen des Jahres 1905 hatte er sich auf die Seite der revolutionären Studentenschaft gestellt, was zur Folge hatte, daß er in brüsker Weise entlassen und als politisch verdächtig angesehen wurde. Die Aufführung seiner Werke in Petersburg wurde verboten. Diese Maßnahmen riefen einen Sturm des Protestes hervor. Aus allen Teilen Rußlands kamen Sympathieerklärungen. Der Name Rimski-Korssakow wurde für die progres siven Kreise der russischen Intelligenz zum Symbol des Fortschritts. Der Meister ließ sich nicht entmutigen. Er versammelte die Schüler in seinem Haus und gab ihnen hier Unterricht. Als dann im Jahre 1907 das Konservatorium unter Glasunows Leitung wieder eröffnet wurde, trat Rimski-Korssakow auf dringende Bitten seiner Kollegen erneut in den Lehrkörper ein. Seine Abrechnung mit der Revolution bildete die Komposition einer neuen Oper, „Der goldene Hahn“, die voll scharfer politischer Anspielungen ist. Um die Musik der „Suite“, die von A. Glasunow und M. Steinberg nach den Intentionen des Komponisten bearbeitet wurde, ver stehen zu können, ist es notwendig, die Handlung der Oper, die auf ein Märchen von Puschkin zurückgeht, Zu kennen. Sie verspottet den unfähigen, beschränkten, tölpelhaften und feigen Zaren Dodon und seine beschränkten Ratgeber, darunter der Feldherr Polkan, der das Heer in einen sinnlosen Unter gang führt. Dodon geht schließlich zugrunde, betört von der Kaiserin von Schemacha, die mit ihrer alles Böse vernichtenden Schönheit Siegerin bleibt. Eingeleitet und ausgeleitet wird die Oper durch einen Astrologen, der das Publikum darüber aufklärt, daß es die Handlung ernst nehmen muß: „Ist’s auch nur ein Gaukelspiel, birgt’s doch weiser Lehren viel.“ Daß man diese Lehren sehr wohl verstanden hat, nämlich die Satire auf die russische Autokratie, geht daraus hervor, daß das Werk erst nach Rimski-Korssakows Tod aufgeführt werden durfte. Der Titel der Oper versteht sich so: Der Astrolog schenkt dem König einen goldenen Hahn, der jede Gefahr durch sein Krähen anzeigt. Die „Suite“ besteht aus vier Sätzen. Der erste Satz wird eingeleitet durch das sehr ohrenfällige Thema des goldenen Hahns, dem nach wenigen Takten das Motiv der Kaiserin von Schemacha folgt, das mit seinen sich windenden Tonlinien das Verführerische der Frau symbolisiert. Es folgt eine Darstellung des beruhigt eingeschlafenen Königs Dodon, wieder ertönt der Hahnen schrei und weckt den König und sein Gefolge auf. Ein Tumult entsteht, und schließlich klingt der erste Satz mit der Schlummermusik aus: Die Gefahr scheint gebannt zu sein. Der zweite Satz führt die Handlung weiter: Wieder hatte der Hahn gekräht, der König war mit seinem Heer ins Feld gezogen, wurde geschlagen, und zwei seiner Söhne fielen. Müde zieht der König über das Schlachtfeld. Plötzlich steht vor ihm das Zelt der schönen Königin. Sie bewirtet den König und umstrickt ihn mit ihrem Liebreiz, der nun im dritten Teil der Suite, einem tänzerischen Stück, geschildert wird. Hier feiert die Instrumentierungskunst des Komponisten wahre Triumphe. Der König führt die schöne Frau in sein Reich (Einzugsmarsch im vierten Teil der Suite), das Volk jubelt ihnen zu. Als aber der Astrolog die Belohnung dafür haben will, daß er dem König den goldenen Hahn geschenkt hat, schlägt ihm der König mit dem Zepter den Schädel ein. Der goldene Hahn wird lebendig und tötet mit wütenden Schnabelhieben den Mörder seines Herrn, der König fällt tot um (kurze Episode, Hahnmotiv, man hört die Schnabelhiebe, lange Pause: der König ist tot). Kurzer Epilog: noch einmal das Motiv des goldenen Hahns, Triumph über die Kräfte der Reaktion. Dmitri Schostakowitsch ließ seiner tragischen Zehnten Sinfonie ein Klavierkonzert folgen, sein zweites, das wie ein Atemholen nach jenem gewaltigen Werk anmutet, ein Sich- lösen, ein Sichentspannen. Wir verstehen das um so besser, wenn wir erfahren, daß er das Konzert für seinen Sohn Maxim geschrieben hat, der es als Schüler der Zentralen Musikschule beim Moskauer Konservatorium selbst zur Uraufführung brachte, begleitet vom Sinfonie orchester der Moskauer Philharmonie unter Leitung von N. Anossow. Der Komponist hatte sich dabei das Wort Gorkis zu Herzen genommen, man müsse für die Jugend ebenso schreiben wie für Erwachsene, nur besser. Das ist ihm vollauf gelungen. Denn wenn er auch auf die technischen Möglichkeiten eines jungen Pianisten (die Ansprüche sind allerdings sehr hoch geschraubt) und zugleich auf die „Mentalität“ der Jugend, der das Werk unausgesprochen gewidmet ist, Rücksicht nimmt, so wahrt das Werk doch eine Höhenlinie, die sogar die man cher anderer Werke von Schostakowitsch übertrifft. Wir haben eine Komposition vor uns, die höchste Kunstfertigkeit (auch im rein Pianistischen, das daran erinnert, daß Schostakowitsch einmal erfolgreicher Teilnehmer am Chopinwettbewerb war) mit Volkstümlichkeit, Reife der Faktur mit jugendlicher Frische verbindet. Zugleich stellt es dem ersten Klavierkonzert aus den dreißiger Jahren gegenüber etwas völlig Neuartiges dar. Der Komponist hält sich an die klassische Dreisätzigkeit, auch im Charakter und in der forma len Anlage der einzelnen Teile. Das Allegro steigert sich von dem in der Linie ungemein ein fachen und auch in der Begleitung anspruchslosen, gelegentlich mit einem Querstand geschärften, ersten Thema zu den lustigen Fanfarenrufen des zweiten, zu dessen Klängen junge Pioniere ausmarschieren könnten, um sich dann bei den zündenden Rhythmen des dritten Themas in lustigen Spielen auszutoben. Die in durchsichtiger Zweistimmigkeit durchgeführte Kadenz ist ein geistvolles Spiel mit den Elementen des ersten und des dritten Themas und führt in einer großen Steigerung hinein in die Reprise, in der das erste Thema noch einmal in seinem hin reißenden Optimismus erscheint. Still und besinnlich gibt sich der zweite Satz. Die edle Einfalt des von den sordinierten Strei chern intonierten Themas zeigt uns Schostakowitsch von einer neuen Seite. Auch das vom Solo instrument angestimmte herbe und doch so eindringliche, melodisch bezaubernde zweite Thema bleibt dem Charakter des Satzes treu. Er könnte gedeutet werden, als wolle der Komponist der Jugend auch Ernst und Besinnlichkeit bescheinigen.