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IS. Fortsetzung.) Quitt bekommt einen freundlichen Blick, und Frau Geheimrat Starck geht die Treppe zu ihrem Wagen hin unter. Ihre breithüftige Figur im schwarzen Seiden mantel wirkt von hinten noch unglücklicher. Quitt hat natürlich sofort an Barbaras Bilder gedacht, als Frau Starck von der Sammelleidenschaft ihres Mannes sprach. Vielleicht ist es möglich, den alten Herrn für die Arbeiten der Freundin zu interessieren. Aber auch davon ganz abgesehen, wird Quitt gern einmal das alte Paar aufsuchen. Frau Geheimrat Starck hat sie so be sonders herzlich eingeladen. * Es ist Leichtsinn, ja, es ist Sünde, man kann es an- , sehen wie man will — und doch, es ist herrlich. Es ist > ein Rausch, der schon jetzt in jeder stillen Stunde Pein , und Selbstvorwürfe zeugt, aus dem das Erwachen furcht bar sein wird. Aber es ist ein Rausch, der diesem trüben, dumpfen Leben goldene Flügel leiht. Und können Be rauschte denn an morgen denken? Hanno kennt sich nicht wieder, ein Fremdes hat v?n ihm Besitz ergriffen. Arbeit, Examen? Ach was, spä . r, später. Er hat keine Zeit mehr für die toten Bücher, s , Tag gehört dem Leben, gehört Sascha Stein. Sie jagen im Wagen die Landstraße entlang, d r Kompressor heult auf wie ein Raubtier, das vorwür! > schießt, der fliehenden Beute nach. Sascha Steins Helles Haar flattert im Fahrtwind; wenn er sich ein wenig zur Seite neigt, wirbelt ihm die seidenweiche Welle a r Schläfe und Wange. Er möchte das Gesicht zu ihr hi wenden, um sie anzusehen, aber er darf die Augen ja nicht von der Fahrbahn lassen, die sich rasend vor ihnen abrollt. Er hält die Hände um das Steuerrad gekrampft; die Gefahr, der Rausch der Schnelligkeit und die Nähe der schönen Frau vereinigen sich in seinem" Blut zu einem Mkord wilder Lebensfreude. Und die Abende mit ihr! Kleine, enge Wirtsstuben mit > verräuchertem Gebälk, ein alter Bauer, das faltige Gesicht wie aus Holz geschnitzt, herber, kühler Landwein, der ehrbar und biedermännisch über die Zunge geht und doch wie Feuer ins Blut fließt. Laute, heiße Abende, trunkene Abende drüben in der großen Stadt mit vielen Wenschen, Abende, vorwärts gepeitscht vom Rhythmuß der Tanzkapellen, vom schrillen Klang der Gläser und'jäh aufkreischendem Fraucnlachen. Geld rinnt ihm durch die Finger, sauer erspartes, sorgfältig eingeteittes Geld, das noch so lange reichen sollte. Was tut es — heute ist heul'! Und dann wieder plätschert der Neckar leise und ge- > heimnisvoll — das Boot gleitet durch leichte Nebelschleier I flußabwärts, die Uferlampen spiegeln goldene Inseln in die Flut. Es ist kühl. Sascha hat den roten Seidenschal um die - Schultern gezogen, sie sitzt ganz zusammengekauert auf der Ruderbank und antwortet auf keine Frage. Sie ist immer wieder anders, jeden Augenblick; eben noch hat sie gelacht und gesungen und mit dem Boot gewippt — nun ist sie ! so still geworden wie eine Schlafende. Hanno taucht bc- i hutsam die Ruder in die Flut, um sie nicht zu stören. ! Von beiden Ufern klingt das Gesumme der nächtigen ! Stadt. Eine ferne Glocke läutet zehn Uhr. ! Hannos Blicke und Gedanken umfassen die Fra», die j ihm da, vom Dunkel halb verhüllt, gegenübersitzt. Er hat das Gefühl, ihr in diesen fünf Tagen, die sie beieinander ; ; sind, um nichts nähergekommen zu sein. Sie ist fern und ' ! fremd auch in der nahsten Stunde, sie lebt in einer Welt, , ! die er niemals kennen wird. Das gibt ihrer Beziehung ! etwas seltsam Unbestimmtes; Hanno weiß nichts darüber, ? wie Sascha Stein zu ihm steht, was er für sie bedeuten > mag... Und was bedeutet sie für ihn? Heute in diesem Augen blick: alles! Daß er lebt, daß er atmet, daß er geht, daß er steht, daß er um sich blickt, geschieht, so scheint ihm, nur i durch sie, nur für sie. Sie ist die Kraft, die sein Leben hält und trägt; er muß sterben, wenn sie ihn — o unausdenk- ! barer Gedanke — einmal verlassen sollte. Sie hat ggnz ! von ihm Besitz genommen, er ist nichts mehr ohne sie ! Er sagt sich immer wieder, vaß das keine Liebe sein ! ! kann. Es ist Wahnsinn, Rausch, Besessenheit, aber keine i Liebe. Wie kann man einen Menschen lieben, von dem j man nichts weiß? Wie kann das Liebe sein, dieses blinde Hingegebensein an- den andern, das sich niemals, keinen ! kurzen Augenblick, zu einer wirklichen Gemeinschaft : * wandeln will? Heißt „lieben" nicht, aus zweien eins j werden? Nein, es kann keine Liebe sein, dieses innere ! Müssen, das ihn unwiderstehlich zu Sascha Stein hintreibt. j Stand nicht einst das Bild eines anderen Menschen ! über seinem Leben, das Bild eines feinen, blonden Mädchens, das ihm der Inbegriff alles Guten und Schönen wqr? Es ist verblaßt, dieses Bild, überblendet vom grellen Schein einer Leidenschaft, die nichts anderes , neben sich duldet. Uüd doch fühlt er einen dumpfen, j quälenden Schmerz, wenn er an Elisabeth Petersen denkt, ' eine unbestimmte Sehnsucht nach der vergangenen Zeit, da sie alles kür ihn bedeutete. Aber nie wird es ein Zurück ! für ihn geben solange die dunklen, verschleierten Augen der anderen sein Leben regieren. Was sollte er auch noch bei Quitt? Aber Sascha Stein — wer ist sie? Ist sie alt, ist sie jung? Ist sie gut oder böse? Liebt sie ihn oder jenen Fremdens den er damals in der Klinik vor ihrem Zimmer traf, der ihr Verlobter sein soll? Ich weiß nichts von dir!, denkt Hanno traurig zu der Frau hin, die jetzt im Licht der spärlicher werdenden Ufer« laternen nur noch als Umriß und Schälten sichtbar ist. „Wir wollen umkehren, es ist spät", sagt der Schatten. SaschaS Stimme ist tief und tönend wie eine Glocke. , Das kurze, rollende „R" kann Hanno niMt anhören, ohne! den drängenden Wunsch, sie zu küssen -Mn ihrer Sprache schon offenbart sich all die lockende Fremdheit, die vor weniger als einer Woche in sein friedliches Leben einbrach und ihn verzauberte. Er wendet das Boot und beginnt flußauf zu rudern. Die Strömung ist nicht stark, ober er spürt doch den größeren Widerstand, der seinen Schlägen begegnet. „Ich werde morgen abfahren, Hanno", sagt es langsam vor ihm. „Nicht wahr, du weißt doch, daß ich heirate?" Der Ruderschlag stockt... Dann sinken die Ryder müde herab, ihre Blätter! platschen aufs Wasser... * Quitt zieht ihr schwarzes Seidenkleid an, um zu Starcks zu gehen. Sie hat eigentlich gar keine Luft, aber vet-; sprachen bleibt versprochen. Außerdem ist Barbaras „Mittag im Garten" noch immer nicht verkauft. Manchmal! liegt es wie ein Verhängnis über einem Bild, und gerade die besten Arbeiten sind es häufig, die am längsten die! Atelierwand zieren. Vielleicht gelingt es, Herrn Geheim-! rat Starck mal Herzulotsen. Barbaras Abendbrottisch steht noch unabgeräumt. Sies liegt im Sessel, raucht ihre Zigarette und sieht den blauen! Wölkchen nach. Sie hat Sorgen, natürlich, aber es liegt ihr nicht, sich ihnen hinzugeben. Eben knüpft sich ihre neuej Hoffnung auf eine unvorstellbare Belebung des Bilder absatzes an einen kleinen Glaskasten, den sie unten nebelig der Haustür angebracht hat. Hier stellt sie seit kurzem! täglich eins ihrer Bilder aus, Vorübergehende sollen auf«j merksam werden, interessiert näher treten, 'raufkommen — kaufen! „Nicht wahr, Quitt, wie kann man denn bekannt werden, wenn man sich nicht zeigt? Einmal oder zweimal im Jahre eine Ausstellung beschicken, nützt gar nichts — man muß seine Bilder den Leuten nahebringen, sie füll sich selber sprechen lassen!" »Ja, ja", sagt Quitt, „er sieht wirklich wunderhübsch aus, dein Kasten. Die Bilder sind ja natürlich viel, viel zu schade dafür, so an die, Hauswand geklebt zu werden;! aber wenn es was nützt...! Den alten Starck werde ich mal sanft bearbeiten heute abend." j lFortsetzung folgU