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KONGRESS-SAAL DEUTSCHES HYGIENE -MUSEUM Sonnabend, 19. September, 19.30 Uhr, Anrecht B 1 Sonntag, 20. September, 19.30 Uhr, Anrecht B 2 1. ZY KLUS-KONZERT ,,Musik von großen Meistern—um große Meister“ Dirigent: Prof. Heinz Bongartz Solisten: Ferdinand Baumbach, Dresden (Violine) Günter Siering, Dresden (Violine) Johann Sebastian Bach: 2. Suite h-Moll BWV 1067 1685 — 1750 Ouvertüre —Rondeau — Sarabande —Bouree I — Bouree II — Polonaise — Menuett — Bachinerie Soloflöte: Heinz Hörtzsch, Dresden Cembalo: Hans Otto, Dresden Johann Nepomuk David: Variationen über ein Thema von Bach geb. 1895 (Erstaufführung) Arthur Honegger: Prelude, Arioso und Fughette über den Namen geb. 1892 „BACH“ (Erstaufführung) PAUSE Johann Sebastian Bach: Konzert für 2 Violinen und Orchester, d-Moll, BWV 1043 Vivace — Largo ma non tanto — Allegro Cembalo: Hans Otto, Dresden 3. Suite, D-Dur, BWV 1068 Grave — Vivace — Air — Gavotte I Gavotte II — Bouree — Gigue Cembalo: Hans Otto, Dresden ZUR EINFÜHRUNG Im Herbst 1893 stellte sich mir ein junger Elsässer vor und bat mich, mir auf der Orgel vorspielen zu dürfen. „Was denn?“ fragte ich. „Bach, selbstverständlich!“ antwortete er. So berichtet Charles-Marie Widor, Professeur am Pariser Conserva- toire, von seinem ersten Bekanntwerden mit seinem späteren Schüler Albert Schweit zer. Wir kennen letzteren als Orgel virtuosen, Gelehrten und Bach-Kenner. Aus dem französischen Pyrenäenstädtchen Prades klingen wunderbare Klänge der Solo- Suiten von Bach des spanischen Cellomeisters Pablo Casals zu uns. Dmitri Schosta- kowitsch erklärt auf dem Bach-Fest 1950 in Leipzig: „Das sowjetische Volk liebt Bach!“ Kondraschin, Dirigent des Staatlichen Sinfonie-Orchesters der UdSSR, meistert zusammen mit den Gilels (Violine und Klavier) und Charkowski (Flöte) das 5. Brandenburgische Konzert von Bach. David Oistrach spielt mit seinem Sohn Igor auf der Langspielplatte — dazu das Gewandhausorchester mit Franz Kon witschny — Bachs Konzert für zwei Violinen begeistert und gegeisternd. Der Rund funk bringt prachtvolle vokale und instrumentale Bach-Aufführungen aus London, aus Brüssel, aus Stockholm — aus Rom! Und nochmals Charles-Marie Widor, der die Vorrede schrieb zu Schweitzers Bach-Buch: „Indem ich das Geleitwort zur deutschen Ausgabe entwerfe, kann ich mich einer gewissen Befangenheit nicht er wehren. Ist es nicht eine Anmaßung, wenn ich, ein Franzose, die Aufmerksamkeit der Deutschen auf ein Werk über Bach lenke? Aber durch das Geleitwort eines Franzosen zu einem deutschen Buch über Bach möge zugleich zum Ausdruck kommen, daß wir, diesseits der Vogesen, auch ein Recht auf Bach besitzen. Es ist, als ob Bande der Verwandtschaft seine Kunst mit der unsrigen und unsre mit der seinigen verbänden . . .“ Albert Schweitzer selber krönt die Debatte, wem wohl Johann Sebastian Bach zugehöre, in seinem Buche: „Dieses Genie war kein Einzel geist, sondern ein Gesamtgeist. Jahrhunderte und Generationen haben an dem Werk, an Bachs Werk, gearbeitet, vor dessen Größe wir alle ehrfürchtig stille stehn.“ Im besonderen seit der Bach-Renaissance im Anfang des vorigen Jahrhunderts — nicht zu reden von der Bach-Verehrung der musikalischen Klassiker — nehmen die Variationen über Bachsche Themen, über das längst weltberühmte Thema b-a-c-h in allen Stilarten kein Ende. Arthur Honegger (1892—1955) gibt seiner „Bewunde rung für Johann Sebastian Bach, den größten aller Musiker“ Raum in seinen „Pre lude-Arioso-Fughette sur le nom de Bach pour Orchestre a Cordes“ ( — über den Namen Bach für Streichorchester). Die Bratschen beginnen das Prelude-Allegro nachdrücklich mit den Buchstaben von Bachs Namen b-a-c-h, großartig polyphon weitergeführt. Der zweite Satz (Arioso: Grave) wird von der Melodie der Solo bratsche beherrscht, das Allegro der Fughette ( kleine Fuge) schließt sich unmittel bar der Einsätzigkeit des ganzen, knappen Werkes an. Honegger ist in Le Havre als Sohn Schweizer Eltern geboren, studierte in Zürich und am Conservatoire in Paris bei Gedalge, beim schon genannten Widor und bei Vincent d’Indy. Schon durch seine Lehrer dem französisch-romanischen Kulturkreis verankert, wirken dennoch die deutschen Meister bei ihm deutlicher als bei jedem anderen Franzosen. Sie bleiben spürbar in dem großzügigen, monumentalen Ausdruck, in dem Streben nach konstruktiver Logik seiner Musik — darum seine Neigung zur Bachschen Musik. Im übrigen hat er sich alle Aufgaben gestellt, die die Zeit von ihm fordert: Oper, Oratorium, Sinfonie, Kammermusik, Kirchenmusik, Schauspielmusik und Film. Sein Sinn für die Wirkung, für das Theater ist romanisch, sein Sinn für das Architektonische, Freskenhafte ist sicher deutsch. International bekannt wurde Honegger durch seinen dramatischen Psalm „Le roi David“ (König David) und durch seine sinfonische Dichtung „Pacific 231“, die in naturalistischen Klangeffekten eine moderne Schnellzugslokomotive mit ihren Geräuschen im Konzertsaal auf fahren ließ. Das Leben Johann Nepomuk Davids ist eng mit seinen künstlerischen Werken verknüpft. In Eferding in Oberösterreich, in Bruckners Heimat, 1895 geboren, war er zunächst Chorknabe im Stift St. Florian, dann Volksschullehrer und Student an der Musikakademie in Wien, Lehrer und Direktor des Leipziger Konservatoriums, des Mozarteums in Salzburg, dann der Hochschule für Musik in Stuttgart. Orgel, Chor, Kammermusik und Orchester sind die Instrumente, denen David bisher so gut wie ausschließlich diente. Er kommt von der Orgel, einem polyphonen Instru ment — das erschließt einen wesentlichen Zug des künstlerischen Bildes. Davids hohe Begabung liegt in der Fähigkeit, kontrapunktisch zu bauen und zu formen. Seine Variationen für Kammerorchester über ein Thema von Johann Sebastian Bach op. 29a sind dem Leipziger Orgelmeister und Bach-Nachfolger an der Thomaskirche Karl Straube gewidmet. Die Besetzung besteht aus den Strei chern, aus einer Flöte, zwei Oboen, einem Fagott, zwei Hörnern, Pauken und Glocken spiel. Das Thema wird im Moderato vorgetragen und begegnet uns wieder in fünf Variationen. Die Musik ist natürlich moderne, lineare Polyphonie, die Faktur jedoch echt bachisch — die 2. Variation verwendet den unbachischen Dämpfer und Flageo lett-Töne der Geigen, setzt das Glockenspiel ein (Allegro leggiero) — in der 3. Varia tion (Adagio) sind die Solo-Flöte und ein Solo-Horn melodieführend — im Allegretto grazioso der 4. Variation sind die polyphon geführten Streicher die Hauptsache — in der 5. und letzten Variation (Moderato assai) herrscht gar ein zweitaktiger Basso ostinato von Anfang bis zum Ende!