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war, als den man ihn so gern hinzustellen beliebt. In wunderbarem Wechselspiel mit dem Orchester ordnet sich in diesem Satze die Violine ins sinfonische Geschehen ein. Der zweite Satz mit seinem schönen Oboenthema am Beginn entfaltet sich zu ernster Schönheit und zu milder Verklärung, während der Schlußsatz mit rassigem Temperament daherkommt und den Schuß un garischen Wesens klar erkennen läßt. Das Terzenthema am Anfang dieses Finales beschwört unzweideutig zigeunerische Weisen, die dem Werk einen beschwingten, lebensfrohen Abschluß verleihen. Peter IIjitsch Tschaikowski (1840—1893) hat sich zu seiner 5. Sinfonie in e-Moll einmal in einem Notizheft selbst geäußert, und man kann diese Bemerkung als Hinweis auffassen, gleichsam als das Motto, das über diesem Werke stehen könnte. „Vollständige Beugung vor dem Schicksal oder, was desselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung.“ Mit der Sinfonie, die seine drei letzten großen Sinfonien ein leitet, war Tschaikowski nicht zufrieden, weil sie dem Inhalt einen zu breiten Raum gönnt und dabei die künstlerische Form etwas vernach lässigt. Dafür spricht die Briefstelle: „Nach jeder Aufführung meiner neuen Sinfonie empfinde ich immer stärker, daß dieses Werk mir mißlungen ist. Die Sinfonie erscheint mir zu bunt, zu massiv, zu künstlich, zu lang, über haupt unsympathisch.“ Wir wundern uns über die Schärfe des eigenen Urteils, wir bewundern seine schonungslose Selbstkritik, die wir heute nicht mehr teilen. Das Werk ist viersätzig. Im ersten Satz leitet ein Thema das Ganze ein, welches gewissermaßen als Leitmotiv in allen vier Sätzen immer wieder erscheint. Der eigentliche erste Satz bringt die beiden sehr gegensätzlichen Themen, die die Form der Sonate verlangt. Der zweite Satz versucht, von dunklen Klängen zu lichten Höhen emporzuschwingen, der Schluß verklingt in Ruhe und Harmonie. Der dritte Satz heißt „Valse“, also ein eleganter, weltmännischer Walzer mit französischem Einschlag, der ein einziges Wiegen und Gleiten darstellt. Der Schlußsatz, das Finale, ist ein toller Wirbel der verschiedensten Stimmungen: ein aufreizender Tanz, ein eilig hastender Galopp, ein jauchzender Wirbel, ein hemmungs loses, brutales Gestampfe, das am Schluß in eine schmetternd-glänzende Fanfare mündet, die dem düsteren Werk einen überraschenden, aber um so wirkungsvolleren optimistischen Ausgang verleiht. Johannes Paul Thilman. IV/10/23 Pz 5192/55 ICO) 8385