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Sonnabend, am 19 Oktober 1935 Nr- 245 101. Jahrgantz ist es nicht, was ich ver diene, aber wir können es uns cinteilen. Es reicht zum Le ben. Die An schaffungen aber, das neue Kleid, das meine Frau heute anhat. mein Aquarium, die Korbsessel, unser Radio — dafür arbeitet meine Frau. Käthe ist Sekre tärin bei einem ausländischen Berichterstatter, sie war dort schon als junges Mädchen, mit einem schönen Gehalt. Wir ar beiten lieber alle beide und gön- »Mr haben über euch nachgedachk. und ich habe mich entschlossen, au' meinen Posten zu verzichten." neu uns dafür etwas vom Le ben. — Aber wie geht es dir? Du hast uns überhaupt noch nichts von dir erzählt." Breininger griff nach dem Bier und tat einen großen Schluck. „Auf euer Wohl!" sagte er. „das Bier ist aus gezeichnet! Ich habe schon seit zwei Jahren kein Glas Biel mehr getrunken." „Bist du krank?" „Nein. Aber —" — „Aber?" „Ich habe seit vier Jahren keine Arbeit," sagte Brei- ninyer beschämt, „seit vier Jahren! Es ist nicht wegen mir, allem findet man sich schon durch im Leben — aber meine Kinder tun Mir leid." . , - r,Du M verheiratet?)" < „Selt fukif Jahren — wir haben zwei Kinder — das jüngste ist ^wölf Monate alt ein Mädchen —" Ein« Stille trat ein. Das Gespräch wollte nicht mehr recht in Gang kommen. Forster ging zum Rsdio'und stellte Lie verlorene -eilige Stobt Aksum, die „Mutter der Städte". Cs soll hier nicht untersucht werden, wieweit der Ver lust Äksums etwa strategische Nachteile für die Abessinier haben könnte; sicher ist, daß der Fall der Stadt eme ge wisse psychologische Wirkung haben wird. Denn Aksum ist die heilige Stadt Abessiniens, der Ausgangspunkt der politi- ichen Macht und auch des christlich-koptischen Glaubens des amharischen Levölkernngsteiles Abessiniens, des Staats- solkes. Nach der Ueberlieferung ist Aksum die Residenzstadt jener Königin Macheda gewesen, die uns als Königin von Saba und durch ihren Pilgerzug nach Jerusalem bekannt ist. In Aksum gebar sie ihren und König Salomos Sohn, den sagenhaften Kaiser Menelik, der der Begründer des großälhiopischen Reiches wurde, das damals weit über seine jetzigen Grenzen hinaus nach Norden und Süden und Osten bis nach Arabien hineingriss. Seit jenen sagenhaften Zeiten ist Aksum Krönungsstadt der abessinischen Kaiser. In einem der vielen Gotteshäuser dort wird aber auch eine Bundes- lade aufbewahrt, von der die Abessinier glauben, daß sie die eigentliche Bundeslade der Israeliten sei, die von Abey^ niern aus dem Tempel von Jerusalem geraubt und nach einer gefahrvollen Fahrt dorthin gebracht worden sei. Aus jenen fernen Zeiten stammen die starken jüdischen Emflujse, die man im abessinischen Volke und dessen nun christlichem Glauben heute noch findet. Auch für die christliche Missionierung ist Aksum der Ausgangspunkt gewesen. Hier predigten die beiden griechi schen Mönche Frumentius und Aedcsius. und Akjum war der erste Bischofssitz des Frumentius. Das war im vierten christlichen Jahrhundert. Ungefähr zmölfhundert Jahre später versuchte Nom dann zu missionieren, und auf den Trümmern einer koptischen Kirche in Aksum bauten Je suiten die römische St. Martinskirche. Seit alten Zeiten ist Aksum als heilige Stadt auch eine Freistatt sür alle Ver folgten gewesen. In Aksum hat auch Menelik d. G. nach der ersten Schlacht von Adua sich die äthiopische Kaiser krone aufgesetzt. Von der uralten Kultur der Stadt zeugen heute noch die Trümmer von hohen Obelisken, die den ägyptischen Obelisken ähneln, nur nicht einen quadratischen, sondern -inen rechteckigen Grundriß haben. Eine deutsche Expedition M vor 30 Jähren in Aksum und Umgebung archäologische Forschungen angestellt, deren Ergebnis vieles der äthiopi schen Ueberlieferung bestätigte. Lange Abende Lm Herbst Herbstabende haben ihre besonderen Reize. Ler lange Winterabend mit seiner Steigerung häuslicher und öffent- icher Geselligkeit bereitet sich vor, sommerliche Erinnerun- len klingen leise nach. Der Herbst ist der Mittler zwischen Sommer und Winter,,er verbindet zwei Extreme und hat, vie sein Gegenstück, der Frühling, von jedem dieser beiden üwas. Die Tage sind kurz geworden. Künstliches Licht be- »errscht ichon die Straßen der Stadt, ehe noch die Arbeit des ilages ihr Ende erreicht hat. Und aus dem Lands, wo die ilußenarbciten mit Beginn der Dunkelheit abgebrochen werden müssen, läutet es früher Feierabend. Herbstabende ind Zwitter sind nicht halb, sind nicht ganz. Länger als ber^ckas)" N^e'ten kämpfen Licht und Dunkel um die A vergehen, ehe der erste Abendschatten nergrößert hat. Und in diesem zeitlich ausgedehnten Ringen ""d lackst, liegen die geheimsten Schönheiten ^nd ^en S^'ns In der Stadt zwar merkt man wenig des Abends Man muß auf dem Lande d?"/^r??dend richtig zu genießen, muß an mem klaren Herbstabend den verlöschenden Tag belauschen wnnen, oder erleben, wie die wallenden Herbstnebel das tmud verhüllen, wie nach Spnnenuntergang die Kartoffel- ausgluhen und von fern her gedämpfte Stimmen ländliches Leben künden, wenn im Dorfe die Alten vor dem Hause sitzen und letztes Tageslicht zum Zeitunglesen oder zum nachbarlichen Gespräch ausnutzen. Der Herbstabend ist schön und wohltuend, aber man muß ihn dort zu finden wissen, wo er seine alten Rechte hat. I s ! i RlWWNl-MogMMM Deutschlandsender Sonntag, 20. Oktober. Hamburger Hasenkonzert. - 8.00: Stunde des Bauern i, Feierstunde. Erde, wir sind dein! — 9 45- Deut- ,che-.BoIk — Deutsche Lustfahrt. — 10.00 Aus Hannover- Mn>- d-r I U aus der Wurlitzer Orgel - UW. Lhilo Scheller: „Kieme Erde". Ein Gedichtkranö vam "15: Deutscher Seewe.terberlcht - u L Margenseicr anläßlich des 300. Todestages des wo." chcn NaUonaldich.ers Es sprich, der spanische Botschafter ?>r ,rranc.se° Agramonte n Lortijo. - 12.15: Aus München: Musik - Wir leben in den großen Städten, wir gehen in den vreiten Straßen, wir wohnen in den hohen Häusern — jeder für sich, jeder seinen Weg geradeaus — wenn wir verweilen, ist es unsere Müdigkeit, unsere Neugier, unsere Angst. — Spürst du die Gemeinschaft der Straßenbahn, die Gemein schaft des Briefkastens, die Gemeinschaft des Weges, den Sekunden vor dir ein anderer ging und auf den Sekunden nach dir ein dritter feilten Fuß setzen wird? Wir gehen jeder feinen Weg geradeaus — jeder — der neben dir, der vor dir, der hinter dir — jeder . „Hallo, Breininger!" „Tag, Forster!" Sie bleiben stehen, reichen sich die Hand, gehen zusam men weiter. „Wir haben uns lange nicht aesehen." „Beinahe acht Jahre." „Zuletzt in der Sächsischen Bank." „Ich wurde krank — als ich wiederkam, warst du nicht mehr dort." wachst du? Wie geht es dir immer?" „Danke. Ich bin zufrieden. Vor zwei Jahren habe ich geheiratet. W,r haben eine nette kleine Wohnung. Willst du uns nicht einmal besuchen?" „Gern." „Komm morgen nachmittag. Wir waren doch früher so gute Freunde. Wir haben uns sicher eine Menge zu er zählen Breininger nickte: „Gern. Man kommt so selten dazu, sich einmal richtig auszusprechen." Und sie sprachen sich aus. Forster zeigte seine schöne Wohnung, den kleinen Balkon mit Blumen und zwei gel ben Korbsesseln, ließ das Radio spielen, holte Bier und Zigaretten, dann brachte er ein Album mit vielen fröhlichen Aufnahmen von zwei Reisen, die er mit seiner Frau ge- macht hatte. „Nächstes Jahr werden wir uns vielleicht einen ge- brauchten kleinen Wagen kaufen — auf Abzahlung natür- lich, du verstehst —" > - „Verdienst du denn so viel Geld, Forster? Der alte Berufskollege lachte zufrieden: „Ich war <te arbeitslos, ich hatte immer meinen Posten. Viel zum Mittag Standmusik aus der Fcldherrnhalle. — 12.55: Zeit zeichen der Deutschen Seewarte. — 13.00: Glückwünsche. — 13.15: Musik zum Mittag. — 14.00: Kinderfunksptcl. Der Schatz tm Acker. Nach einem irischen Märchen von Peter Glas — 14.30: Musika lische Kurzweil. — 15.00: Eine Viertelstunde Schach. Oer Welt» meisterschastskampl zwischen Aljechin und Euwe mit Partiebeijpiel. — 15 15: Stunde des Landes. „Und fröhlich' baut im Sonnen brand der Winzer seine Neben. ." Hörbild von der Mosel und ibrem Weinbau von Gustav Adoli Littcck — 16.00: Musik ani Nachmittag. Als Einlage. Elisa Elaron singt politische Lieder von : Heinz Fritzsche. — 18 15: Spiel vom Wein, von Richard Schnei- j der-Edenkobcn — 19.00: Perlen deutscher Volkslieder. — 19.30: Deutschland-Sportccho. Funkbericht vom FußbaU-Ländcckamps Deutschland—Bulgarien in Leipzig — 20.00: Die Wiener Schram- - mein Eine Stunde echter Wiener Volksmusik aus vergangenen Tagen — 20 50: Aus Mailand: Uebertragung aus der „Scala": .Die versunkene Glocke". Oper von Ottorino Respighi. — 21.30: Nachrichten — 21.45: Fortsetzung der Uebertragung aus Mailand c (2 Akt). — 22.20: Nachrichten. — 22.35: Fortsetzung der Ueber- j tragung aus Mailand <3. Akt). — 23.05: Deutscher Seewetter» bericht. — 23.20—24.00: Fortsetzung der Uebertragung aus Ma>- ; land <4. Akt). ! Montag, 21. Oktober. ! 9.00: Sperrzeit. — 9.40: Sendepause. — 10.15: Grundschu»- ymk. Alle Kinder singen mit! — 10.45: Sendepause. — 11.30: Die- < Landfrau schaltet sich ein. Kindererziehung im Bauernhaus. — j 11.40: Der Bauer spricht — der Bauer hört: Zur Einwinterung f der Kartoffeln Anschlicf>ud: W'ttcrl'crickst — 15 15: Werkstunde i sür die Jugend HU wirm.... — 15.40: Fürs Jungvolk: Pimpfe- 1 besuchen den „Fliegenden Hamburger". — 17.10: Storstromsbrven, j die längste Brücke Europas. — 17 30: Kleine Werke großer Meister. : — 18.10: Svortfunk — 18.20: Die Sorge um den Rundfunk künstler. Vom berussständischen Ausbau innerhalb der Reichs- - Rundjunkkammer Herbert Packebusch — 18.30: Stunde der Hitler jugend Lieder dringen ins Reich — 19.00: Aus Köln: Musik zum j Feierabend. — 19 45: Deutschlandecho. — 20.10: Großer Funk- zirkus. Ein bunter Bilderbogen aus der Manege von P<er Paul j Atthcms — 22.30: Eine kleine Nachtmusik. — 23.00—24.00: Musik "n- „Guten Nacht". ! Ncichosci'.der Leipzig: Sonntag, 2i>. Oktober .' .>.00 Aus Hamburg: Hajenkonzert: 8.00 Morgenfeier; 8 M Orgelmusil; 9.00 Das ewige Reich der Deutschen; 10.W Ein weihung der Pm-1 von Hindenburg-Jugendherberge; 10.50 Win- > zers Freud und Leid: 11.00 Volkslieveistunde; 12.00 Musik am - Mittag; 14.05 Bauern kämpfen um die Neichseinheit; 14.3» Zeitgenössische Lieder; 15.00 Tic Stavl Sebnitz baut der HI eur Heim; 15.30 Musikalisches Zwischenspiel; 15.50 Futzball-Lmwer- lamps Deutschland—Bulgarien; 16.45 Nachmittagskonzert; 18.00 Fröhlich klingen die Pokale an der Elbe, Unstrut Saale! 18 55 Sonde»sportsunk; 19.00 Richard Wagners deutsche Sendung- 19.20 Einführung in die nachfolgende Sendung: Der Rina der Nibelungen", Vorabend: „Das Rheingold''; 22 00 Nach richten und Sportfunk; 22.30 Konzert. Ncichsscndcr Leipzig: Montag, 21. Oktober j 9.00 Für die Frau: der Küchenzettel der Woche, die kluge ' Hausfrau rät; 10.15 Schneewittchen und die sieben Zwerge; 12.00 Aus Hannover: Schloßkonzert; 14.15 Allerlei — von Zwei bis Drei; 15.15 Kinderstundc: Kathrin und Peter holen die Sonne; 15.40 2000 Jahre deutscher Wein; 15.55 Die Kreutzer- Sonate; 16.30 Mitteldeutsche Dichtcrstundc: Friedrich Matthis- son; 17.00 Nnchmittagskonzert; 18.05 Sachsen als Eermanenland; 118.30 Vom unbekannten Kameraden aus dem Werktag; 18 50 Volksweisen und Volkstänze aus allen Windrichtungen;19.55 Umschau am Abend; 20.00 Nachrichten; 20.10 „Die jungen Rit ter von Sempach", ein Spiel von Henry von Heiseler; 2100 Operettenkonzert; 22.10 Nachrichten und Sportfunk- 2230 Brasilianische Volksmusik; 23 00 Musik zur ..Guten Nacht".' IW1, UVB - 's ' - es ab. Das Album mit den fröhlichen Gesichtern lag offen auf dem Tisch. Die Frau legte ihren Arm darüber, schob es leise zur Seite. Breininger erhob sich. „Verzeiht, ich wollte euch nicht mit meinen dummen Geschichten —" Der Freund drückte ihm die Hand. „Leb wohl — be such uns wieder — versprich mir das, und bringe das nächstemal deine Frau mit!" Sie saßen in der Küche, Breininger, seine Frau, die zwei Kinder. Er saß über dem Kreuzworträtsel einer alten Zeitung, in die der Bäcker ihnen heute den Laib Brot ein geschlagen hatte. „Geben Sie noch eine Zeitung darum — es wird regnen," hatte er einmal zu dem Bäcker gesagt, ängstlich, daß jener die Lüge nicht merke, daß die alte Zei tung für ihn ebenso wichtig war wie das Brot darin, und seitdem wickelte der Bäcker immer zwei dicke Zeitungen mit einem freundlichen Lächeln um den Laib, Io oft er zu ihm kam. — Es läutete. Die Frau ging zur Tür. „Eine Dame ist da, Willi — sie will dich sprechen — sie sagt, sie wäre Frau Forster." Breininger lief ihr verwirrt entgegen. Sie gab ihm herzhaft die Hand. „Das ist Ihre Frau? — Guten Tag, Frau Breininger, unsere Männer sind Freunde, wir wollen es auch sein —" Die andere schwieg verlegen Sie bekamen nie Besuch, Auch Frau Forster verlor ein wenig von ihrer Sicherheit. „Ich bin gekommen," sagte sie. „ich wollte — mein Mann und ich — aber Dummheit, warum sollen wir uns denn voreinander schämen? — Also kurz: Wir haben über euch nachgedacht, und ich habe mich entschlossen, auf meinen Posten zu verzichten und Ihrem Mann die Stellung überlassen —" „Aber das geht doch nicht!" „Doch, es geht!" sagte die junge Frau freundlich, aber bestimmt. „Sie brauchen die Stellung notwendiger als wir — wir können uns einschränken, und Sie sind aus der schlimmsten Not heraus. — Ich habe bereits mit meinem Chef gesprochen, ich habe ihm alles erklärt, und er ist ein verstanden. Nächste Woche fangen Sie dort an. Aber was haben Sie denn, meine Liebe? Warum weinen Sie denn? Es ist doch alles so selbstverständlich — so einfach — „So einfach ---" schluchzte sie. Sie weinte noch lange, und als sie auffah, sah nr ge rade, wie ihr Mann die andere zur Tür begleitete und ihr stumm die Hand drückte. Sprechen tonnte er nicht.