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Vcitage zur ^WeGeritz lO1. Jahrgang Sonnabend, am 19. Oktober 1935 Nr. 245 MmMmklllt in dem Sande und spielten Kar- nlküre" herüberdröhnen, ochziehen, die zwei Segel (Fortsetzung folgt.) -,-rjuchen. Die Bomben hätten die Masten und somit die Seetüchtigkeit der Fahrzeuge sofort zerstörtl mexikanischen Ortes ab. Glutäugige Mädchen trip pelten in rosa und hell blauer Seide zur Kirche. Bunt zerlumpte Soldaten, die wie prächtige Räuber aussahen, hockten, mit Pa tronengurten beschwert, auf Vvn Irdvnlsuvi* LU /Rdvulvuvi*"" °" I ten unsere Segel, und die Zigaretten der Mexikaner be leuchteten blitzgleich ihre martialischen Gesichter. Bor Glück grunzend, setzte ich mich auf die Luke. Bizarr geformt, zoz die schwarze Küste an Steuerbord entlang. Das Meer glitzerte, Fische sprangen. Hinten schwammen die mächtige» Segelschiffe gleich stummen Wundervögeln auf dem Weis' ser. Schwarz waren die schlanken Rümpfe. Nackke SMenw bohrten sich in den Himmel. Weiß und verlockend, als ob in stummer Sprache von fernen prächtigen Ankergründen er ten. Reiter mit großen Hüten, hohen schnallenbesetzten Ledergamaschen, galoppierten in silberbeschlagenen Sätteln auf feurig blickenden Pferden einher. Betrunkene Matrosen von unsern Schiffen lagen schnarchend, mit leeren Flaschen neben sich, fliegenumschwärmt vor etlichen Kneipen. Alles war fabelhaft bunt!. Bunt die Trachten, der Himmel, das grellblaue Meer, die roten Berge, die grünen Kakteen und der glitzernde Sand, über dem die laulosen Schatten niedrig kreisender Aasgeier schwarze Schnörkel beschrieben. Ich fühlte mich wohl wie noch nie! Ins wilde Land hinein Nachher betrachtete ich eine sonderbare Militärparade. Für meine an deutsche Soldaten gewöhnten Augen sahen die waffenstarrenden, nach eigner Willkür und Phantasie ge kleideten Kerle, die primitive Sandalen trugen, fast lach haft aus, aber betrachtete man die dunkeln, vielfach kühn geschnittenen Gesichter, so wurde man schnell anderer Mei nung. Sie marschierten im Kreise, und ein Sergeant drehte die Kurbel eines Leierkastens, der ausgerechnet den dama ligen Schlager: „Es war in Schöneberg, im Monat Mai" spielte. Dies schien wieder sehr komisch, aber nachher hielt jemand eine Ansprache, und als dann die ungefähr fünfhun dert Mann gellend „Viva la reoolucion national!" schrien und ihre Mausergewehre schwangen, gab dies eine herrlich wilde Szene, bei der mir das Herz vor Erregung pachte. Es wurde Abend, und einer der Kameraden meinte, es wäre Zeit für mich, an Bord zu gehen. „Ja, lauf du nur, mir gefällt es an Land viel besser!" dachte ich und drückts mich zu den Fischerbooten an den Strand hinab. Ich konnte Nämlich nicht in Santa Rosalia bleiben, ohne wieder gefan gen zu werden! Ins Inland zu flüchten, ging auch nicht, denn es gibt da auf Hunderte von Kilometern weder Ort noch Wasser. Nur Sand, Steine, Kakteen und beträchtlich hohe, kahle, einen unbeschreiblich trostlosen Eindruck ma chende Berge. Das wußte jeder einzelne von uns an Bord, und die Geschichten fortgelaufener und verdurstet, von Wöl fen angefressen aufgefundener Matrosen würzten gegen Ende der Reise eine jede unserer Mahlzeiten. Das einzige blieb, mit einem der kleinen mexikanischen Schoner fortzu kommen, und das war auch mein Plan. In Rufweite lag ein winziger gedeckter Kutter, von dem eben ein Kanu abstieß. Zwei barfüßige schnauzbärtige Kerle, von denen einer nur den linken Arm besaß, patschten durch den Sand, und ich machte mich an sie heran. Sie lach ten freundlich, aber es dauerte eine Ewigkeit, ehe sie meinen verzweifelten Pantomimen entnahmen, daß ich ausrücken wollte. Da machten sie die Frage des Geldzählens, doch traurig schüttelte ich den Kopf, denn ich besaß höchstens noch einen Peso. Jetzt wurde meine dicke blaue Marinetuchjacke begeistert betastet, und diese gab schließlich den Fluchtpreis ab! Wohin es ging und was die beiden lebhaft fortwährend redeten, verstand ich mit bestem Willen nicht. Voll Freude stieg ich in das Kanu, und gleich darauf legten wir bei dem Kutter an, wo ich in den engen Raum geführt wurde. Es gab süßen Wein und Dörrfleisch mit teuflich viel Pfeffer als Gastmahl, und die beiden lachten, wie ich mir die Kehle verbrannte. Dann schlief ich auf Zuckersäcken in sehr zusam mengekrümmter Lage und hörte den darauffolgenden Tag, der schneckenlangsam bei entsetzlicher Stickluft verstrich, die Symphonie der Arbeit von der „Walküre" herüberdröhnen. Am Abend half ich den Anker Hochzielen, die zwei Segel Wurden,gehißt, und die Mexikaner yocktsn stch paUcheüd<aNs: Steuer. Langsam zog das Schiffchen: seine Bahn, die, mir um so geheimnisvoller und märchenhafter vorkam, als ich das Ziel nicht kannte. Es war eine Herrliche Nacht, der Himmel sprühte förmlich von Sternen. Ganz leise murmel- ten die kleinen Wellen der ruhigen See. Manchmal knarr- zählend, schwankten die Meermänner und -Weibchen der Gallionsfiguren über der blitzenden Fläche. Zuletzt sah ich noch die schöne stolze „Walküre". Da drehte ich mich um und schaute nach vorn. Denn dort in der samtenen Dunkelheu der warmen Nacht wartete sicher das große Abenteuer! EÄntll eingeledt Die weltverlorene Oase in der ungeheuren Bergmelt der Halbinsel heißt Mulegö. In dunkler Nacht lief das Schifj von See in eine schmale Lagune ein. Meine beiden Mexi kaner brachten mich nach einer Plantage. Es war ein un beschreibliches Gefühl für mich, der ich lange Monate nichts als Wasser gesehen, harte Arbeit und Roheiten kennen gelernt, als wir von dem Schoner durch die Dunkelheit gin gen. Zehntausende Zikaden sangen betäubend. Palmen neigten ihre schweren Wedel über uns, und es duftete von unbekannten Blumen, die in verborgener üppiger Vegeta tion ihre Seelen in die stille Nacht verströmten. Dann flackerte ein rotes Feuer unter Orangenbäumen, warf male rische Schlaglichter auf den nackten Oberleib eines lang haarigen Indianers: huschte in bläulich zuckenden Reflexen über die großen Revolver dreier Mexikaner, deren Gesichter im Schatten gigantischer Hüte ruhten und über deren Schul tern sich grellbunte Decken schlangen. Ich war wie im Pa radies, und mein erster stummer Wunsch war der: „So einen Revolver mußt du auch haben!" Wir tranken Kaffee und unterhielten uns mittels Zeichensprache. Am anderen Morgen weckten mich der Duft von Oran gen, süß trillernder Vogelschlag, und das Summen der Koli- bris, die gleich Rubin» und Smaragdsunken über die Hecke in die jenseits von ihr mit phantastisch hohen und seltsam geformten Kakteen liegende Wildnis schossen. Ich „musterte" für 10 Pesos den Monat als Plantagenarbeiter an. Lernte Zwiebeln, Zuckerrohr uni, Tomaten pflanzen. Dattelbündel von den Palmen holen und mein erstes Spanisch. Schnell lebte ich mich ein. Nur das Essen gefiel mir nicht sehr. Tag für Tag gab es Kuhmagen, den der alte weißbärtige Pa triarch Don Juanito auf einen Stock gespießt, den er über die in eine rote Decke gehüllte Schulter legte, aus dem Dorfe holte. Für meinen ersten Monatslohn kaufte ich mir eine gebrauchte riesige Pistole. Cajo, der Sohn des Alten, ein mexikanischer Dandy, ging mit mir hinter die Hecke, und dort schossen wir. Hunoerte von Patronen verknallten wir im Laufe der Zeit. Zuerst auf Rinderschädel, dann rostige Blechbüchsen und fliegende Aasgeier. Zuletzt, als Zielen, Abdrücken und Treffen eine mechanische Sache geworden war, versuchte ich es auf Kolibris. Aber die traf ich nie, denn ihre Schnelligkeit ist die des Zickzackblitzes l Als ich das erstemal per Esel mit meiner blauen See mannsmütze und der Pfeife im Munde ins Dors ritt, gab es eine Sensation. Die Leute liefen aus den Türen «md schüttelten mir die Hände, Überboten sich in sympathischen Kundgebungen für den deutschen Marinero. Jeden Sonntag kamen ein Dutzend, manchmal auch mehr Fragen und Mädchen mit klappernden Kochtöpfen aus dem Dorf angeritten, setzten sich rund um mich und stopften mir Leckerbissen buchstäblich in den Mund, Es gab Spiel tische und viele fragliche, durch die Revolution nach Muleaö verschlagene Existenzen, und in einer Kneipe sah ich, nne mein Gegenüber von seinem Nachbarn nach kurzem Wort wechsel über den Haufen geschossen wurde. Die Sache wurde, sehe kaltblütig: vön den Anwesenden ausgenommen: Der Wirt beschlagnahmte da« Taschengeld des Toten, um feine Drinks bezahlt zu machen^ dann kam der Polizist und schleifte ihn bei den Hacken einstweilen in die Seitengasse. Das Spiel ging weiter. Es war furchtbar heiß, und sehnsüchtig schauten wir nach der ziemlich fernen Küste hinüber, denn es vergingen Wochen, und wir kamen nicht von Bord mit Ausnahme der Bootsgasten, die uns tolle Geschichten von den Seno- ritas und revolutionären Soldaten auftischten. Unser Zim mermann wollte rüberschwimmen, aber es war zu weit, und als er wieder umdrehte, bekam ihn ein Hai. Wir alle standen an Deck — es war Mittag — und sahen der Tragö die zu. Endlich wurde die „Walküre" in den kleinen Hafen geschleppt, und den Sonntag durften wir an Land. Ich zog trotz der Hitze meinen dicken Anzug an und nahm sonst mit, was ich am meisten liebte. Denn die Nacht zuvor hatte ich das Salvenfeuer und gellende Geschrei der nationalen Revo lutionäre drüben vernommen, und etwas war in mir auf gegangen. Ich wollte fort vom Schiffe in dieses wilde Land hinein, und mit seinen romantisch gekleideten Men schen Abenteuer erleben! Das erste, was ist beim Betreten der Erde, die ich vier Monate nicht berührt hatte, sah, war die von Kugeln buchstäblich durchsiebte Leiche des Stadtkommandanten, die auf einer Kuhhaut lag und von seinen auf sässigen Soldaten nns Seeleuten gegen Entgelt gezeigt wurde. Unberührt davon spielte sich daneben das übrige Leben eines (1. Fortsetzung) Ich fing an, in die Breite zu gehen, meine Hände wur den vom Zupacken an nassen Tauen eisenhart, und wie wir durch das Skagerrak und die Ostsee im Petersburger Hafen Kronstadt ankamen, war ich fidel und kregel wie ein junger Lachs. Mit Teerziegeln segelten wir zurück in den hollän dischen Heimathafen Delfzyl, und kaum war die Ankerkette aus den Klüsen gerasselt, als mein Vater im Polizeiboot an Bord kam. Jene damaligen guten Hamburger Freunde hatten also doch nicht dichtgehalten! Das Ende vom Lied war, daß mein Vater, da ich mich zu verzweifelt gebärdete, mir die Erlaubnis zur „christlichen Seefahrt" erteilte und mich an Bord beließ. Auf dem „armen Konrad" fuhr ich also nach Hamburg zuruck und musterte auf der Biermastbark „Walküre zu einer Reise um Kap Hoorn nach der Westküste Mexikos an. O, chr Landratten und Dampfermalrosen, habt ihr schon mal jene wundervollen großen Segler gesehen, von denen mir bei Ausbruch des Weltkrieges noch Dutzende besaßen. Schlan ken stolzen Leibes, das spinnwebfeine Gewirr der Takelage in den Himmel ragend, zweiunddreißig oder noch mehr schneeig geblähte Segel gleich gewaltigen Pyramiden s.ch vom Blau des Horizontes abhebend. Mit kuhnragendcm Klüverbaum und darunter die weiße geschnitzte Bugfigur eines lachenden Meerweibchens, das sich bei guter Fahrt un unterbrochen bis an den Busen im Wellenschaum badet — so sieht ein derartiges Schiff aus, und sein Anblick leuchtet wie eine Weihnachtskerze im Gedächtnis der Glücklichen fort, die ihn genießen dursten. Die Mannschaft auf der „Walküre" war weniger reizvoll. Ein Mischmasch sämtlicher nordischen Nationen mit Deutschen darunter und von allen nicht die besten Exemplare. Und so könnte ich nun er zählen von härtester Arbeit in schwankender Takelage, wäh rend Kap Hoorn uns eisige Schnee- und Hagelstürme prai- lselnd ins Gesicht schleuderte! Von der Gluthitze des Aequa- tors, wo der Teer in Blasen aus den Fugen der Planken kocht! Von schlechter Kost, faulen Kartoffeln, Hartbrol. das man erst einweichen mußte, uni die dicke, sich an die Ober fläche rettende Lage fetter weißer Maden abschopfen zu können. Von einem Pampero, der uns sämtliche Segel aus den Lieken riß und uns beinahe kopsheistel Von Matrosen- chanteys. gesungen unter den silbern wirbelnden Tropen sternen: von Brutalisieren und Brutalisiertwerden: von Wassernot und Arbeit, immer wieder schwerer Arbeit. AU dies gäbe ein ganzes Buch für sich. Wir hatten zwei Schweine an Bord. Max und Moritz hießen sie. und der frechste und rebellischste Bengel, auch ich war es manchmal, wurde oft Sonntags gezwungen, diese beiden Tierchen mit einer Pütze Seewasser und einer alten Zahnbürste zu reinigen. Was das bedeutet, diese verschluckte Wut und ohnmächtige Empörung über solche Ungerechtig keit, und was dies aus einem Knaben, der noch Kind, und aufnahmefähig ist. machen kann, weiß nur der, der ähnliches erlebte. Aber genug, ich will niemand nahetreten, das Leben auf Segelschiffen war vor dem Kriege hart, und es machte Männer aus Jungen, die es werden wollten. Und ich möchte daher meine Fahrt auf der guten Biermastbark „Walküre" von Europa nach der Westküste Mexikos in 138 Tagen für kein Geld in meinem Dasein missen! M Europa tit Krieg Obwohl ich manchmal aerechterweise wütend wurde und mit Händen. Füßen und Zähnen um mich schlug wie eine wilde Bestie, so mußte ich doch oft, während noch Tränen meine Backen herunterkollerten, mitlachen, wenn ich zwangs weise als bayrischer Hiasl auftrat. Das war ein Sonntags vergnügen der Mannschaft! Im Besanmaste hoch oben ba lancierend, muhte ich durch das Sprachrohr bayrische und österreichische Schnadahüpserl zum Deck hinabtrillern, wo die grinsende Mannschaft komplett beisammenstand und sich die Bäuche hielt. Ein paarmal trieben sie's aber zu arg, und ich war nahe daran, über Bord zu springen. Aber die Aus ficht. nach Mexiko zu kommen und dort fortzulaufen, ließ mich's weiter ertragen. Zwischen dem Festland und der Halbinsel Baja California liefen wir in den Golf von Kali fornien ein und ankerten eine Woche später auf der Reede des winzigen Minenortes Santa Rosalia. Ein Dutzend gro ßer deutscher Segler lag dort, wunderbar anzusehen im Kontrast zu der dürren, bergigen, mit einzelnen Riesen kakteen bestachelten Küste. Zu unserm Erstaunen vernahmen wir, daß in Europa seit Monaten Krieg herrsche, und man beglückwünschte uns, den Fängen der englischen Kreuzer entgangen zu sein. ^"Verblüffung und Begeisterung vernahmen wir von der Seeschlacht bei den Falklandsinseln zwischen feindlicher Ueber- zmacht und dem schwachen Auslandsgeschwader des Grafen lSpee. wir am ersten Abend nach der schier übermensch lichen Arbeit des Segelbeschlagens alle wie die Kormorane aus der Back hockten und uns die alten, an Bord gebrach ten Zeitungen aus den Händen rissen, glitt langsam ein gewaltiger australischer Kreuzer auf die Reede, stach uns mit den grellblauen Dingern seiner Scheinwerfer in die Augen und dampfte wieder seewärts. Unser Alter rief noch mut Stentorstimme: „He. John Bulls, wollt ihr Kohlen, wir haben den ganzen Bauch voll! Unter einem brüllenden ^e^achter ging die scharfe Antwort, die herüberwehte, ver- Am nächsten Tag fing die Arbeit an, und nach und nach fanden wir uns mit der Tatsache ab, daß. wir hier lie gen und auf das Ende des Krieges warten müßten Die Kapitäne, und Steuerleute hingen Dynamitbomben im die hohlen Eisenfüße der MasteN, die alle durch Zündschnüre voü der Kajüte aus zur Explosion gebracht werden kannten. Nun durften die Engnschmänner kommen und unsere Schiffe, die voller Koks waren, aus dem unbeschützten Hafen des von Revolutionen durchtobten Mexiko heraus zu kapern