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<25. Fortsetzung.) So schrieb er einfach „Schwester Armgard..." und die Adresse der Klinik, von der er wußte, daß sie darin be schäftigt war. Armgard empfing ihn einen Tag später, als sie zurück- gekehrt war. Sie las ihn mit heimlicher Nahrung. Sie küßte ihn innig, viele, viele Male... Ja, sic war sentimental und jugendlich genug, ihn in ihrem Herzen zu verbergen ... Altmodisch und treu kam ihr sein Schreiben vor... Und mit lächelnder Geduld wartete sie die Heitirb, bis sie ihm antworten tonnte. Es durfte nicht allzu bald sein. Ihrem Beruf widmete sic sich mit doppclter Hingebung. Sie hatte ihn erlernt und ergriffen, um ihren GutS- inuergcbcncn wahrhaft das sein zu könne», was sie von ihr erwarten durften. Um eine soziale Herrin sein zu können, mußte sie No: und Elend aus nächster Nähe, mit aller ihrer furchtbaren Realität sehen und leimen lernen. Sic hatte zuerst gemeint, das aus dem Wege des Studiums am besten erreichen zu können. Aber die Wissenschaft blieb ihr zu lange weltfremd. Sic konnte und wollte nicht jahre lang ihrem Besitz fernblciben... Und sie hatte bald ge merkt, daß sie als Schwester mehr und gründlicher sand, was sic suchte, wie es ihr als Acrztin oder gar als Studcntin möglich gewesen wäre. Die hochmögende Berwandtschast zuckte zu dein allen zwar die Achseln. Aber was konnte inan dagegen tun« Tie junge Gräfin war absolut selbständig — und wenn sie nun mal den modernen „sozialen Bogel" hatte? Schön und gut... Eines Tages würde sie es leid werden... Und dann konnte man daran denken, sie vorteilhaft, das heißt so, daß ihr gewaltiges Bcrmöaen der Familie er balten blieb, zu vermählen. Nein, nein, s o hatten sich die „alten Heimanns" W:l- ..ricds Braut nicht vorgcstellt! Sie hatten ein ungewandtes und verschämtes Land mädchen erwartet, daß vor ihnen in Ergebenheit ersterben würde, und das man liebevoll zu sich emporzichcn konnie. Die schlanke, selbstbewußte, herrische Dame, die ihnen entgcgentrat und sich mindestens neben sie stellte, war zwar viel hübscher, weltsörmiger und eleganter, als sic gedacht. Aber im ersten Augenblick empfanden sic doch eine leichte Enttäuschung. Tochter würde ihnen dies Wesen ' kaum je werden können. Sie war, ganz ohne es zu beabsichtigen, das, was man ' nicht anders als absolut sachlich nennen konnte. Es lag so in ihrer Art. Anders zu sein, war ihr unmöglich. ! Mit dieser wesenlosen Sachlichkeit besprach sie, durchs ! aus als ob sie mit Geschäftsfreunden verhandelte, alles, l was ihre Heirat betraf... Die yorhze Natürlich, wie dec Sitte entsprechend, ein großes Volksfest für Müllenhofcn. Das ganze Dorf würde eben ' eingcladeu werden ... Das spätere Familienleben... j Ach, sie hätte ja doch die Woche über so viel zu tun! i Ein Segen, daß Wilfried in des Balers Fabrik arbeiten , konnte! Sic prüfte die Bedingungen, fand sie nicht glän- ! zend .. aber Wilfried brauchte ja auch kein Geld zu ver- dienen... Wenn er nur Beschäftigung hatte... Im ! Winter, in der stillen Heu, würde sie gern ab und an zu ' den Schwiegereltern in die große Stadt kommen. Natür- i lich gegen Kostgeld. .. Doch! Doch! Schenken ließe sich kein Bogt etwas... i Sie betonte sehr häufig die uralte Ansässigkeit ihrer Familie... Müllenhofen-Dorf sei sozusagen um Müllen- ! Hofen-Gut herum entstanden ... Komisches Frauenzimmer!, dachte der alte Heimann. ! Aber wie er nun mehr und mehr merkte, daß sie in praktischen und geschäftlichen Dingen wirklich was los - Halle, wandelte sich sein anfängliches Befremden in den j inneren Ausrus: „Famoses Frauenzimmer...!" > Was für ein herzloses Geschöpf! Mein armer Junge!, < dachte Wilsrieds Muner. Aber als sie hernach die reichen Silbcrschätze, Vie Leinenvorrätc, die fingerdicken Kristall- I lellcr und die vielen aufs beste möblierten Himmer des j j Gulchauses sah, änderte sic auch ihre Meinung. „Eine > sabelhafle Partie!" Und daß ihr lieber Junge seelisch nicht darben würde, nnn dafür war sie da. Sic behielt ihn auf ' die vorgesehene Weise ja noch fast ganz sür sich. Eine für sie reizvolle Lösung. Nach dein Mittagessen, bei dem Frau Eidam eine solche ! Reihe von „Gängen" auflragen ließ, daß cs dcn Städtern > Angst und Bange wurde, und Frau Heimann immer von ! neuem fragend Helmas „schlanke Linie" bewunderte... i Wie brachte das Mädchen cs fertig, bei der Lebensweise § s o schlank zu bleiben! — führte Helma ihre zukünftigen j Schwiegereltern durch Scheunen und Ställe. Satan , wieherte auf, als er ihren Schritt hörte. Helma stellte j ihn vor. Tonnerwetler! Diesen schwarzen Teufel, dieses hohe, schwere Pferd konnte das Mädchen bändigen und lenken! Jetzt sing oer alte Heimann beinahe an, seinen Sohn zu bewundern, der sich mit einem derartig kräftigen Mäd chen einzulassen wagte... Frau Heimann aber schüttelte den Kopf. War denn diese Helma überhaupt ein Weib? „Früher", erklärte die junge Dame, „gefiel mir Satan noch viel besser... Das war ein Kerb! Aber dieser Richtleben, der mit Wilfried herkam, hat ihn, wie er es nannte, zugeritten... Zuschanden geritten, möchte ich sagen... Der arme Satan ist förmlich zahm geworden ..." Onkel Heinrich Bogt, der gleich nach dem Kirchgang seinen Werktagsanzug wieder angelegt, trug dicics schäbige Kleidungsstück absichtlich zur Schau, indem er, die Hände in den Hosentaschen, das Pfeifchen im Munde, Holzpantoffel an den Füßen, sich den Gästen in den Weg stellte, wo immer er konnte. Seine Aehnlichkeit mit Helma war so auffallend, daß diese nicht umhin konnte, auf fragende Blicke hin zu be kennen: „Meines Vaters jüngerer Bruder... Er spielt hier Verwalter..." Stumme Fragen können zwingender Antwort fordern als ausgesprochene ... Sie mußte wohl oder übel weiter erläutern. „Wir stehen uns nicht zum Besten... Ich trau ihm nicht. Ich bin überzeugt, daß er für sich heimlich unerlaubte Geschäfte macht... Denn Vaters Testament sicher, ipm zwar den Platz auf dem Hof, aber keinen Anteil an dessen Gewinn... Diese alten Bauern! Das heißt eigentlich une von Haus ans hat er studiert... Auf Oberförster! Abe: dann starb Großvater... Und die Brüder zogen zu sammen und bewirtschafteten gemeinsam das Gut. Vater lvar schon über vierzig Jahre alt, als er sich verheiratete ... Onkel Heinrich ist seit fünfunddrcißig Jahren nicht mehr von Müllcnhofen fortgcwescn ..." „Schrecklich!" machte Frau Heimann. „Wie man's nimmt", sagte nachdenklich Helma. Seit ihrer großen Fahrt durch Deutschland hing sie nur noch inniger an ihrer engsten Heimat... Die vielen Städte und Dörfer, die Menschen und alles Drum und Dran hatten ihr fast einen Teil ihres Selbst bewußtseins genommen ... Wenn die Welt so groß war, was war dann Müllen- Hofen? Und wenn Müllcnhofen nicht viel war, was war dann sic? Freilich hatte sie diese Eindrücke inzwischen schon wieder vergessen. Aber der letzte und entscheidendste blicb: „Ost und West, to Hus is's best...!" „Wilfried", sagte auf der Heimfahrt Frau Heimann zu ihrem Sohn, „deine Braut hat für mich etwas seltsam... Kühnes, Freies... Ist sie denn auch Weib?" Wilfried lachte vielsagend. „Keine Bange! Ich kann dir sagen: prima!" Und sein Ton verriet Dinge, die er besser verschwiege,; hätte. Helma hatte sich auf den Besuch gefreut. Daß er nun wieder fort war, freute sie noch mehr. tForlsctzuvg tolgt.)