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t12. Fortsetzung.) Der Wagen hielt. Die beiden kamen heran. Richtleben grüßte in strammer Haltung. „Satan muß umgetauft werden", sagte er heiter. „Er ist nicht mehr Satan, sondern ein kultiviertes Pferd, das gehorchen gelernt hat!" „Sie werden ihm doch nicht das Temperament ge brochen haben?" meinte ärgerlich Helma. „Das Temperament nicht, den Eigensinn... die wilde, haltlose Bockigkeit", sagte Nichtlebcu siegesstolz. „Sie werden jetzt erst Ihre Freude au ihm haben, gnädiges , Fräulein!" ! Helma zuckte die Achseln. s „Ich hatte ihn gerade so gern, wie er war. Schade! j Wenn ich gewußt Hütte, daß sie ihn mißhandeln > Würden..." ! „Mißhandeln? - Ich reite ohne Gerte...", erwiderte Richtleben in seiner hochmütig wirkenden Ari. „Und machen aus einem lebendigen Wesen einen Motor... Sie hätten Studicnrat werden sollen, Herr vor Richtleben. Das Dressieren verstehen Sie!" Heimann lachte in sich hinein. Er ließ den Motor anspringcn, fuhr langsam davon „Tie wn Nichtlebcu unrecht, Fräulein Pogt", sagte er „Er ist ein Könner, kein Besserwisser... Er wäre der ge- ! gcbcne Alaun für Sie..." Helma lachte kur; und hart auf. „Sic werdcn nascwcis, mciu lieber!" sagtc sic streng, j Heimann schnitt eine kleine, reuige Fratze. Dies Lob, das er seinem Freunde gespendet, wußte er, würde den bei Helma für alle Zeit unmöglich machen. Er baue in letzter Zeit doch den Eindruck gehabt, als ob sic § ernstlich zwischen ihm und jenem schwankte. Aber er wollte l sich die schöne Fahri durch Teutschland, die sie geplant, s nicht entgehen lassen. Daß Nichtlebcu es nöliger hatte als er? Pah! ! Jeder ist sich selbst der Nächste. i Der Zug kroch langsam durchs Land. Wo eine Brücke oder ein Ucbcrgang an seinem Weg ! lag, ließ er wie das jammernde Sümmchen eines kranken Kindes sein Glöckchen austönen. Es kam selten vor. Die Strecke war einsam und führte durch Wald und weite Fcldstrecken, auf denen das Korn, schon hoch und kräftig gewachsen, sich vom Maiwind streicheln ließ. Der blaue Himmel nahm alles in seinen schützenden Mantel. Früh nebel hauchte Silber über die einsam träumende Land schaft. An; Fenster eines Abteils zweiter Klasse saß ein jnnges Mädchen in einfachem, schwarzem Kleide. Das regelmäßige Gesicht war sehr blaß. Nur die Augen, kluge, große, graue Augen, lagen dunkel und leuchtend in dem zarten Weiß der reinen Haut. Sic hatte die Rcisemütze abgelegt. Das schöne, braun blonde Haar bauschte sich lockig über die Stirn, die bereits von Gedanken gestempelt schien, obschon die junge Dame nicht viel älter als fünf- oder sechsundzwanzig zu sein schien. Ihre sehr schmalen und krankhaft bleichen Hände hielten ein Buch. Aber sie las nicht. Lag nicht die Natur weit anfgeschlagen vor ihr? Ihre goldenen Lettern lehren liefere Weisheit, als irgendein von Menschen geschriebenes Buch cs vermag. DaS Bähnchen hatte schon drei- oder viermal gehalten. Immer Ivar das junge Mädchen allein geblieben. Jetzt tauchte wieder eine Station — oder eigentlich nur ein Staüönchen — auf. Die junge Dame nahm ihr weniges Handgepäck zu sammen und zog die dunkle Mütze über ihr Haar. Da hielt der Zug schon, und eine eifrig^, liebevolle Stimme ries, ehe sie eigentlich die Erwartete noch er reichen konnte, freudig und gerührt zugleich: / „Armgard! Ach, Armgard, daß du da bist! Endlich, endlich wieder!" „Aber ich komme doch jedes Jahr, Tantchen?" „Dies Jahr aber, mein Liebchen", erwiderte die Tante und küsste das hochgewachsene Mädchen herzlich auf die Wange, „habe ich dich nötiger als je. Du müßt "mir Helsen, envas Furchtbarcs zu verhindern!" „Mein Goll!" erwiderte die Angckommeue, nicht cbcn allzu erschüttert, da sie ja die Art der Tante kannte. „Es ist doch nichts mit Onkel Oberförster?" „Gustav? Ich bitte dich! Onkel Gustav ist wohlauf und läßt schön grüßen. Aber... komm nur erst einmal mit in den Wagen!" „Gern, Tantchen. Hat der Kutscher meinen Kösser... Ach ja, richtig ... Schönen Dank und guten Tag, Miete... Ja, oa bin ich wieder einmal... um mich zu erholen!" „Nötig haben Sie's, Schwester...", meinte das grau haarige Faktorum der Oberförstcrei und schüttelte die ihm gereichte Ist echte. „Wenn meine Nichte nicht in Tracht ist, Miete heisst das nicht Schwester..." „Doch, Miete! Es heißt immer und cs ist immer Schwester. Das wäre eine schöne Schwesternschaft, die man mit der Tracht ablegte. Sic haben cs ganz recht gemacht! Sei nicht böse, Tantchen! Ader das ist einer der wenigen Punkte, wo ich auf meinem Willen bestehe, denn das geht an mein Gewissen!" „Ach Armgard, Armgard... wie siehst dp wieder aus! Dieser schreckliche Beruf!" „Dieser herrliche, gottbegnadete Beruf, Tantchen! Ich habe nicht umsonst das Studium der Medizin für ihn aus gegeben. Der Arzt kann nie so innig Helfer sein wie ule Schwester!" „Ach, Armgard, du bist wirtlich fast eine Heilige!" „Ach, Tante, du kannst übertreiben wie ein Oberförster. Onkels Beruf hat auf dich abgefärbt..." Nun saßen sie im Wagen. Die Pferde zogen an. Leisel knirschte das Leder des Zaumzeuges. Oben über den! Kiefern, die ganz nahe an der Station standen, mußte eine , Lerche schweben. Man sah sie nicht. Nur ihre Lieder tropften herab wie reine, erquickende Tauperlcn. , Armgard gab sich der Ruhe hin, die ihre Nerven wohl tätig entspannte. Sie hörte wohl die Stimme der eifrig j erzählenden Tante. Aber sie verstand, sie faßte nicht den > Inhalt der Rede. Ties atmete sie die reine Luft. Wie gut ! ich es habe!, dachte sie, und ihre Kranken kamen ihr in den - Sinn. Ach, sie alle, alle hier haben zu dürfen ... „Meinst du nicht auch, daß es das Einfachste und Beste ! wäre?" fragte eben dringlich Frau Schreiber. „Liebes Tantchen, ich bin noch so müde... Ich habe ! noch gar nicht alles kapiert!" gestand reumütig das junge I Mädchen, aus seiner Weltvergesscnheit erwachend. „Wirklich, es ist ein Segen, daß ich dir a ch t Wochen ! Ferien erwirkt habe, liebe Armgard", meinte Fran ' Schreiber, nur ganz leicht pikiert. „Wenn du kluges Mäd-- l chen nicht mehr eine so einfache Sache verstehst..." ! Und sic fing von vorne an, und nun zwang sich die ! Nichte, zuzuhören. „Freilich", sagte sie schließlich. „Ich hätte gar nichts i dagegen, eine Fahrt durch Deutschland — oder durch einen i Teil Deutschlands mitzumachcn... Helma Bogt kenne ich ! ja. Sie ist mir gar nicht unsympathisch... Ein bißchen - ungeformt, ein bißchen rüde gelegentlich... Aber in ! tiefstem Grunde ein todgutes Menschenkind. Ich sehe bloß nicht ein, warum... Wenn sic doch schon einen oder j gar zwei Begleiter hat..." > „Herrn, Armgard, Herrn..." „Um so sicherer ist sic, daß ihr nichts geschieht..." l „Aber in den Augen der Welt..." „Ach, Tante, man ist heute gar nicht mehr so..." j „Akan ircibt's eben überall so wüst, daß c.^ keinem mehr j aussällt!" unkte die alte Dame. „Aber ich fühle mich siir j Hclma verantwortlich..." i „Sie ist dreißig Jahre... Und sicher wird ihr nicht ; leicht ein männliches Wesen gefährlich werden ..." " (Fortsetzung folg''